Ssnake hat geschrieben:Wenn die Hintergründe der Entwicklung interessanter ist als das Entwicklungsergebnis, dann ist die Entwicklung Selbstzweck.
Erstmal möchte ich klarstellen, dass es nur meine ganz persönliche Meinung ist, dass Linux vor allem gesellschaftspolitisch interessant ist. Daraus, woher die kommt mache ich auch gar kein Geheimnis: Ich habe einen beträchtlichen Teil meines Lebens in der DDR verbracht und deshalb die Ideale des Kommunismus im positiven Sinne kennengelernt - nicht dass sie in der DDR Realität gewesen wären, aber immerhin ist das vermutlich ein deutlicher Unterschied zu meinen westdeutschen Alterskollegen, die während des Kalten Krieges in der BRD aufgewachsen sind. Der Zusammenbruch der DDR war für mich weder ein Beweis für die Falschheit dieser Ideale, noch ließ er sie für mich weniger erstrebenswert erscheinen.
In der Open-Source-Entwicklung erkenne ich nun einen Teil dieser Ideale wieder, was diese Sache auch ausserhalb der reinen Funktionalität - nunja... interessant für mich macht. Ich verstehe wirklich jeden, der das nicht so sieht, finde aber trotzdem, dass er da gerade bei Linux etwas verpasst.
Dass ich mich mit dieser Position besonders in der Diskussion mit Westdeutschen am Rande der Lächerlichkeit bewege, zeigen einige Posts in diesem Thread sehr deutlich. Reines Unverständnis ist oft noch die positivste Reaktion, die ich da zu erwarten habe. Das ist mir aber nicht neu, weswegen ich gut damit leben kann.
Nun zu deiner eigentlichen Aussage: Das ist kein allgemeingültiger Ansatz, sondern deine persönliche Meinung in Bezug auf Linux. Ich weiß nicht ob du beim folgenden Gegenbeispiel mitgehst, aber was ist an "deiner" Bundeswehr das wichtigere - die reine Funktion, Menschen, Maschinen und beliebige Installationen zerstören zu können oder ihre gesellschaftliche Aufgabe? Ich glaube, genau in diesem Forum hier war deine Meinung in Bezug auf die Ansicht, Streitkräfte wären überflüssig, da sie ja nur einem einzigen, moralisch verwerflichen Zweck dienen, zu lesen. Ich halte diesen Standpunkt ebenso wie Du für oberflächlich und zu kurz gegriffen. Genauso erscheint mir aber auch Dein rein funktioneller Ansatz in Bezug auf Linux.
Nein, es gibt gute und klar benennbare Gründe, warum wir bei Windows bleiben (s. meine vorherigen Beiträge), und soweit Linuxer das ändern wollen, stehen sie in der Pflicht, geeignete Argumente beizubringen.
Und weil sie das nicht tun, glaube ich, dass sie es gar nicht wirklich wollen, was auch in Bezug auf den Open-Source-Gedanken Sinn macht - du aber unterstellst ihnen Unvermögen. Vielleicht liegt die Wahrheit ja irgendwo in der Mitte. Ich weiß genau, was du mit dem Linux-Geprolle bei Heise meinst und finde das genauso dämlich wie du, auch wenn ich mich in der Diskussion hier bisher als Anwalt dieser Typen dargestellt habe.
Die Tatsache, daß Du bestreitest, irgendjemanden von Linux überzeugen zu wollen, kann ich nicht ernstnehmen.
Im Vorgriff auf den wirklich interessanten Rest deines Postings nehme ich wiederum diese Bemerkung mal nicht so ernst, ansonsten wäre die Diskussion nämlich beendet, da es sich bei meiner Aussage nunmal um die Wahrheit handelt.
Aber ihr geht es nicht zweckgerichtet an.
Ich nehme das "ihr" einfach mal an: "Wir" gehen das überhaupt nicht an, weder zweckgerichtet noch sonst irgendwie nutzenorientiert, höchstens zu unserem Spass. Schade, dass ich das so oft wiederholen muss.
