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Nackter Onkel
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Do, 1. Jul 2004, 15:25

Schließlich geht es in der biologischen Evolution zunächst einmal um gar nichts, da sie nicht zielgerichtet abläuft, während ich schon behaupten würde, das hinter der einzelnden technischen Veränderung zumindest eine Teilabsicht steht

Die Evolution läuft insofern tatsächlich nicht "ziel"gerichtet ab, als dass immer erst retrospektiv zwischen erfolgreichen und unerfolgreichen Modellen unterschieden werden kann. Ob etwas nicht funktioniert, zeigt sich gerade dadurch, dass es im Sinne der Weitergabe von Genen nicht funktioniert hat.
Aber wenn man die Fähigkeit Werkzeuge im weitesten Sinne zu verwenden betrachtet, ist diese selbst schon genetisch bedingt. Und durch die Verwendung von (immer effizienteren) Werkzeugen, verschafft man sich wieder Selektionsvorteile (wenn auch in unserer Gesellschaft weniger als Individuum, wie manch Informatiker herausfinden musste *eg*). So ganz würde ich die beiden Bereiche also nach wie vor nicht voneinander abkoppeln wollen...
Cheers,
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Do, 1. Jul 2004, 17:06

wulfman hat geschrieben:
ich sehe nichts wirklich bedrohliches, das wir der welt hinterlassen würden. also nichts, das nicht in ein paar (zehn)tausend jahren in vergessenheit geraten oder "leben" als gesamtes auf der erde ernsthaft gefährden würde - augenblicke angesichts der erdgeschichte.

An dieser Stelle muß ich Dir recht geben. Ich sehe zwar nach wie vor einen gewissen Unterschied was die "Unumkehrbarkeit" betrifft, aber dieser ist vielleicht nur gradueller Art.

ButtSeriously hat geschrieben:
"Schlimm" ist daran nichts. Habe ich ja auch nie behauptet. Schließlich habe ich bei der Ausgangssituation ja durchaus argumentiert, daß der auf die Bushi (und wohlgemerkt auch andere Bevölkerungsteile, die ebenfalls zu den Verlierern gehörten) ausgeübte Zwang fraglich war, da er extern induziert und intern nur von einer Minderheit der Herrschenden gefördert wurde.

Ja, bei diesem Beispiel läßt es sich leicht so argumentieren, da sich das "Fortschrittsproblem" als solches durch eine kulturelle Argumentation überlagern läßt, die auch ich sofort unterschreiben würde. Ich behaupte lediglich, daß es einer kulturellen Argumentation nicht bedarf.
Ich hoffe, Du siehst es mir nach, daß ich "Samurai" schreibe, weil ich mich bei meinen Beiträgen explizit auf das Filmbeispiel beziehen will, da ich, wie gesagt, zu wenig über die "wahre Geschichte" bescheid weiß, um damit treffsicher umzugehen.

ButtSeriously hat geschrieben:
Der springende Punkt ist, daß eine Unterscheidung von Fortschritt und Rückschritt, auf der Du ja weiterhin bestehst, nur dann Sinn macht, wenn eine Bewertung mindestens implizit erhalten bleibt. Daher spreche ich mich hier ja so für den neutralen Begriff der Veränderung aus (oder von mir aus auch Entwicklung, obwohl mir der schon wieder zu gesellschaftlich vorbelastet ist), denn dieser kann eine Veränderung in jedwede Richtung unabhängig von normativen Elementen beschreiben. Wenn Fortschritt keine Konnotationen hat, was unterscheidet den Begriff denn dann von Rückschritt? Du willst doch nicht etwa die bizarre Vorstellung wiederbeleben, daß es - ob biologisch oder kulturell - jemals so etwas wie ein Umkehren auf einer Entwicklungsachse geben könnte. Auch ein Verzicht auf eine neue Technik zu Gunsten einer älteren ist immer eine Bewegung nach vorn, da schon allein die unserem Zugriff entzogenen Veränderungen eine exakte Reproduktion früherer Formen verhindern, und eine Anpassung besagter älteren Technik an aktuelle Umstände erfordern.

