Flash hat geschrieben:Ich hoffe, Du siehst es mir nach, daß ich "Samurai" schreibe, weil ich mich bei meinen Beiträgen explizit auf das Filmbeispiel beziehen will, da ich, wie gesagt, zu wenig über die "wahre Geschichte" bescheid weiß, um damit treffsicher umzugehen.
Nenn sie wie Du willst - meine Verwendung von Bushi war nicht als Korrektur gedacht.
Aber die Bedeutung von Bushi ist im Grunde simpel: Das Wort bezeichnet den ganzen Kriegerstand.
Flash hat geschrieben:Leider verwendest Du den Begriff normativ schon wieder, ohne ihn mir zu erklären.
Ich muß zugeben, daß ich Dir an dieser Stelle nicht ganz folgen kann. Einmal denke ich Du meinst, Fortschritt sei wie Rückschritt ein Teil von Veränderung, ein anderes mal denke ich, daß für Dich jedwede Veränderung Fortschritt ist, also auch das, was ich als Rückschritt bezeichnen würde. Ich halte das allerdings für eine zwar interessante (beide Definitionen haben was für sich, ich könnte nicht eine davon als falsch abtun), aber doch nur theoretische Gedankenspielerei. Ich bin mir relativ sicher, daß die überwältigende Mehrheit die Entwicklung des Menschen in den vergangenen Jahrhunderten als "Fortschritt" bezeichnen würde, es aber als Rückschritt bezeichnen würde, wenn sich der Mensch wieder zu einem Jäger und Sammler entwickeln würde. Deswegen benutze ich diese Definition. Lediglich die von vielen gezogene Konnotation Fortschritt=gut, Rückschritt=schlecht lasse ich erst einmal beiseite.
Zunächst einmal zum Begriff "normativ" - ich hatte nicht recht verstanden, daß Du ihn insgesamt nicht kennst: Seine Bedeutung bewegt sich im Bereich der Bewertung, enthält gleichzeitig aber auch Elemente von "maßgebend" oder "als Richtschnur dienend", also gewissermaßen "eine Norm (oder ihr Gegenteil) setzend".
Das Problem, das ich eben mit der Unterscheidung von Fortschritt und Rückschritt habe, ist, daß ich nicht recht sehe, wie man diese Differenz überhaupt von normativen Elementen trennen kann. Daß Du das willst, ist mir von Anfang an bewußt gewesen, aber was ist denn der Grund, daß die geschehenen Veränderungen als Fortschritt, eine Veränderung zu einer Jäger-und-Sammler-Kultur jedoch als Rückschritt bezeichnet würde? Eben weil die geschehene Entwicklung kulturell mehrheitlich als positiv, eine Veränderung, die sich an früheren Formen orientiert, hingegen als negativ bezeichnet würde. Als Begriffe wissenschaftlicher Beobachtung existieren die Begriffe Fort- und Rückschritt in dem Sinne gar nicht; erst die Konnotationen geben ihnen überhaupt Bedeutung.
Aber im Grunde können wir uns diese Diskussion weitgehend sparen, da die Art, wie wer welche Begriffe verwendet, nun ja geklärt ist.
Flash hat geschrieben:OK, also doch Fortschritt als Teil der Veränderung. Wie nennst Du den Teil von Veränderung, der nicht Fortschritt ist?
Eigentlich wollte ich den gar nicht benennen, da mein Fortschrittsbegriff ja so gänzlich subjektiv ist.
Für diese Diskussion hat mein Fortschrittsbegriff, jetzt, wo er geklärt ist, nur noch geringen Wert. Als Gegenteil würde ich "Rückschritt" von mir aus durchaus akzeptieren, aber als Beobachtungs- und Beschreibungskategorie hat er eigentlich keinen richtigen Wert, da er eben wieder normativ wäre.
Flash hat geschrieben:Wer redet denn von einem Bruch? Natürlich hat sich die Technik aus der Natur entwickelt, das macht sie aber noch nicht zu einem Teil von dieser. Der Mensch hat sich auch aus dem Affen entwickelt (ja, ich weiß, das war gar kein Affe), das macht ihn aber noch nicht zum Affen. Wenn ich zwischen zwei Dingen, die sich auseinander entwickelt haben, einen Unterschied feststelle, dann kann ich die Dinge auch getrennt benennen und bewerten. Ich kann z.B. Lehmhütten und Wolkenkratzer betrachten. Ich bestreite nicht, daß sich Wolkenkratzer aus Lehmhütten entwickelt haben, trotzdem kann ich sagen Wolkenkratzer sind häßlich und Lehmhütten sind schön, oder umgekehrt. Deswegen sage ich Technik, wenn ich Technik meine, und Natur, wenn ich Natur meine, und Natur und Technik, wenn ich beides meine. Daß sich ein Faustkeil dabei womöglich in beides einordnen läßt, spielt keine Rolle.