Spieltrieb und Neugier sind ja Grund genug, Linux einfach mal ausprobieren zu wollen
Nicht nur Grund genug, sondern schlicht
erforderlich! Linux braucht einfach einen Vertrauens- und Zeitinvestitionsvorschuss. Das liegt im Kern daran, dass es der Kommerzialität entrückt ist. Dies ist meiner Meinung nach auch der Grund, warum du mit deinen Massstäben - mit denen du bisher sicherlich gut durchs Leben gekommen bist und die ich auch respektiere - bei der Einschätzung von Linux scheiterst. Du wendest ausschließlich deine Lebensweisheit und -erfahrung an, die du in Bezug auf das erste große "Produkt", das in einem kapitalistischen System nicht kommerziell vertrieben wird, nicht haben kannst.
Das verhindert freilich nicht, dass du in Bezug darauf, ob du Linux tatsächlich einsetzen solltest, zur richtigen Entscheidung kommst - aber ich kanns nur nochmal sagen, wenn ich dich anhand deiner Postings des letzten Jahres nicht völlig falsch einschätze, entgeht dir etwas, dass dich normalerweise interessieren könnte/müsste.
Du solltest kritische Fragen nicht mit einer ablehnenden Haltung oder Ignoranz verwechseln.
Mag sein, dass ich speziell dir damit Unrecht getan habe. Wenn dies so ist, entschuldige ich mich dafür. Du musst aber zugeben, dass diese Diskussion zu großen Teilen als stellvertretend für die üblichen Linux-Windows-Auseinandersetzungen gelten kann. Ich habe dabei einfach die Rolle des Linux-Verteidigers gespielt, weil deine Argumente ganz am Anfang mich dazu bewogen haben.
Es ist eine ganz normale Reaktion, die Informationsbeschaffungskosten minimal halten zu wollen. Bevor ich einen Tag lang google, um drei Dutzend ellenlange How-tos und jeweils unvollständige FAQs durchkämme, und das ganze noch durch eine Linux-Probeinstallation ergänze, um genau die Informationen herauszufiltern, die für mich in dieser konkreten Frage interessant sind, frage ich doch lieber jemanden, der selbst Erfahrungen gesammelt hat.
...
Ja, ich bin zu faul, es mir alles selbst herauszusuchen, und das ist auch vernünftig, gut und richtig so.
Diese Haltung ist aber im Kern reiner Egoismus. Wende darauf mal den Kant'schen Imperativ an! Ich weiß, dass dieser Vorwurf bei Dir so unzutreffend wie bei kaum einem anderen in diesem Forum hier ist, da du interessante Informationen aus deinem "Fachgebiet" stets gegenleistungslos - auch an mich - verteilt hast. Ich möchte damit nur versuchen, die von Dir kritisierte ablehnende Haltung vieler Linux-User in solchen Diskussionen zu begründen. Die Open-Source-Bewegung lebt vom Nehmen und
Geben, sie ist keine selbstlos-wohltätige Einrichtung (was übrigens der Kommunismus in seiner Theorie entgegen scheinbar weit verbreiteter Meinung auch nicht ist). Und genau dieses Geben kommt bei vielen, überhaupt nicht computerinteressierten Windows-Anwendern (niemand anderes meine ich mit "Windows-Dumpfbacke") einfach zu kurz. Stattdessen fordern sie Linux-Anwendern immer wieder diese langweilig-ermüdend-ergebnislosen Diskussionen ab, wo einem Computerlaien irgendwelche technischen Vorteile von Linux erklärt werden sollen. Da winken die Linux-Gurus mittlerweile schon von vorherein arrogant gelangweilt ab - und treffen damit zugegebenermaßen auch unschuldige, ehrlich interessierte "Kandidaten". Schade, aber zumindest für mich irgendwo verständlich.
