Hardbern hat geschrieben:Ssnake hat geschrieben:Abgesehen davon, daß ich Chellie nur weitgehend zustimmen kann, gibt's in einer Hinsicht auch nicht viel zu verstehen: Ich habe von den nächsten vier Jahren gesprochen, und die Stagnation beziehe ich nicht nur auf die letzten vier, sondern auf die letzten zwanzig.
Was Rot-Grün in den letzten Jahren verändert hat, war entweder im Ergebnis irrelevant (Steuer- und Rentenreförmchen, Atomausstieg), oder es ging in die falsche Richtung (Sozialversicherungs- und Steuerpflicht für 630DM-Jobs - insbesondere, wenn man bedenkt, daß der Versicherungspflicht keine Leistungen gegenüberstehen. Es ist reine Abzocke. Oder die Stärkung des Kündigungsschutzes, oder das gesetz gegen AScheinselbständigkeit. Alles gut gemeint, schlecht gemacht, und in der Konsequenz umständliche bürokratische Monstren. Musterbeispiele sozialdemokratischer Regelungswut - und Däubler-Gremlin war immer vorn mit dabei)
Ich sag' ja nicht, daß bei Kohl alles gold war. Nur Schröder hat wenig anders gemacht, und das wenige hat nichts gebracht außer noch mehr Arbeitslosen und weiteren bürokratischen Scherereien.
Ich verstehe es immer noch nicht, Du meinst die letzten zwanzig Jahre und hast die FDP zur Wahl in Erwägung gezogen bzw. auch noch gewählt? Die wahren doch 16 Jahre lang an der Macht und den meisten unerledigten Mist haben/hatten wir dieser Koalition zu verdanken.
Ich weiß aber auch, wer da wen immer zur Jagd tragen mußte. Wie gesagt, ich bin kein FDP-Anhänger, aber ein FDP-Wähler, weil ich bei denen noch am ehesten den Willen zu Veränderung in jenen Bereichen erkennen kann, in denen Deutschland besser werden muß, wenn wir nicht noch tiefer in die englische Krankheit hineingleiten wollen.
Z.B. bevor die SPD alles (imho zurecht) im Bundesrat blockiert hat. Wie vergesslich doch die Leute sind.
Schon klar - wenn die Blockade nur in die vermeintlich richtige Richtung geht, dann ist's wieder progressiv. Ich hab's nicht vergessen, aber bei Dir verdeutlicht sich wieder die Macht der Verdrängung. CDU und SPD haben gleichermaßen Schuld am Stillstand, weil sie sich dem volkswirtschaftlich unvernünftigen Diktat der Gewerkschaften unterwerfen.
Nebenbei bemerkt finde ich das mit dem Zurücknehmen der Lockerung des Kündigungsschutzes gut.
Gut für die Arbeitsplatzbesitzer, zu denen Du ja wohl auch gehörst. Weniger gut für diejenigen, die auch in den Club wollen. Weil es nämlich die Unternehmen sind, die dann Schwierigkeiten haben, die Personalstärke den wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen.
Das Spiel ist doch seit Jahren dasselbe: Die Gewerkschaften erwirken zu hohe Lohnabschlüsse, und beschweren sich anschließend darüber, daß die Betriebe immer mehr in die Automatisierung ausweichen, um den Kostendruck durch die Gehälter zu senken. Dann lassen sie die ihnen ergebenen Parteien im Bundestag den bürokratischen Aufwand für Entlassungen weiter erhöhen, was für den Unternehmer im Wesentlichen zu einem Signal zusammenläuft: Stell bloß niemanden ein, selbst wenn Du es Dir im Moment leisten kannst, denn Du wirst ihn nur schwer wieder los, wenn Du kein Geld hast, um ihn zu bezahlen. Mit anderen Worten, die Betriebe lassen Überstunden kloppen daß die Schwarte kracht, wenn die Konjunktur anzieht, und schon schreien die Gewerkschaften wieder "Foul!", weil sie in ihrer Betriebsblindheit nicht sehen wollen, daß das die Konsequenz ihres eigenen handelns ist.
Es kommt noch schlimmer - die Unternehmen expandieren beim wirtschaftlichen Wachstum langsamer als sie könnten, weil sie keine zusätzlichen Leute einstellen. Dadurch wächst das Angebot an Arbeitsplätzen langsamer, als es könnte, das Steueraufkommen fällt hinter das zurück, was eigentlich erwirtschaftet werden könnte, und die Sozialkassen bleiben stärker belastet als nötig. Dadurch steigen die Beiträge, was die Lohnnebenkosten erhöht und den Betriebsfaktor menchliche Arbeit noch weniger attraktiv macht.
Ich weiß auch gar nicht, was Du an radikalen Änderungen erwartest (vielleicht die Abkehr von der sozialen Marktwirtschaft und Übergang zum knallharten Kapitalismus?), dass würde mich mal interessieren.
Kauf' Dir mal den aktuallen Spiegel, Seiten 20 bis 50. Der Spiegel steht ja nicht gerade im Ruf, die Interessen der kapitalistischen Hyänen zu vertreten, für die Du mich ja offenkundig hältst.
