Ich gestehe, ich bin ein sehr böser Mensch... weil ich auf dieses Argument nur gewartet habe...
Norman Myers schrieb 1979 (
The Sinking Ark), daß jedes Jahr 40.000 Arten ausgerottet würden, 109 pro Tag. In den recht populär gewordenen US-Bericht an den Präsidenten,
Global 2000, wurde diese Behauptung mehr oder minder unverändert übernommen. Al Gore hat diese zahl in einem seiner Bücher zitiert (aber natürlich auch nicht auf Richtigkeit überprüft). Es gibt noch eine Zahl weiterer Schätzungen dieser Art, bis hin zu 250.000 Arten jährlich.
Diese Schätzungen stehen in einem grotesken Mißverhältnis zur empirischen Erkenntnis. Diese deutet eher auf 0,7% Ausrottungsrate über die nächsten 50 Jahre.
Soweit es
bekannte Spezies betrifft, hat es noch nie so viele gegeben wie heute. Nun ja, noch nie hat man so viele entdeckt und dokumentiert wie heute, zumal man für die Vergangenheit ja auf Paläontologen angewiesen ist, die ihre Funde aus Stein herausmeißeln müssen, und nur ein geringer Teil aller toten Tiere und Pflanzen stirbt unter Bedingungen, die eine Konservierung in Stein ermöglichen. Also, wie viele Spezies sich in ferner Vergangenheit auf unserem Planeten befunden haben, können wir letztlich nicht genau sagen. Was aber gewiß ist, ist die Tatsache, daß jede lebende Spezies eines Tages aussterben
muß, das liegt in der Natur der Evolution.
Etwa 95% aller Spezies, die uns bekannt sind, sind ausgestorben. Zynisch formuliert könnte man behaupten, daß es der Normalzustand einer Spezies sei, ausgestorben zu sein - aber lassen wir das. Es bedeutet jedoch, daß angesichts der bekannten, gegenwärtig auf diesem Planeten lebenden 1,6 Millionen Spezies, mit einer natürlichen Aussterberate von etwa zwei Spezies pro Jahrzehnt zu rechnen ist. Erst wenn es darüber hinausgeht, besteht also Anlaß zur Sorge.
Seit etwa 1600 gelten 1033 Spezies als ausgestorben, das wären also etwa 25 pro Jahrzehnt, und damit deutlich über dem Schnitt. (Man schätzt, daß die "im Einklang mit der Natur lebenden" Naturvölker der Steinzeit etwa 33 Familien von Wirbeltieren durch Jagd ausgerottet haben, und die polynesischen Ureinwohner etwa 2000 Vogelspezies komplett aufgegessen haben - soviel zur These, daß der Planet ohne Industrie ein besserer Ort wäre).
Nun ist es aber leider so, daß zwischen "Ausrottung" und "nicht gesichtet" ein feiner Unterschied besteht. Wenn Biologen also eine bestimmte Spezies im Wald oder Meer nicht finden, ist das kein Nachweis der Ausrottung. Tatsächlich gibt es schlichtweg nicht genug Biologen um sicher nachweisen zu können, daß behauptete Ausrottungen auch tatsächlich erfolgt sind. Das mag jetzt zynisch klingen, aber man muß einmal darauf hinweisen, daß die Zahl der seit mehreren Jahrzehnten gesuchten und nicht gefundenen Spezies sehr, sehr klein ist.
Woher kommt also die Behauptung, daß jährlich 40.000 Spezies ausgerottet würden?
Erstmalig wurde das 1979 von Norman Myers behauptet. Seine Argumentation verlief so:
Bis zum Jahr 1900 sei alle vier Jahre eine Spezies ausgestorben (einen Beleg dafür liefert er freilich nicht). Seit 1900 sei es eine Spezies pro Jahr (wiederum kein beleg für die Behauptung). Dann zitiert Myers eine Konferenz von 1974, bei der man eine Abschätzung gewagt habe, nach der wohl 100 Spezies jährlich ausgerottet würden. Das schloß nun eine definitionsgemäß unbekannte "Dunkelziffer" ein - war also letztlich auch bloß eine Behauptung. Myers fuhr dann fort mit der Annahme, daß es alles irgendwie noch schlimmer käme und daß bestimmt einmal 100 Spezies pro Tag ausgerottet werden würden.
Das war's. Das war die ganze Begründung dafür, warum er die höchste bekannte Schätzung vervierhundertfachte, welche wiederum das vierzigfache des beobachteten Wertes betrug. Naja, was ist schon ein Faktor von 16.000 unter Freunden?
Unter
Wissenschaftlern, sollte man meinen, ginge das denn doch nicht durch.
Die Studie
Global 2000, 1980 gerichtet an den ameriknischen Präsidenten Jimmy Carter, übernahm diesen maßlos aufgeblasenen Wert jedoch kritiklos. Nein, nicht ganz: Der verantwortliche Biologe Thomas Lovejoy konstruierte ein Modell, um die Myers-Behauptung zu bestätigen. Und dieses Modell geht so:
- Viele Spezies finden sich in dne tropischen Regenwäldern.