Das ist übrigens glaube ich einer der wenigen Punkte, an dem die meisten Menschen mit mir übereinstimmen würden, nicht mit dir.
Mag ja sein, daß die meisten Menschen anderer Meinung sind, ist mir egal.
Schließlich haben die meisten Menschen noch nie ein wissenschaftliches Werk zu dem Thema in der Hand gehabt, sondern benutzen die Begriffe alltäglich und weitgehend unreflektiert (was ja kein Problem ist, doch solch undefinierte Begriffe bringen für eine vernünftig Diskussion halt nichts).
Das Problem mit der Trennung von Natur und Technik ist der ungefähre Punkt, an dem Technik aufhört, Natur zu sein. Wo will man den setzen? Beim Faustkeil? Bei der Bronzeverarbeitung? Oder vielleicht doch lieber bei der Dampfmaschine? Die Kulturwissenschaft ringt seit weit über einem Jahrhundert relativ erfolglos mit dieser Problematik, weil ein Übergang mit der notwendigen Trennschärfe fehlt. Wenn man also eine Trennung vornehmen will, dann bleibt diese zwangsläufig schwammig, und ich rede hier nicht von ein wenig schwammig, sondern "über ein paar Jahrtausende"-schwammig. Das ist der Grund, warum kulturwissenschaftlich die Unterscheidung mittlerweile abgelehnt wird: Wenn eine Differenz in einem System nicht vernünftig definiert werden kann, ist der Begriff jenseits des alltäglichen Sprachgebrauchs mit seiner ohnehin charakteristischen Schwammigkeit relativ wertlos. Stattdessen wird die Technik halt als eine der unzähligen Entwicklungslinien im riesigen Konzept "Natur" verstanden.
Der Vergleich mit den gemeinsamen Vorfahren von Affen und Menschen ist deshalb problematisch, weil er aus einem völlig anderen Themenbereich, nämlich der Biologie stammt. Hier lassen sich vernünftige Definitionen der Differenz zwischen einer einzelnen Affenart und dem Homo sapiens sapiens machen (nämlich z.B. auf genetischer Ebene). Den Unterschied zwischen den großen, nicht biologischen Konzeptionen von Mensch und Affe wird hingegen schon wieder sehr viel problematischer, aber das ist ein anderes Thema.
Mit Begriffen wie den biologischen läßt sich in der Diskussion um Natur und Technik leider nichts fassen - die Kulturwissenschaft ist bei diesem weitreichenden Welt der einzige Bereich, der Brücken schlagen kann. Und hier - wie gesagt - hat man mit der Trennschärfe bisher wenig Erfolg gehabt. Das ist ja auch kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, was für ein gewaltiges Feld "Natur" abdeckt - die größte Differenz dabei ist schon allein die von "Leben" und "Nicht-Leben", das aber beides noch unter Natur fällt (ein Felsen ist schließlich ebenso ein Stück Natur, wie eine Pflanze oder ein Tier).
Bis mir jemand etwas besseres zeigt, werde ich mich an das halten, was da ist, und das ist halt die Kulturwissenschaft. Wenn Du neue Ideen hast: Wie gesagt, immer her damit. Ruhm und Reichtum erwarten Dich, wenn Du diese uralte Problematik ernsthaft auflösen kannst. Nun ja, zumindest Ruhm. Reichtum ist in der Wissenschaft eher unwahrscheinlich.
Flash hat geschrieben:Das ist ein interessanter Ansatz. Wenn ich das, was ich oben geschrieben habe, weiterdenke, komme ich zu folgendem: In dem Maße, wie der Mensch Technik entwickelt (der Mensch entwickelt die Technik, nicht die Natur), entfernt er sich von der Natur. Ich würde der Idee, daß die heutige Menschheit kein Teil der Natur mehr ist, nicht ablehnend gegenüberstehen. Ein einzelner Mensch ist immer noch Teil der Natur, auch wenn die meisten alles dafür tun, um dies zu verleugnen, aber für den Menschen als solchen habe ich doch meine Zweifel.
Ich gebe aber zu, daß diese Idee nicht ganz ausgereift ist. Deine Argumentation an diesem Punkt wird mir noch ein paar schlaflose Nächte bereiten.
