Im Grunde eine sehr nah an Luther angelehnte Haltung, der da schrieb: "Wer nicht arbeiten will, der soll auch nichts essen."
Und ich glaube nicht, daß man Luther eine unchristliche oder menschenverachtende Grundhaltung ernsthaft nachsagen könnte - wohl aber eine Neigung zu prägnanten Formulierungen und deutlich und konsequent vertretenen Meinungen.
Solidarität der Gemeinschaft muß man sich verdienen - mindestens durch den Willen, durch eigene Arbeit zum Gesamterfolg der Gemeinschaft beizutragen. Dabei trägt Egoismus sowohl bei Reich und Arm gleichermaßen zur Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts bei. Mein Eindruck von Deutschland ist jedoch, daß in erster Linie jeder mit dem Finger auf andere zeigt, und zweitens die systematisch bevorzugte Solidaritätsrichtung von Reich nach Arm verläuft. Daß das zu einer Gegenreaktion führt, ist in meinen Augen absolut nicht überraschend. Die Mittel sind begrenzt, der Bedarf unendlich, und Deutschlands Methode, dies ins Gleichgewicht zu bringen, ist, eine enorme bürokratische Hemmschwelle zu errichten.
Wer immer öffentliche Unterstützung will, muß sich durch einen Paragrafendschungel sondergleichen kämpfen, und mancher verliert einfach die Lust daran (oder ist nicht gebildet genug, um die Hürde zu nehmen). Das ist natürlich auch 'ne Art, eigentlich zugesicherte Ansprüche abzuwehren. Mir wäre es lieber, wir würden insgesamt weniger Ansprüche zusichern, die auf die wahrhaft Bedürftigen konzentrieren und die bürokratischen Hemmschwellen reduzieren. Dann könnten wir den Wasserkopf öffentlicher Sozialverwaltung auf ein erträgliches Maß schrumpfen. Es kann doch nicht angehen, daß sich nur 15% aller Angestellten der Arbeitsämter mit der Stellenvermittlung beschäftigen, und die anderen 85% mit der Verwaltung der Stellenvermittler beschäftigt sind. Das ist doch eine krankhafte, absurde Wucherung inmitten unserer Gesellschaft - kein wünschwenswerter Zustand.
Als ich meine GmbH gründen wollte habe ich erfahren, daß man dafür auf jeden Fall ein Klingelschild an der Tür braucht, damit mich die Gewerbeaufsicht auch findet. OK, also den Vermieter gefragt. "Oha!" sagt der, "um die erforderliche Baugenehmigung müssen Sie sich aber kümmern!"
OK, denk' ich, das wird sich ja wohl machen lassen. Meinen Freund im Hochbauamt angerufen. Das Drama konnte beginnen... Um das bestehende Arbeitszimmer in meiner Wohnung in "Büro" umzubenennen, mußte ich eine "Nutzungsänderung" beantragen, da ich ja 10,1 m² kostbaren Wohnraum vernichten wollte um schnöde Gewerbefläche zu schaffen, und das noch dazu in einem Wohngebiet!
Für diese Nutzungsänderung [zu beantragen auf einem sechsseitigen Bauantragsformular in dreifacher Ausfertigung, herunterladbar von der Homepage der Stadt Hannover (immerhin!)] brauchte ich einen Grundriß der Wohnung - die "Baumaßnahme" war rot zu umranden, keinesfalls in einer anderen Farbe! - einen Grundriß der Etage, eine Kopie des Bebauungsplans der Gemarkung (welchen mein Freund in einem beispiellosen Akt der Korruption direkt selbst kopierte anstatt mich auf drei Stunden Irrfahrt durch das Hochbauamt und die Kopierstelle zu schicken), und eine Beschreibung der Tatsache, daß meine bislang erlaubte Tätigkeit auch künftig so fortgeführt werden würde - nur eben im geänderten juristischen Rahmen einer GmbH statt als Einzelunternehmer in beratender Honorartätigkeit (oder wie auch immer der Quatsch offiziell bezeichnet wird).
Zudem: Geschäfte haben Kundschaft und müssen Stellplätze für deren Autos schaffen. Daß meine Kunden alle im Ausland sitzen und ich, wenn überhaupt, zu meinen Kunden fahre anstatt daß diese micht besuchen, daher die Notwendigkeit, eine straßenräuberische Strafgebühr von siebzehntausend Euro (!!!) für die Unmöglichkeit der Bereitstellung eines neuen Stellplatzes entfiele, war den Sachbearbeitern nur schwer beizubringen.
Die Bearbeitung des "Bauantrags" (also der Erlaubnis, mein Arbeitszimmer künftig "Büro der GmbH" nennen zu dürfen) erforderte acht Wochen. Von denen der Antrag nachweislich vier Wochen im Eingangskorb verschimmelte, weil die Innenrevision der Baubehörde eine schnelle Antragsgenehmigung zum Anlaß für Korruptionsermittlungen nimmt und daher jeder Sachbearbeiter tunlichst jeglichen Antrag so lange liegen läßt, bis er durch die Bearbeitungsfristen gezwungen ist, das Ding in letzter Minute fertigzustellen.
Zwischendurch bekam ich dann noch einen kryptischen Fragebogen des niedersächsischen Landesamts für Statistik, der mich eingehend nach meiner "Baumaßnahme" befragte und den ich auf Nachfrage beim zuständigen Sachbearbeiter gar nicht auszufüllen brauchte, weil dieser Fragebogen ohne Ansehen des Sachverhalts vom Sekretariat des Oberbürgermeisters einfach an jeden geschickt wird, der den Fehler macht, mit dem Hochbauamt in Kontakt zu treten.
Das ist die kranke Welt, in der wir leben.