Wenn mich jemand etwas über gepanzerte Gefechtsfahrzeuge des späten 20. Jahrhunderts oder den Yom-Kippur-Krieg fragt, dann gebe ich ja auch bereitwillig Auskunft, weil ich über diese Themen mehr weiß als 99,5% der Weltbevölkerung (natürlich gibt's immer noch jemanden, der's noch besser weiß). Man zapft also Expertenwissen an, und Experten, wenn sie denn nicht mit ihrem Wissen konkret Geld verdienen, geben dann auch gerne Auskunft, weil sie sich in diesem Moment wichtig fühlen und das Gefühl haben, das jahrelange Wühlen nach Fakten hätte vielleicht doch einen Nutzen (egal wie illusionär dieser Glaube auch sein mag).
Eine eigentlich auch von mir sehr geschätze Einstellung! Entschuldigt habe ich mich nun schon, ich würde dich auch gern entschädigen, aber leider kann ich mit Expertenwissen in Bezug auf Linux-auf-dem-Desktop nicht dienen. Ein gewisses Expertenwissen traue ich mir lediglich als "PCPf-Admin v.D." in Bezug auf die Linux-Server-Anwendung zu.
Die Meinung, dass Linux absolut Desktop-tauglich ist, stammt aus meinem Studium. Die Uni an der ich studiere, ist nämlich eine echte Linux-Hochburg. In deren Pools laufen deshalb absolut aktuelle perfekt ausgefeilte Linux-Desktops, die Windows bei diesem Einsatzzweck und in dieser Qualität wirklich in nichts nachstehen, sondern stattdessen viele Vorteile bieten. Der wichtigste ist, dass ich auch in meinem privaten Homebereich jedes Linux-Programm zum Laufen bringe, was bei Windows-Pool-Rechnern aufgrund administrativer Beschränkungen nicht möglich ist.
Selbstverständlich ist das für den Privatanwender mal wieder völlig uninteressant und ich kann auch nicht sagen, welcher Aufwand bei einer solchen Installation anfällt. Dass das mit derzeitigen Distris out-of-the-box möglich ist, glaube ich nicht so recht.
Und deswegen frage ich Dich, ob es einen konkreten Nutzen für mich gäbe, Linux einzusetzen, der den damit verbundenen Aufwand rechtfertigt.
Meine Meinung: Mögen einige deiner Anti-Linux-Argumente auch unzutreffend sein - Nein, einen solchen Nutzen gäbe es für Dich nicht!
Insbesondere für die Punkte Spieletauglichkeit und Windows-Only-Anwendungen (die über das Emulationssystem WINE allerdings zum Laufen zu bringen sein könnten) kann ich dir keine vernünftige Lösung anbieten.
Und nun kommen wir zum wahrscheinlich größten Witz dieses Threads: Diese beiden Punkte sind auch die Gründe, warum selbst auf meinem Desktop Windows läuft und Linux nicht mal als Dual-Boot-Option existiert. *faschingsmässiges Tataa-Tataa-Tataa*
Ich weiß, dass ich mich damit für einige endgültig lächerlich mache, was aber in diesen Fällen wohl keine große Veränderung zu vorher darstellt. Anderen wiederum beweise ich damit vielleicht, dass es mir in diesem Thread tatsächlich nicht ums "zu-Linux-Konvertieren" ging, sondern um den Spass an einer theoretisch-akademischen Diskussion.
Linux setze ich privat nur auf meinem Web-Entwicklungs-Zweit-Rechner ein, an dem allerdings weder Monitor noch Eingabegeräte stecken. Ich greife ausschließlich per Netzwerk auf ihn zu, simuliere auf ihm einen echten Internet-Server zu Test- und Entwicklungszwecken und halte damit die Belastung von HTTP- und Datenbankserverdiensten von meinem Hauptrechner fern.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit an alle die tatsächlich bis hierher durchgehalten haben!
Ciao,
Doc Solo
PS: Gute Besserung Ssnake! Würde ich deine Beiträge nicht so schätzen, würde ich wohl kaum stundenlang (ungelogen, ich gebe es zu) an meinen Antworten feilen.
PPS@DH: Nein, aber das hält sie verständlicherweise auch nicht davon ab, die aus ihrer Sicht natürlich völlig inkompetenten Review-Autoren verbal zu sezieren.