Nur eine kleine Weihnachtsgeschichte.
(Copyright by Florian Schiel)
Der Herr Leisch ist übrigens in dieser Geschichte der B.A.f.H.
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Xmas Again
Es ist Mitte Dezember und die unausweichliche Katastrophe namens
Weihnachtsfeier steht vor der Tuere. In den Kaffeepausen haeufen sich die
dezenten Andeutungen, "dass sich endlich mal jemand um die Jahresendfeier
kuemmern" solle.
Auf unserem Campus heisst die Weihnachtsfeier offiziell 'Jahresendfeier',
seit sich 1992 ein sued-thailaendischer Aushilfsbodenpfleger beim
Personalrat wegen des diskriminierenden Veranstaltungstitels beschwert
hatte. Interessanterweise hatte die Tatsache, dass der sued-thailaendische
Fussbodenkosmetiker im pharmazeutischen Archiv dreissig Kilometer suedlich
des Campus beschaeftigt ist und noch niemals den Campus auch nur betreten
hat, keinerlei Auswirkung auf die flammende Protestnote No. 7869 des
Personalrats an die Uni-Leitung. Die Uni-Leitung hat wie immer schnell
reagiert und nach nur dreieinhalb Jahren ein ministerielles Dekret
erwirkt, in welchem alle Institute der Universitaet angewiesen werden,
den Begriff 'Weihnachtsfeier' zukuenftig in offizieller Funktion nicht
mehr zu verwenden. Frau Bezelmann hat daraufhin in einer laengeren
Korrespondenz mit dem zustaendigen Ministerialreferenten zu Recht
darauf hingewiesen, dass die 'Institute' mittlerweile per Beschluss der
Uni-Leitung abgeschafft und die assoziierten LEERstuehle in sogenannte
'Departments' ueberfuehrt wurden. Dass also das Dekret defacto hinfaellig,
weil gegenstandslos geworden, und dass sie deshalb - und als Angehoerige
eines Departments - keinen Grund sehe, den Begriff 'Weihnachtsfeier' nicht
auch zukuenftig in offizieller Funktion einzusetzen. Nun kann ein nach
dem christlich-sozialen Unfehlbarkeitsprinzip ministeriell abgesegnetes
Dekret nicht so einfach wieder geaendert werden - jedenfalls nicht in
Bayern und nicht solange der betreffende Minister noch nicht offiziell in
einem Parteispendenskandal verwickelt ist. Der Ministerialreferent hatte
also ein Problem. Nach ungefaehr 46 Briefwechseln mit Frau Bezelmann -
alle ueber den offiziellen Dienstweg und einer durchschnittlichen Laufzeit
von 6 Wochen pro Brief -, loeste der Minsterialreferent das Problem,
indem er in den vorzeitigen Ruhestand wechselte. Da seine Planstelle
sowieso auf der Streichliste stand, und somit kein Nachfolger das Amt
uebernehmen durfte, haengt die ganze Sache juristisch gesehen bis heute
in der Luft, wenn auch Frau Bezelmann jeden, der es hoeren moechte (und
natuerlich auch allen, die es nicht hoeren moechten, aber nunmal irgendwie
an ihre Post kommen muessen) erzaehlt, dass sie die Auseinandersetzung
mit dem KuMi (Kultusministerium) triumphal gewonnen habe. Die Folge ist,
dass Frau Bezelmann als einzige am Begriff 'Weihnachtsfeier' festhaelt,
und nicht muede wird, diesen Begriff extensiv zu verwenden - vorzugsweise
in Telefonaten mit der Uni-Verwaltung.
"Man muessste sssich bald um die Organisssation der Weihnachtsssfeier
kuemmern", saeuselt Frau Bezelmann also heute wieder beim
Kaffeetrinken. Alle Anwesenden schauen angestrengt aus dem Fenster
oder blaettern hastig in herumliegenden Werbepamphleten, um ja nicht in
Blickkontakt mit Frau Bezelmann zu geraten.
"Zzzum Beissspiel koennte Leisch diesssessss Jahr mal die
Weihnachtsssfeier organisssieren ..."
Bevor ich noch protestieren kann, bemerkt Marianne kritisch:
"Das halte ich fuer keine gute Idee! Das letzte Mal, als Leisch eine
Veranstaltung organisiert hat, gab es einen Katastrophenalarm im Landkreis
Muenchen!"
