Fr, 18. Nov 2005, 02:03
Unabhängig davon, wie man das ethische Grundverständnis von Herrn Müller bewertet, finde ich doch, daß man hier den Esel meint während man den Sack prügelt.
Es ist schlichtweg naiv, auf so etwas wie "soziale Verantwortung" zu setzen, wenn Wirtschaftsinteressen im Spiel sind. Und ich habe auch den Verdacht, daß hier so mancher eine bequeme Doppelmoral ins Feld führt, schließlich wird ja auch routinemäßig bei jeder Steuererklärung beschissen, wenn es um die Entfernung zum Arbeitsplatz und andere Abschreibungsmöglichkeiten geht. Und ich finde sehr wohl, daß das vergleichbar ist, weil der volkswirtsachaftliche Gesamtschaden durch massenweise, dezentrale Steuerhinterziehung wahrscheinlich sogar noch deutlich höher ausfällt.
Einerlei, auch wenn man diesen Aspekt außen vor läßt: Wann immer der Gesetzgeber Subventionen einführt oder meint, das Steuerrecht als Lenkungsinstrument für wohlgefälliges Bürgerverhalten einsetzen zu müssen, muß ihm bewußt sein, daß Mitnahmeeffekte unausweichlich sind.
Das ist der zentrale Grund, warum ich überhaupt grundsätzlich gegen Subventionen eingestellt bin. Sie mögen in sehr wenigen, wohl begründeten Ausnahmefällen auch mal was Gutes bewirken - in aller Regel aber sind sie deutlich schädlicher als der Nutzen, den eine Volkswirtschaft aus ihnen ziehen kann.
Subventionen sind eine Einladung an alle Trittbrettfahrer. Das ist so. Darüber zu klagen ist naiv. Wer keine Trittbrettfahrerei will, muß gegen Subventionen als solche kämpfen. Wer das tut, wird in der Regel von denselben Leuten, die Herrn Müller Scheiße finden, reflexartig als kalter "neoliberaler" Sozialnetzzerschnippler diffamiert, wie das gerade neulich Herrn Kirchhof passiert ist.
Die ganze "Sendung mit der Maus"-Rhetorik kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß auf primitive Weise ein Sündenbock gesucht wird für einen im Kern verfehlten Politikansatz. Was im Wirtschaftsleben moralisch vertretbar gilt, hängt in Deutschland stets vom Grad der eigenen Betroffenheit ab. Wer keine unternehmerische Verantwortung zu tragen hat, tut sich leicht, die Entscheidungen von Unternehmern zu verteufeln. Ich will damit nicht schönreden, was der Herr Müller da getan hat - aber wir kennen den Sachverhalt nun mal ausschließlich aus der Perspektive einer Schmähschrift, die auch bewußt als solche angelegt ist, und allein schon deswegen weder den Anspruch von Objektivität erhebt noch den Kriterien einer unabhängigen Berichterstattung unterworfen ist. Allein auf dieser Basis werde ich mich keinem Werturteil anschließen, egal in welche Richtung.
Ich denke auch, daß überhaupt jeder Ansatz, mit blutendem Herzen moralische Anklagen in Wirtschaftsdingen in die Diskussion zu werfen, letzten Endes ausschließlich dazu dient, daß wir uns gegenseitig unserer moralisch-ethischen Überlegenheit versichern und zugleich der weit unbequemeren Frage ausweichen, was denn die eigentliche Ursache des beklagten Mißstandes ist - und wie man ihn beheben könnte.
Es ist schön einfach auf jemanden zu zeigen mit den Worten: "Dieser Mensch ist böse!"
Da müssen wir nicht mehr nachdenken, warum er so handelt, denn er ist schließlich böse. Wenn wir aber wirklich wollen, daß sich die Dinge bessern, statt nur mit dem Finger zu zeigen und moralische Entrüstung zu demonstrieren, dann müssen wir lernen zu verstehen, wie Wirtschaft funktioniert, und was man tun kann, um die Energien der Menschen in produktivere Bahnen zu lenken als die Überlegung, wo noch ein paar Fördermittel abzugreifen oder Steuern zu sparen sind.
Komplizierte Regelmechanismen sind in aller Regel störungsanfällig. Der "Fall Müller" ist in diesem Sinne bloß Indikator, daß an den Steuerungsmechanismen ein Mangel herrscht, der, und das ist eben der Witz an der Sache, nicht durch die Einführung zusätzlicher Regelmechanismen, sondern durch das Weglassen von solchen zu beheben ist. Diesen fundamentalen Sachverhalt begreifen leider nur wenige.