Leider verwendest Du den Begriff normativ schon wieder, ohne ihn mir zu erklären.
Ich muß zugeben, daß ich Dir an dieser Stelle nicht ganz folgen kann. Einmal denke ich Du meinst, Fortschritt sei wie Rückschritt ein Teil von Veränderung, ein anderes mal denke ich, daß für Dich jedwede Veränderung Fortschritt ist, also auch das, was ich als Rückschritt bezeichnen würde. Ich halte das allerdings für eine zwar interessante (beide Definitionen haben was für sich, ich könnte nicht eine davon als falsch abtun), aber doch nur theoretische Gedankenspielerei. Ich bin mir relativ sicher, daß die überwältigende Mehrheit die Entwicklung des Menschen in den vergangenen Jahrhunderten als "Fortschritt" bezeichnen würde, es aber als Rückschritt bezeichnen würde, wenn sich der Mensch wieder zu einem Jäger und Sammler entwickeln würde. Deswegen benutze ich diese Definition. Lediglich die von vielen gezogene Konnotation Fortschritt=gut, Rückschritt=schlecht lasse ich erst einmal beiseite.

ButtSeriously hat geschrieben:
Flash hat geschrieben:
Ich habe nie bestritten, daß Veränderung ein Teil der Natur ist. Aber was hat das bitte mit Fortschritt zu tun? Veränderung ist *nicht* gleich Fortschritt, da kannst du mir noch so oft mit normativ kommen.

Nein, Veränderung ist nicht gleich Fortschritt, sondern dieser unsägliche zerredete Begriff ist ein Teil von Veränderung. Siehe oben.

OK, also doch Fortschritt als Teil der Veränderung. Wie nennst Du den Teil von Veränderung, der nicht Fortschritt ist?

ButtSeriously hat geschrieben:
Flash hat geschrieben:
Wenn Dir manche Begriffe zur Beobachtung nicht recht sind, ist es trotzdem nicht korrekt, sie durch einen anderen Begriff mit anderer Bedeutung zu ersetzen. Das ist nichts weiter als ein argumentatorischer Trick.

Habe ich nicht getan. Schon wieder siehe oben.

Wenn ich oben hinschaue, schreibst du das Fortschritt nicht gleich Veränderung ist, sondern ein Teil davon. Also haben die zwei Begriffe verschiedene Bedeutungen, und deswegen hast Du genau das getan.

ButtSeriously hat geschrieben:
*seufz*
Da vergesse ich einmal kurz das Adjektiv "positive" und schon nutzt Du die wunderbare Gelegenheit, um mich gezielt falsch zu verstehen. ;) Wenn man einen neutralen Veränderungsbegriff benutzt, wie ich es etwa 5000 mal bereits erwähnt habe, kann ich problemlos sowohl die Entwicklungen der Vergangenheit, wie auch potenzielle Entwicklungen der Zukunft aller Art darunter subsumieren.

Ich habe dich bestimmt nicht gezielt falsch verstanden, mir sogar immer noch nicht klar, wo ich dich falsch verstanden habe. Nicht mal wo du "positiv" vergessen hast ist mir klar.
Daß man mit "Veränderung" alle Entwicklungen bezeichnen kann, habe ich nie bestritten, höchstens den argumentativen Wert dieser Bezeichnung.

ButtSeriously hat geschrieben:
Soso. Wann war denn der Mensch dann Deiner Meinung nach ein Naturwesen? Wenn man die Technik von der Natur abtrennt und damit eine graduelle Entwicklung in einen Bruch umwandelt, dann hat es den Naturmenschen schlicht und einfach nie gegeben - es sei denn, Du willst den kulturwissenschaftlich akzeptierten Begriff des Menschen auch umdefinieren (von mir aus kannst Du das gerne versuchen, aber dann mußt Du das schreiben).