Alle schauen Marianne an, und sie merkt ploetzlich, dass sie einen
fundamentalen taktischen Fehler begangen hat: Kritisiere niemals einen
anderen, wenn es sich um eine unliebsame Aufgabe handelt, vor der sich
alle druecken wollen.
"Hrrrm", raeuspert sich der Kollege Rinzling, "dann waere es doch ganz
schoen, wenn Marianne diesmal die Jahresendfeier ..."
Mariannes Protestgeschrei geht in der allgemeinen Akklamation aller
Anwesenden unter. Danach verlassen alle hastig den Kaffeeraum, um nicht am
Ende fuer irgendwelche unangenehmen Teilaufgaben verpflichtet zu werden.
Eine Woche spaeter sind Marianne und ihr Team von zwangsrekrutierten
StudentInnen dabei, den groessten Hoersaal zu dekorieren. Um ihnen
die langweile Arbeit etwas aufzupeppen, drehe ich heimlich bei allen
Lichterketten ein, zwei Laempchen aus dem Sockel und verstecke saemtliche
Tesa-Rollen des LEERstuhls im ausrangierten Raid-Server.
Als ich vom Kaffeetrinken zurueckkomme, hoere ich schon im Treppenhaus
Mariannes wuetende Stimme:
"Himmelherrgottnochmal! Das kann doch nicht sein, dass es am ganzen
LEERstuhl keine Tesa-Rollen mehr gibt! Wie sollen wir denn jetzt die
ganzen Girlanden und Strohsterne befestigen?"
"Wie waer's denn mit Naegeln", schlage ich freundlich vor.
"Naegel? Wieso Naegel?" Marianne starrt mich fassungslos an.
"Das sind kleine spitze Stifte aus Eisen", erlaeutere ich geduldig,
"die man mit einem Werkzeug namens Hammer ..."
"Ich weiss, was Naegel sind!" unterbricht mich Marianne giftig. "Schaff'
sie 'ran, wenn du welche hast!"
Ich eile hinunter in die Werkstatt der Hausmeister-Klingonen und hole
drei 12-Pfuender und die groessten Zimmermannsnaegel, die sie dort auf
Lager haben.
Marianne starrt erst die Naegel, dann mich an.
"Du bist ja wohl voellig bekloppt! Sollen wir vielleicht die Strohsterne
mit zwanzig Zentimeter langen Naegeln befestigen?"
Ich sage, dass dies leider die einzige Sorte Naegel sei, die in der
Werkstatt aufzutreiben sei, und Mariannes Dekorationstruppe macht sich
daran, hauchduenne Girlanden, Lichterketten (die nicht funktionieren)
und Lammetta mit Zimmermannsnaegeln an die jungfraeulich weiss geputzten
Waenden des Hoersaals I zu heften.
Inzwischen kuemmere ich mich um die akustische Untermalung der
Feierstunde. Zum Glueck hat man als technisches Institut ja alle
Moeglichkeiten. Ich installiere also die beiden 800W Studioboxen am
Hoersaalrechner und koppele auch noch den alten Linearmotor aus dem
physikalischen Praktikum mit dem Hoersaalboden, damit die Baesse unter
20Hz so richtig 'rueberkommen. Zum Testen mache ich das, was ich sonst
auch immer mache, um eine Soundkarte zu testen: ich leite einfach den
Kernel auf das Sound-Device. Dummerweise vergesse ich dabei, dass der
Lautstaerkeregler auf Maximum steht. Es gibt ein Geraeusch, das schwer
zu beschreiben ist, weil jeder, der es hoert, entweder reflexartig seine
Haende auf die Ohrmuscheln haut oder ohnmaechtig wird. Der missglueckte
Soundtest kostet uns einen Hochtoener und drei Studentinnen, die zu nahe
am Linearmotor standen. Der Hoersaalboden bekommt einen leichten Riss,
haelt aber stand.
Nachdem ich mich angemessen entschuldigt habe, mache ich mich auf die
Suche nach den CDs mit Weihnachtsgedudel vom letzten Jahr, finde aber am
ganzen LEERstuhl nur eine CD mit AC/DC. Close enough, denke ich und lasse
'Highway to Hell' anlaufen.