Ich sage nur eins: Wir kuscheln uns hier alle ins Federbett und freuen uns, daß es so schön mollig ist - und übersehen dabei, daß die Hütte in Flammen steht. Keiner will es wahrhaben, wenn jemand sagt, daß es nach Rauch stinkt, sondern man wirft den Warnern im Gegenteil vor, die Atmosphäre zu vergiften und alles mies zu machen, obwohl es doch offenkundig alles prima ist. Na denn, ich wünsche weiterhin süße Träume.
Und zur Steuerreform noch mal: Ich (Steuerklasse I)habe im letzten Jahr bei gleichem Einkommen über 500,00 Mark weniger an Lohnsteuern gezahlt als 2000. Das ist doch was.
Es kommt noch besser - viele Konzerne mußten letztes Jahr viele Millionen weniger Gewerbesteuern zahlen - an die Städte. Die bezahlen nämlich Eichels Zeche. Ist doch total super - oder etwa nicht?
Wenn Du demnächst mal wieder ein paar Schlaglöcher auf den Straßen siehst, oder den Putz bewunderst, der in den Schulen Deiner Kinder von den Wänden bröselt - grüß sie schön von mir.
Das wir zur Zeit weniger Arbeitslose haben als unter Kohl wollte ich Dir auch noch mal mitteilen (Kohl = 4,2 Millionen). Wir haben zur Zeit also nicht mehr sondern weniger.
Leider ist die Zahl der Erwerbstätigen nicht gestiegen. Das wäre nämlich die volkswirtschaftlich relevante Zahl. Stattdessen sind eine halbe Million Leute mehr aus dem Berufsleben ausgeschieden als unten nachgewachsen sind - und trotzdem ist die Zahl der Arbeitslosen nicht zurückgegangen. Ja, schon klar, alles eine Verschwörung der Erzkapitalisten, die die Arbeitsplätze weghexen.
Und wieso ist bitte schön der Atomausstieg irrelevant?
Erstens halte ich die Gefahren der Atomenergie für massiv übertrieben. Aber über Ideologie kann man nicht streiten, man kann sie nur ablegen, wenn man Glück und Verstand hat. Nur für den Fall, daß man nach der Atom-Apokalypse, die irgendwie nicht eingetreten ist, und dem Waldsterben, das nicht stattgefunden hat, nun an den Klimatod glaubt: Atomkraftwerke sind nachweislich die einzige Technologie, die CO2-frei ist und Energie in der nötigen Menge bereitstellen kann, wie es ein industrialisiertes Land wie Deutschland nun mal benötigt.
Der sicherste Atomreaktor der Welt, der HTR in Hamm-Uentrop, ist in den 90ern von Sozialdemokraten zuerst abgeschaltet worden. Bei dem war eine Kernschmelze technisch vollkommen unmöglich (nicht "sehr, sehr unwahrscheinlich", sondern wirklich:
Unmöglich). Ja nee, is klar: Macht Sinn.
Ich bestreite ja nicht, daß Atommüll ein Problem ist - aber die Würmer sind schon aus der Dose, ein paar mehr machen den Kohl jetzt auch nicht mehr fett. Ob wir die vorhandenen 100.000 Tonnen radioaktiven Müll nicht verantwortlich lagern können, oder in Zukunft mit 120.000 Tonnen nicht klarkommen, ist bei nüchterner Betrachtung wohl egal. Ich vermute, daß unsere Nachkommen nicht so doof sind wie wir - ich traue denen was zu - und die ohnehin nicht schlechten Lösungen, die wir schon haben, weiter verbessern werden.
Die Lust am Untergang geht mir gehörig auf den Sack. Es ist ja nicht verkehrt, auf Probleme hinzuweisen - aber die Hysterie, mit der man auf die erkannten Herausforderungen reagiert, ist auch nicht hilfreich. Bei Tschernobyl haben die Hysteriker von hunderttausenden von Toten gesprochen. Tatsächlich sind von den 100 Feuerwehrmännern, die den offenen Reaktorkern zugeschaufelt haben, 40 gestorben. Zugegeben, den anderen geht es beschissen, und ich will auch nicht die ca. 2000 Kinder mit Schilddrüsenkrebs verleugnen (wobei auch mal gesagt werden sollte, daß diese Krebsart recht gut behandelt werden kann). Es sind zweifellos sehr harte und traurige Schicksale. Dennoch: Von den kolportierten Hiroschima-Zahlen sind wir so weit entfernt, wie man sich das nur vorstellen kann. Wieder mal wurde maßlos übertrieben, und das führt in der Konsequenz zu irrationalen Entscheidungen.
Ich bin sicher: Die Entscheidung zum Ausstieg wird noch vor dem Vollzug des Ausstiegs von unseren Kindern wiederrufen werden. Dann sind wir alte Tattergreise, die sich darüber beschweren, daß unsere Kinder nicht auf uns hören wollen - geschieht uns recht.