Wer redet denn von einem Bruch? Natürlich hat sich die Technik aus der Natur entwickelt, das macht sie aber noch nicht zu einem Teil von dieser. Der Mensch hat sich auch aus dem Affen entwickelt (ja, ich weiß, das war gar kein Affe), das macht ihn aber noch nicht zum Affen. Wenn ich zwischen zwei Dingen, die sich auseinander entwickelt haben, einen Unterschied feststelle, dann kann ich die Dinge auch getrennt benennen und bewerten. Ich kann z.B. Lehmhütten und Wolkenkratzer betrachten. Ich bestreite nicht, daß sich Wolkenkratzer aus Lehmhütten entwickelt haben, trotzdem kann ich sagen Wolkenkratzer sind häßlich und Lehmhütten sind schön, oder umgekehrt. Deswegen sage ich Technik, wenn ich Technik meine, und Natur, wenn ich Natur meine, und Natur und Technik, wenn ich beides meine. Daß sich ein Faustkeil dabei womöglich in beides einordnen läßt, spielt keine Rolle.
Das ist übrigens glaube ich einer der wenigen Punkte, an dem die meisten Menschen mit mir übereinstimmen würden, nicht mit dir. ;)

ButtSeriously hat geschrieben:
Was den Menschen von anderen Tieren unterscheidet (und das ist nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern das wirst Du in jeder kulturwissenschatlichen Analyse der letzten hundert Jahre so finden), ist der Gebrauch von Technik. Technik ist dabei die Fertigung von Gerätschaften (nicht nur die Verwendung, die auch bei anderen Tieren bekannt ist). Zuerst waren das lebenswichtige Werkzeuge, später kam anderer Kram dazu. Natürlich ist damit auch ein Faustkeil Technik.
Wenn nun Gebrauch von selbst gefertigten Werkzeugen, also Technik, eines der Merkmale ist, die einen Menschen überhaupt erst als solchen definieren, dann sind Technik und Mensch nicht mehr klar voneinander abzutrennen. Wenn diese Trennung nicht mehr funktioniert, ist entweder der Mensch keine Natur (von mir aus, aber zumindest müßte man ihm wohl zugestehen, daß er sich aus der Natur entwickelt hat - inklusive seiner Technik, die ja nicht vom Himmel gefallen ist, solange man keine göttliche Intervention unterstellen will), oder die Technik als definierendes Merkmal des Menschen ist auch ein Teil der Natur.

Das ist ein interessanter Ansatz. Wenn ich das, was ich oben geschrieben habe, weiterdenke, komme ich zu folgendem: In dem Maße, wie der Mensch Technik entwickelt (der Mensch entwickelt die Technik, nicht die Natur), entfernt er sich von der Natur. Ich würde der Idee, daß die heutige Menschheit kein Teil der Natur mehr ist, nicht ablehnend gegenüberstehen. Ein einzelner Mensch ist immer noch Teil der Natur, auch wenn die meisten alles dafür tun, um dies zu verleugnen, aber für den Menschen als solchen habe ich doch meine Zweifel.
Ich gebe aber zu, daß diese Idee nicht ganz ausgereift ist. Deine Argumentation an diesem Punkt wird mir noch ein paar schlaflose Nächte bereiten. ;)

ButtSeriously hat geschrieben:
Der Vergleich mit Verkehrsunfällen und Fortschritt hinkt aber wie ein Mensch mit nur einem Bein. Schließlich ist die Qualität des "Fortschritts" hier ja immer noch Gegenstand der Diskussion, während es Dir schwer fallen dürfte, jemanden zu finden, der für die Verdienste des Verkehrsunfalls argumentiert. ;)
Ich habe nur versucht, einen Begriffsabgleich durchzuführen, weil ich das Gefühl bekam, wir diskutieren aneinander vorbei (und so ganz daneben lag ich wohl nicht, wenn ich die vielen Mißverständnisse betrachte). Ich habe ledigich meinen Fortschrittsbegriff zur Diskussion gestellt, damit mal deutlich wird, auf welcher Basis ich argumentiere - und eine Definition des eigenen Begriffapparates ist an irgendeiner Stelle nunmal unverzichtbar, wenn man eine etwas komplexere Diskussion führen will. Das war kein Versuch, Dir meinen Begriff aufzuzwingen.

