Realitätsfern im Sinne der Umsetzbarkeit? Ja, das sagt er sogar selbst, daß die Politik bei allem, was wirklich etwas bringt, wohl an Widerständen scheitern würde. Aber so realitätsfern wie die Position von Jürgen Trittin, der sich bereits vor langer Zeit von den Fakten verabschiedet und sich stattdessen auf seinem moralischen Hügel verschanzt hat, um jeden, der vielleicht mal pragmatisch an die Problematik herangehen möchte, von dort aus mit schlauen Sprüchen zu beschießen und sich für wenig erreichtes selbst auf die Schulter zu klopfen, ist er mit Sicherheit noch lange nicht.
Wenn dann ein ausgesprochen dünnes Protokoll, das noch dazu den größten CO2-Produzenten der Welt aufgrund vertraglichlicher Ungeschicktheiten kategorisch von der Unterzeichnung ausschließt, als schwache Leistung zu bezeichnen, bereits "extrem" ist - nun gut, dann ist die extreme Meinung diesmal einfach die Stimme der Vernunft.
Das größte Problem, das Herr Tol mit Kyoto hat, ist wohl auch einfach die Art, wie Dritte-Welt-Länder - und damit jene, die aufgrund ihrer geographischen Lage am meisten unter deutlichen Klimaveränderungen zu leiden hätten - bei den Regelungen zum Emissionshandel vom Westen brutal und gezielt über den Tisch gezogen wurden. Ein Beispiel: die Wiederaufforstung von Wald ist für viele arme Länder mit wenig technischem Know-How die beste Möglichkeit, sich am Klimaschutz zu beteiligen und so auch etwas Geld in Emissionshandelsprämien dazu zu verdienen. Tatsächlich wird aber Aufforstung nur mit einer schlappen Pauschalprämie pro Hektar vergünstigt anstatt entsprechend der Menge CO2, die eine solche Fläche der Amtosphäre entzieht. Während also Firmen in westlichen Industrieländern mit Fortschritten bei der Energieausnutzung richtig Asche machen können, wird die Dritte Welt mal wieder mit einem Almosen abgespeist, während man gleichzeitig ihre Chancen auf Wirtschaftswachstum hemmt und sie dann irgendwann den sie besonders hart treffenden Folgen des Klimawandels überläßt. Na spitze. Aber natürlich kein Wunder, wenn westliche Staaten mit dreißig Klimaexperten anreisen, während arme Länder nur einen Diplomaten schicken können, der auch noch für vier andere Fachgebiete zuständig ist.
Da ich aber natürlich hier nicht den ganzen Artikel abschreiben kann, empfehle ich einfach mal, das Ding selbst zu lesen.
@Abdiel:
Ich würde Herrn Tols Aussagen wie folgt interpretieren: Deutschland hat für den Klimaschutz wenig Effektives getan. Erhebliche Mengen der CO2-Ausstoß-Reduzierung wurden dadurch erreicht, daß große Teile der Industrie im Osten nach der Wende zusammengebrochen sind - was ja nie beabsichtigt, sondern ein unerwünschter Effekt war, der ja u.a. auch so gewisse gesellschaftliche Problemchen mit sich bringt, um's mal milde auszudrücken. Die USA haben in der Industrie ihre Energie bezogen auf das, was wirklich produziert wurde, laut Tol effektiver eingesetzt.
Das bedeutet hingegen
nicht, daß sie deshalb nicht trotzdem unter dem Strich der größte Umweltsünder sind, aber liegt das nicht in erster Linie an einer ineffektiv arbeitenden Wirtschaft, sondern an teilweise exzessivem Energieverbrauch der privaten Nutzer - sei es durch Klimanlagen, die das ganze Jahr über auf Hochtouren laufen, oder durch dicke SUVs, die Sprit schlürfen wie Deutsche Bier. Tol kritisiert, daß eben dieser Bereich generell unangetastet bliebe - womit es eben nicht wirklich helfen würde, wenn die USA Kyoto unterzeichnen bzw. nicht katastrophale Folgen hat, die mit Kyoto vermieden werden könnten, wenn sie es tun. Er argumentiert also in die Richtung, daß man, anstatt die "bösen USA" zu beschimpfen und sich in der eigenen Selbstgefälligkeit zu baden, noch einmal die Ärmel hochkrempeln und das gesamte Klimaschutzprogramm grundlegend überarbeiten müßte.
Grüße von
ButtSeriously
In memoriam PC Player 1/93 - 6/2001