Frau Bezelmann ruehrt mittlerweile die Bowle an - unter genauer
Aufsicht vom Kollegen Rinzling, der behauptet, letztes Jahr waere zu
wenig Alkohol in der Bowle gewesen. Damit das dieses Jahr nicht wieder
passiert, bereichere ich die fertige Bowle unbemerkt mit einen Liter
medizinischen Alkohol, den ich in der anatomischen Sammlung geklaut
habe. Um die etwas gruftige Geschmacksnote zu ueberdecken, mische ich
noch rasch ein Paeckchen mexikanischen Chili hinein.
Eine Stunde spaeter ist die Jahresendfeier in vollem Gange. Das
heisst: alle zwangsverpflichteten Mitarbeiter und Studenten sitzen
im Dunkeln herum (die Lichterketten gehen immer noch nicht), beissen
sich an Frau Bezelmanns steinharten Plaetzchen die Zaehne aus und
nippen misstrauisch an der Bowle. Der Vorschlag Jennys, man solle doch
gemeinsam ein Weihnachtslied bzw. ein Jahresendfeierlied singen, wird
mit Hohngelaechter abgeschmettert. Man kann einem Studenten zwingen,
an so etwas teilzunehmen, aber einen letzten Rest von Wuerde darf man
ihm nicht nehmen!
Bevor noch die ersten Schnappsleichen unter die Tische rutschen, kommt als
Hoehepunkt (und einziger Programmpunkt) der traditionelle Auftritt des
Nikolaus bzw. des Jahresend-Mannes. Der Jahresend-Mann ist traditionell
in Rot gewandet und traegt den vorgeschriebenen Wattebart, durch den
die Stimme leider etwas gedaempft klingt. Er hat diese Jahr sogar einen
Grampus dabei, der die versammelte Jahresendfeier finster mustert.
(Zur Information fuer Leser, die mit dem heidnischen Konzept des Grampus
nicht vertraut sind: Der Grampus ist der daemonenhafte, wueste Begleiter
des Nikolaus, der im Allgemeinen fuer das Erschrecken der kleinen Kinder
zustaendig ist. Normalerweise hat er ein schwarzes Gesicht und traegt
eine Rute.)
Dieser Grampus hier hat ebenfalls einen, allerdings schwarzen Bart
umgehaengt und schwenkt statt einer Rute drohend einen Posaunenkasten.
"Ho, ho ... aehm ... ho, ho, ho" sagt der Nikolaus feierlich und raeuspert
sich ausgiebig. "Aehm ... aeh ... von ... hm ... von draussen ... nein
... aehm ... von drauss' vom Walde ... aeh ... Walde komm' ich her
... aehm ... ich muss euch sagen .... hrrrm ... sagen ... hmm ... sagen,
es weihnachtet ..." (Zwischenruf: "Jahresendfeiert!") "... aeh ... sagen,
es jahresendfeiert sehr ... hm ... wo ... aeh ... wo habe ich jetzt mein
... aehm ... mein Manuskript ...?"
Die Rede des Nikolaus dauert in diesem Stil fast eineinhalb Stunden,
hauptsaechlich deshalb, weil der Chef sein Manuskript verlegt hat
und beharrlich versucht, sich an alle genialen Formulierungen zu
erinnern. Marianne gibt ihr Bestes als Grampus, um die allgemeine
Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten, und zieht einigen Mitarbeitern,
die drohen wegzuduseln, den Posaunenkasten ueber den Schaedel. Trotzdem
fallen einige der Anwesenden wegen akuter Langeweile ins Koma.
Kaum ist der Auftritt des Nikolaus vorbei, geht eine der aus Lametta
und Teelichtern improvisierten Lichterketten in Flammen auf. Die
Feiernden verlassen fluchtartig den Hoersaal - vermutlich heilfroh,
so leicht davongekommen zu sein -, und ich alarmiere pflichtschuldigst
die staedtische Feuerwehr. Der Diensthabende am Telefon gesteht mir
saeuerlich, dass sie eigentlich schon seit zwei Stunden auf den Alarm
gewartet haben, und dass ich ihnen doch bitte auch naechstes Jahr den
Termin unserer Jahresendfeier im voraus mitteilen solle.
Viel spaeter, als der Chef und Marianne sich ihrer Verkleidungen
entledigen wollen, stellt sich heraus, dass irgendein Spassvogel den
Bartkleber mit Superkleber vertauscht hat.
Alles in allem eine sehr erfolgreiche Jahresendfeier. Ich zumindest habe
viel gelacht.