Gut, du definierst den Fortschritt so. Die meisten definieren ihn nicht gleich so, aber denken ähnlich ("man muß ja nicht gleich alles tun"). Ich halte das für einen Teil der Selbsttäuschung, die aus Gründen der Bequemlichkeit durchgeführt wird.
Bitte nenne mir nur ein einziges Beispiel aus der Vergangenheit, bei dem etwas fundamentales kritisch reflektiert wurde, und danach nicht umgesetzt. Ich behaupte, das ist nicht möglich. Auch wenn drei Viertel der Menschheit gegen das Klonen von Menschen ist, so wird es doch getan werden. Und das sage ich unabhängig davon, was ich ethisch oder aufgrund meines Glaubens davon halte, denn das hat keinen argumentativen Wert.
Sicher kann man auch über Fortschritt, wie Du ihn definierst diskutieren, das bliebe aber ein theoretisches Gedankenspiel ohne praktischen Nährwert.

ButtSeriously hat geschrieben:
Uh-hu. ;) Ohne Zweckoptimismus sehe ich nicht ganz, wie überhaupt noch etwas zu retten sein soll. Ich kann nur optimistisch weitermachen und selbst versuchen, nach bestem Wissen und Gewissen meinen Weg in dieser Welt zu finden, ohne sie dabei zum Untergang zu bringen. Wenn das nicht klappt, weil mein Grips nicht ausreicht oder jemand anders sie mir unterm Arsch wegbombt -ausbeutet oder -vergiftet - so sei es.

Nun, es gibt für mich andere Gründe mein Leben anzugehen. Aber eine interessante Frage: Wenn Du genau wüßtest, daß in 250 Jahren der Weltuntergang unwiderruflich kommt, würde das irgenwas ändern an dem wie du Dein Leben führst?
Und ich rede nichtmal von Weltuntergang, noch bin ich sicher in dem, was ich rede.
 
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Fr, 2. Jul 2004, 00:14

Flash hat geschrieben:
Ich hoffe, Du siehst es mir nach, daß ich "Samurai" schreibe, weil ich mich bei meinen Beiträgen explizit auf das Filmbeispiel beziehen will, da ich, wie gesagt, zu wenig über die "wahre Geschichte" bescheid weiß, um damit treffsicher umzugehen.


Nenn sie wie Du willst - meine Verwendung von Bushi war nicht als Korrektur gedacht. :) Aber die Bedeutung von Bushi ist im Grunde simpel: Das Wort bezeichnet den ganzen Kriegerstand.

Flash hat geschrieben:
Leider verwendest Du den Begriff normativ schon wieder, ohne ihn mir zu erklären.
Ich muß zugeben, daß ich Dir an dieser Stelle nicht ganz folgen kann. Einmal denke ich Du meinst, Fortschritt sei wie Rückschritt ein Teil von Veränderung, ein anderes mal denke ich, daß für Dich jedwede Veränderung Fortschritt ist, also auch das, was ich als Rückschritt bezeichnen würde. Ich halte das allerdings für eine zwar interessante (beide Definitionen haben was für sich, ich könnte nicht eine davon als falsch abtun), aber doch nur theoretische Gedankenspielerei. Ich bin mir relativ sicher, daß die überwältigende Mehrheit die Entwicklung des Menschen in den vergangenen Jahrhunderten als "Fortschritt" bezeichnen würde, es aber als Rückschritt bezeichnen würde, wenn sich der Mensch wieder zu einem Jäger und Sammler entwickeln würde. Deswegen benutze ich diese Definition. Lediglich die von vielen gezogene Konnotation Fortschritt=gut, Rückschritt=schlecht lasse ich erst einmal beiseite.


