Dirty Harry hat geschrieben:@ Butt: Ich denke man kann - wenn man will - gewisse Parallel sehen oder -wenn man das will - sie auch völlig leugnen. Wie so oft liegt die Wahrheit wohl dazwischen. In einigen Jahren wird man schlauer sein.
Die Frage ist für mich nur: Sind diese Parallelen in erster Linie konstruiert oder empirisch wirklich nachweisbar? Resultieren sie aus oberflächlichen Detailvergleichen oder gibt es echte strukturelle Parallelen? Aus meiner aus persönlichem Interesse durchaus recht umfangreichen Beschäftigung mit den Themen Drittes Reich und Neocons sage ich ganz klar: Eher ersteres.
Zu Guantanom: Habe ich ja gesagt daß die Dimensionen ganz anders sind,andererseits denke ich daß zumindest die westliche Welt heute moralisch deutlich weiter ist als damals, daher finde ich es auch erschreckend daß gerade Amerika unnötigerweise in solch menschenverachtende Handlungsweisen zurückfällt.
Ich bekomme hier doch ein wenig Zweifel, ob Du meine Aussage zu diesem Thema wirklich gelesen hast: Es ist mehr als eine Frage der Dimension, sondern auch eine Frage der zu Grunde liegenden Struktur: Wie sind die Auswahlkriterien dafür, wer nach Guantanamo geschickt wird? Wie ist das dortige Vorgehen? Welche Zielsetzungen werden dabei verfolgt? Zwei von drei Punkten sind völlig anders als bei den KZs, einer teilweise anders. Daraus resultiert mein Schluß, daß Guantanamo und KZs eben nicht vergleichbar sind.
Daß es ein niederträchtige, unrechtsstaatliche und sofort abzuschaffende Einrichtung ist, gegen die man weiterhin lautstark wetter darf und sollte, steht dabei für mich völlig außer Zweifel. Doch der Vergleich mit den Vernichtungsprogrammen des Nazi-Deutschland ist eben unangebracht. Wozu braucht man den auch? Es gibt tausend tadellose, rationale Argumente gegen Guantanamo. Es ist unnötig, die blöde Hitler-Keule aus der Kiste zu holen.
Zum Thema daß der Irak ein menschenverachtendes System war: Das ist natürlich richtig, aber gibt das Amerika das Recht einen völkerrechtswidrgen Krieg zu führen? Wenn sich das größte und mächtigste Land nicht an die Regeln hält die es selbst mit aufgestellt hat legitimiert man dann andere Staaten sich auch nicht mehr daran zu halten. Das Regime in Bagdad hätte auch mit politischen Mitteln gestürzt werden können, da wäre dann den Amerikanern aber nicht der freie und alleinige Zugang zum Öl gewährt gewesen.
Die Frage, die Du hier eher rhetorisch stellst, halte ich für eine echte: Was gilt es eher zu achten: Menschenrecht oder Völkerrecht? Dieses Dilemma ist leider nicht gerade einfach zu beantworten - wie ja auch der Fall im Kosovo gezeigt hat. Der dortige Einsatz hatte kein UN Mandat und war völkerrechtlich alles andere als unumstritten.
Ich behaupte weder, darauf eine Antwort zu haben, noch daß die US-Regierung nicht am Öl interessiert war, noch daß der Irakkrieg völkerrechtskonform war. Ich behaupte lediglich: Angesichts der völlig anderen Motivation und Sachlage ist ein Vergleich zwischen dem Polenfeldzug und dem Irakkrieg unangebracht.
Weltherrschaft muß nicht bedeuten daß man alle Länder unter einem Führer vereint. (Daß das nicht funktioniert weiß man inzwischen.) Aber es reicht doch überall eine Marionettenregierung zu haben die nach der eigenen Pfeife tanzt. Wesentlich subtiler und effektiver, und billiger allemal.
Einmal mehr: Bitte nicht mit zuviel Halbwissen um sich werfen. Vielleicht sollte ich selbst mal nachsehen, ob ich die Zusammenstellungen über die Strategiepapiere der Neocons noch habe. Eines ging aus diesen jedoch klar hervor: An ein systematisches System weltweiter Marionettenregierungen war da keine Rede. Das würde dem Weltbild dieser Leute gar nicht entsprechen, denn ihrer Ansicht nach, muß man überhaupt niemanden zur Demokratie zwingen. Zeigt man sie nur deutlich genug hervor, werde sie jeder willig annehmen. Daß dies nicht unbedingt ganz so hübsch und einfach ist, haben sogar eine ganze Reihe rechter Vordenker in Washington mittlerweile kapiert.
Zum Thema Kriegsverbrechen im Irak: Wer weiß was da alles passiert ist von dem nichts an die Öffentlichkeit drang. Zumindest die Berichterstattung im Irak war währrend des Krieges ja stark reglementiert.
In dubio pro reo. Angesichts der Tatsache, daß sich mittlerweile zahlreiche Menschenrechts- und Sozialforschungsorganisationen frei im Irak bewegen können, müßten solche Dinge früher oder später ans Licht kommen. "Einfach mal davon ausgehen", daß da noch mehr ist, werde ich aber nicht. Das ist weder gerecht noch logisch.