- Werden diese Wälder in Ruhe gelassen, ist alles prima, niemand muß aussterben.
- Holzen wir die tropischen Regenwälder komplett ab, dann müssen alle Spezies aussterben.
- Werden die Regenwälder zur Hälfte abgeholzt, dann nehmen wir einfach mal an, daß ein Drittel aller Spezies aussterben werden.
Fertig. Das ist alles. Man nahm einfach an, daß die Regenwälder zu 50-67% verschwinden würden, also müßten 33-50% aller dortigen Spezies aussterben, was etwa 20% aller bekannten Spezies entspräche.
Also, nur mal um der Diskussion willen angenommen, daß es tatsächlich so wäre. Werden dann 20% aller Pflanzen und Wirbeltiere aussterben? Nein. Selbst wenn es genau so käme wie diese beiden Biologen behauptet haben (und mehr als wildes Raten ist das nicht!), dann betrifft das zu 95% lediglich Schimmelpilze, Algen, Viren, Bakterien, und Insekten. Das sind typischerweise solche Spezies, deren ökologische Nischen (wenn sie denn welche besetzen) in Windeseile von konkurrierenden Mikroorganismen / Insekten übernommen werden. Ein ökologischer Schaden entsteht dadurch nicht wirklich.
Die wirklich bedeutsame Frage ist aber, ob diese Modell"rechnungen" sich irgendwie mit der beobachteten Faktenlage zur Deckung bringen lassen.
Ein Teil der Skalierungen läßt sich wohl auf ein Modell von dem Biologen E.O. Wilson zurückführen, das er in den 1960er Jahren
für Inseln entwickelte, und da funktioniert das Modell auch gut - zumindest für Wirbeltiere und Blütenpflanzen. Nach diesem Modell schrumpft die Biodiversität um 50%, wenn die Landfläche um 90% reduziert wird. Glücklicherweise ist dieses Modell auf Kontinente absolut nicht übertragbar. Inseln sind, den einen oder anderen Biologen mag das überraschen, von Wasser umgeben. Schrumpft die Landfläche, können die Spezies nicht ausweichen. Beim Abholzen einer Waldfläche im Amazonas sieht die Sache aber anders aus - der Papagei flattert einfach zum nächsten Baum, während der alte Baum umkippt.
Historisches Beispiel: In Europa und Nordamerika sind 98-99% des urzeitlichen Primärwalds abgeholzt und später wieder aufgeforstet worden. An der US-Ostküste beispielsweise wurden die Wälder binnen zweier Jahrhunderte komplett abgeholzt und durch Baumpflanzungen ersetzt - von lediglich einer einzigen Vogelart weiß man, daß sie dabei ausgestorben ist.
In Puerto Rico haben Studien ergeben, daß innerhalb der dokumentierten besiedlung von 400 Jahren 99% des ursprünglichen Waldes abgeholzt wurden. Sieben von 60 bekannten Vogelarten starben aus, heute gibt es auf der Insel 97 bekannte Vogelarten. Und dabei ist Puerto Rico immerhin eine Insel, da hätten nach Wilsons Daumenregel immerhin 75% aller Vogelarten aussterben müssen - also 45 von 60, stattdessen siedeln da jetzt frecherweise 97 Vogelsorten.
Könnte es also sein, daß mit den Modellrechnungen etwas nicht stimmt?
Manche Biologen sagen, daß es viele Anekdoten von Ausrottungen gäbe. Ein gern erzähles Beispiel ist so ein Berghang in Ecuador, den Bauern zwischen 1978 und 1986 gerodet haben, und dabei seien 90 Arten ausgerottet worden. 1992 hat mal einer nachgeguckt und nach kurzer Zählung 17 der angeblich ausgerotteten Spezies gesichtet. Bei gründlicherer Untersuchung wären möglicherweise noch erheblich mehr gefunden worden.
Beispiele dieser Art ließen sich noch weiter aufzählen. Ich belasse es erst mal dabei - die Heia ruft. Tut mir leid, wenn ich hier die eine oder andere Gewißheit erschüttere... vermutlich halte ich auch Dinge für gewiß, wo ich nicht alle Fakten geprüft habe. Man bedenke aber stets, daß Aktivisten jeglicher Couleur gerne die schlimmstmögliche Hochrechnung präsentieren um deutlich zu machen, wie wichtig ihr Anliegen ist. Und die meisten Journalisten können ohnehin nicht richtig mit Statistiken umgehen und verzerren das Bild dann weiter. Sowas muß dann nur noch oft genug zitiert werden, um als allgemeingültige Wahrheit wahrgenommen zu werden.
Also, haut mich bitte nicht, nur weil ich mich weigere, allgemein akzeptierte Behauptungen nicht zu hinterfragen. Normalerweise habe ich aber gute Gründe, wenn ich zynische Tabuverletzungen begehe...