Zunächst einmal zum Begriff "normativ" - ich hatte nicht recht verstanden, daß Du ihn insgesamt nicht kennst: Seine Bedeutung bewegt sich im Bereich der Bewertung, enthält gleichzeitig aber auch Elemente von "maßgebend" oder "als Richtschnur dienend", also gewissermaßen "eine Norm (oder ihr Gegenteil) setzend".
Das Problem, das ich eben mit der Unterscheidung von Fortschritt und Rückschritt habe, ist, daß ich nicht recht sehe, wie man diese Differenz überhaupt von normativen Elementen trennen kann. Daß Du das willst, ist mir von Anfang an bewußt gewesen, aber was ist denn der Grund, daß die geschehenen Veränderungen als Fortschritt, eine Veränderung zu einer Jäger-und-Sammler-Kultur jedoch als Rückschritt bezeichnet würde? Eben weil die geschehene Entwicklung kulturell mehrheitlich als positiv, eine Veränderung, die sich an früheren Formen orientiert, hingegen als negativ bezeichnet würde. Als Begriffe wissenschaftlicher Beobachtung existieren die Begriffe Fort- und Rückschritt in dem Sinne gar nicht; erst die Konnotationen geben ihnen überhaupt Bedeutung.
Aber im Grunde können wir uns diese Diskussion weitgehend sparen, da die Art, wie wer welche Begriffe verwendet, nun ja geklärt ist.

Flash hat geschrieben:
OK, also doch Fortschritt als Teil der Veränderung. Wie nennst Du den Teil von Veränderung, der nicht Fortschritt ist?


Eigentlich wollte ich den gar nicht benennen, da mein Fortschrittsbegriff ja so gänzlich subjektiv ist. ;) Für diese Diskussion hat mein Fortschrittsbegriff, jetzt, wo er geklärt ist, nur noch geringen Wert. Als Gegenteil würde ich "Rückschritt" von mir aus durchaus akzeptieren, aber als Beobachtungs- und Beschreibungskategorie hat er eigentlich keinen richtigen Wert, da er eben wieder normativ wäre.

Flash hat geschrieben:
Wer redet denn von einem Bruch? Natürlich hat sich die Technik aus der Natur entwickelt, das macht sie aber noch nicht zu einem Teil von dieser. Der Mensch hat sich auch aus dem Affen entwickelt (ja, ich weiß, das war gar kein Affe), das macht ihn aber noch nicht zum Affen. Wenn ich zwischen zwei Dingen, die sich auseinander entwickelt haben, einen Unterschied feststelle, dann kann ich die Dinge auch getrennt benennen und bewerten. Ich kann z.B. Lehmhütten und Wolkenkratzer betrachten. Ich bestreite nicht, daß sich Wolkenkratzer aus Lehmhütten entwickelt haben, trotzdem kann ich sagen Wolkenkratzer sind häßlich und Lehmhütten sind schön, oder umgekehrt. Deswegen sage ich Technik, wenn ich Technik meine, und Natur, wenn ich Natur meine, und Natur und Technik, wenn ich beides meine. Daß sich ein Faustkeil dabei womöglich in beides einordnen läßt, spielt keine Rolle.
Das ist übrigens glaube ich einer der wenigen Punkte, an dem die meisten Menschen mit mir übereinstimmen würden, nicht mit dir. ;)