Daß Demokratie für jedes Land etwas "gutes" ist, ist eine typisch westliche arrogante Einstellung. In anderen Kulturen mögen andere Regierungsformen besser funktionieren.
Das sei unbestritten - zumindest in dem Sinne, daß es einen grundsätzlichen kulturellen Relativismus gibt. Ob das auch für Demokratie gilt, sei erst einmal dahin gestellt.
Ich sprach lediglich von der nicht ganz unwichtigen, zu Grunde liegenden Motivation. Bush war vermutlich überzeugt, den Irakern etwas Gutes zu tun. Hitler hingegen sah die Polen nicht als etwas, daß es wert wäre, etwas Gutes zu erfahren...
Außerdem möchte ich an dieser Stelle einmal anmerken, daß das Saddam-Regime im Irak weder eine funktionierende, noch eine von der Mehrheit des Volks unterstützte Regierung war.
Zum Thema Notbremse ziehen: Damals hat man in einer Stalin-Panik Hitler agieren lassen, heute ist es eine in der westlichen Welt zunehmend verbreitete Terrorismus-Panik. Nebenbei düngt das Vorgehen Amerikas momentan den Nährboden auf dem Terrorismus gedeit. Man schlägt Köpfe ab für die immer mehrere Nachwachsen. Das Problem Terrorismus kann man nicht durch Gewalt lösen, denn Gewalt erzeugt immer Gegengewalt bzw. neuen Terrorismus.
Die Terrorismus-Panik ist etwas, was ich keinen Deut mehr schätze als Du. Gleiches gilt für das simplistische Vorgehen der Bush-Administration. Allerdings habe ich eben dargelegt, weshalb ich eben diese Administration nicht mit der Hitlers (oder der Stalins, wo wir schon dabei sind) vergleichbar halte, weshalb als Konsequenz logischerweise alle weiteren darauf fußenden Vergleiche ebenso hinken.
Noch einmal: Es gibt massenhaft vernünftige Argumente, warum man sich gegen die Politik der derzeitigen US-Regierung stellen sollte, was ich hiermit in sehr vielen Punkten, genauer gesagt fast allen Punkten, auch tue. Aber genau weil es diese Argumente gibt, von denen Du ja einige mittlerweile auch selbst genannt hast, halte ich eben die braune Keule für völlig unangebracht. Das gilt jetzt nicht nur für Hitler-Bush-Vergleiche, sondern für eine riesige Anzahl von unsinnigen historischen Vergleichen, die derzeit alles überschwemmen. Man sollte lieber aus der derzeitigen Situation vernünftig argumentieren, anstatt sich immer auf das zu stützen, was vorgestern passiert ist und auf den ersten Blick so ähnlich aussieht. Gerade die Besonderheit der heutigen Probleme zu erkennen, heißt für mich, ihnen entschieden und angemessen entgegen zu treten.
Immer wachsam bleiben? Das sowieso! Gerade auch bei einigen Entwicklungen in unserem eigenen Land, die mir ebenso wenig gefallen wie die in Amerika. Das ist für mich gerade das Beunruhigende: Ich sehe hier nichts spezielle Amerikanisches, sondern Versuche, in der gesamten "westlichen Welt" die Terrorangst zu nutzen, um gewisse hart erkämpfte Rechte zwar nicht abzuschaffen, sondern aufzuweichen. Für mich ist das alles inakzeptabel. Aber mein Bundestagsabgeordneter hat ja beschlossen, meine Sorgen in dieser Hinsicht zu ignorieren...
Doc SoLo hat geschrieben:Dann frage ich mich, warum du Moore nicht entschiedener kritisierst. Genau solche Vereinfachungen erreichten für mich im kürzlich gesehenen F9/11 ein nicht mehr erträgliches Maß. Außer bei wirklich sehr schlichten Gemütern dürfte Moore seiner Sache mit diesem Film keinen Dienst erwiesen haben.
Ich gebe zu, daß ich Moore vermutlich mit weicheren Handschuhen anfasse, weil ich mich mit seinem Ziel identifizieren kann, und weil ich ihn persönlich halt eher als bissige Satire rezipiere. Da dies jedoch nicht überall der Fall ist, hast Du im Grunde genommen sicherlich Recht: Man sollte auf die teils extremen Defizite seiner Argumentation deutlicher eingehen. Mea culpa. Ich gelobe Besserung.
Und letztlich @Hardbern:
1. Der Deal zwischen Moore und Lions Gate zur Distribution von Fahrenheit 9/11 kam bereits vor der Goldenen Palme zustande.
2. Jetzt krieg Dich ein wenig ein. Wenn Du an meiner oder Ssnakes Argumentation etwas auszusetzen hast, kannst Du ja gerne dagegen etwas sagen. Aber alle, die anderer Meinung sind, ohne vernünftige Begründungen auf diese Art und Weise abzukanzeln, ist wohl jenseits aller zivilisierten Diskussionsregeln.
Grüße von
ButtSeriously
In memoriam PC Player 1/93 - 6/2001