Das Problem bei diesem Ansatz liegt nicht zuletzt darin, daß "die Natur" gar nichts macht - ein Agens der Natur ist schließlich nur eine umgangsprachliche Metapher. Die Handelnden sind immer Teile der Natur, wie z.B. ein Mensch, ein Löwe (wenn man instinktives Verhalten noch als Handlung bezeichnen möchte), ein wasweißich. Und viele Bereiche sind von Handelnden sogar ganz abgekoppelt. Dies alles macht wieder die klare Definition der Differenz so schwierig.
Versteh mich nicht falsch: Wenn man das alles schön auseinanderdivideren könnte, fände ich das prima, denn das würde alles so viel einfacher machen.
Flash hat geschrieben:Gut, du definierst den Fortschritt so. Die meisten definieren ihn nicht gleich so, aber denken ähnlich ("man muß ja nicht gleich alles tun"). Ich halte das für einen Teil der Selbsttäuschung, die aus Gründen der Bequemlichkeit durchgeführt wird.
Bitte nenne mir nur ein einziges Beispiel aus der Vergangenheit, bei dem etwas fundamentales kritisch reflektiert wurde, und danach nicht umgesetzt. Ich behaupte, das ist nicht möglich. Auch wenn drei Viertel der Menschheit gegen das Klonen von Menschen ist, so wird es doch getan werden. Und das sage ich unabhängig davon, was ich ethisch oder aufgrund meines Glaubens davon halte, denn das hat keinen argumentativen Wert.
Sicher kann man auch über Fortschritt, wie Du ihn definierst diskutieren, das bliebe aber ein theoretisches Gedankenspiel ohne praktischen Nährwert.
Mit dem Klonen hast Du ein Beispiel im Grunde schon genannt. Es gibt bereits große Gesellschaften, die sich gegen das Klonen oder Teilbereiche des Klonens entschieden haben, eben aus ethischen Beweggründen nach kritischer Reflektion. Daß es dann in anderen Gesellschaften trotzdem passiert, ist richtig, aber die Gründe dafür sind komplex. Z.B. können es im einfachsten Fall einfach andere Wertvorstellungen sein, denn Wertvorstellungen sind ja schließlich relativ und traditionsbedingt und nicht absolut.
Man kann die Menschheit halt nicht als Gesamtheit sehen, denn das widerspricht schon grundsätzlich der Individualität, die (bislang) nur durch regionale Gruppenbildung durchbrochen wird. Ich will durchaus nicht von der Hand weisen, daß man den realtiv jungen europäischen Wert des ethischen Relativismus daher vielleicht schon wieder überdenken muß, wenn es eine gemeinsame Zukunft und damit gemeinsame Lösungen einer als Gesamtheit handelnden Menschheit geben soll.
Aber ein Mangel an Beispielen der Geschichte beweist erst einmal nichts. Aus der Geschichte läßt sich für die Zukunft weit weniger sagen, als gemeinhin angenommen. Die Trefferquote bei der Voraussage der Zukunft aus der Vergangenheit ist nicht so besonders.
Flash hat geschrieben:Nun, es gibt für mich andere Gründe mein Leben anzugehen. Aber eine interessante Frage: Wenn Du genau wüßtest, daß in 250 Jahren der Weltuntergang unwiderruflich kommt, würde das irgenwas ändern an dem wie du Dein Leben führst?
Und ich rede nichtmal von Weltuntergang, noch bin ich sicher in dem, was ich rede.
Ich nehme an, das "unwiderruflich" steht hier unter der Bedingung, daß es ein "weiter so wie bisher" (für das ich jetzt kein Beispiel einfallen würde, aber akzeptieren wir's als Gedankenspiel mal für den Moment) stattfindet (denn ansonsten wär's ja wirklich egal
).
Ich denke schon, daß ich zu Veränderungen bereit wäre, gebe aber offen zu, daß es von der Radikalität der Veränderungen abhinge. Wenn man etwas aus den heutigen Wertvorstellungen absolut abstruses von mir verlangte, ist es sicherlich im Bereich des Möglichen, daß ich einfach nicht geistig in der Lage wäre, diesen Schritt zu tun (und viele Menschen wären sogar körperlich nicht dazu in der Lage). Was man in wirklich extremen Situationen tun würde, kann man leider immer erst sagen, wenn man sozusagen knietief in der Scheiße steckt. Um eine Analogie zu verwenden: Wenn es einen Konsens unter Soldaten gibt, die im Kriegseinsatz waren, dann den, daß einen die Gedankenspiele des Trainings nie auf den echten Mist vorbereiten können, und man immer erst die wahre Reaktion zeigt, wenn es wirklich so weit ist. Daher muß ich in aller Ehrlichkeit sagen: Ich weiß es nicht genau, es hinge von der Radikalität der abverlangten Änderung ab.
Grüße von
ButtSeriously
In memoriam PC Player 1/93 - 6/2001