Mag ja sein, daß die meisten Menschen anderer Meinung sind, ist mir egal. ;) Schließlich haben die meisten Menschen noch nie ein wissenschaftliches Werk zu dem Thema in der Hand gehabt, sondern benutzen die Begriffe alltäglich und weitgehend unreflektiert (was ja kein Problem ist, doch solch undefinierte Begriffe bringen für eine vernünftig Diskussion halt nichts).
Das Problem mit der Trennung von Natur und Technik ist der ungefähre Punkt, an dem Technik aufhört, Natur zu sein. Wo will man den setzen? Beim Faustkeil? Bei der Bronzeverarbeitung? Oder vielleicht doch lieber bei der Dampfmaschine? Die Kulturwissenschaft ringt seit weit über einem Jahrhundert relativ erfolglos mit dieser Problematik, weil ein Übergang mit der notwendigen Trennschärfe fehlt. Wenn man also eine Trennung vornehmen will, dann bleibt diese zwangsläufig schwammig, und ich rede hier nicht von ein wenig schwammig, sondern "über ein paar Jahrtausende"-schwammig. Das ist der Grund, warum kulturwissenschaftlich die Unterscheidung mittlerweile abgelehnt wird: Wenn eine Differenz in einem System nicht vernünftig definiert werden kann, ist der Begriff jenseits des alltäglichen Sprachgebrauchs mit seiner ohnehin charakteristischen Schwammigkeit relativ wertlos. Stattdessen wird die Technik halt als eine der unzähligen Entwicklungslinien im riesigen Konzept "Natur" verstanden.
Der Vergleich mit den gemeinsamen Vorfahren von Affen und Menschen ist deshalb problematisch, weil er aus einem völlig anderen Themenbereich, nämlich der Biologie stammt. Hier lassen sich vernünftige Definitionen der Differenz zwischen einer einzelnen Affenart und dem Homo sapiens sapiens machen (nämlich z.B. auf genetischer Ebene). Den Unterschied zwischen den großen, nicht biologischen Konzeptionen von Mensch und Affe wird hingegen schon wieder sehr viel problematischer, aber das ist ein anderes Thema.
Mit Begriffen wie den biologischen läßt sich in der Diskussion um Natur und Technik leider nichts fassen - die Kulturwissenschaft ist bei diesem weitreichenden Welt der einzige Bereich, der Brücken schlagen kann. Und hier - wie gesagt - hat man mit der Trennschärfe bisher wenig Erfolg gehabt. Das ist ja auch kaum verwunderlich, wenn man bedenkt, was für ein gewaltiges Feld "Natur" abdeckt - die größte Differenz dabei ist schon allein die von "Leben" und "Nicht-Leben", das aber beides noch unter Natur fällt (ein Felsen ist schließlich ebenso ein Stück Natur, wie eine Pflanze oder ein Tier).
Bis mir jemand etwas besseres zeigt, werde ich mich an das halten, was da ist, und das ist halt die Kulturwissenschaft. Wenn Du neue Ideen hast: Wie gesagt, immer her damit. Ruhm und Reichtum erwarten Dich, wenn Du diese uralte Problematik ernsthaft auflösen kannst. Nun ja, zumindest Ruhm. Reichtum ist in der Wissenschaft eher unwahrscheinlich. ;)

Flash hat geschrieben:
Das ist ein interessanter Ansatz. Wenn ich das, was ich oben geschrieben habe, weiterdenke, komme ich zu folgendem: In dem Maße, wie der Mensch Technik entwickelt (der Mensch entwickelt die Technik, nicht die Natur), entfernt er sich von der Natur. Ich würde der Idee, daß die heutige Menschheit kein Teil der Natur mehr ist, nicht ablehnend gegenüberstehen. Ein einzelner Mensch ist immer noch Teil der Natur, auch wenn die meisten alles dafür tun, um dies zu verleugnen, aber für den Menschen als solchen habe ich doch meine Zweifel.
Ich gebe aber zu, daß diese Idee nicht ganz ausgereift ist. Deine Argumentation an diesem Punkt wird mir noch ein paar schlaflose Nächte bereiten. ;)


Das Problem bei diesem Ansatz liegt nicht zuletzt darin, daß "die Natur" gar nichts macht - ein Agens der Natur ist schließlich nur eine umgangsprachliche Metapher. Die Handelnden sind immer Teile der Natur, wie z.B. ein Mensch, ein Löwe (wenn man instinktives Verhalten noch als Handlung bezeichnen möchte), ein wasweißich. Und viele Bereiche sind von Handelnden sogar ganz abgekoppelt. Dies alles macht wieder die klare Definition der Differenz so schwierig.
Versteh mich nicht falsch: Wenn man das alles schön auseinanderdivideren könnte, fände ich das prima, denn das würde alles so viel einfacher machen. ;)

Flash hat geschrieben:
Gut, du definierst den Fortschritt so. Die meisten definieren ihn nicht gleich so, aber denken ähnlich ("man muß ja nicht gleich alles tun"). Ich halte das für einen Teil der Selbsttäuschung, die aus Gründen der Bequemlichkeit durchgeführt wird.
Bitte nenne mir nur ein einziges Beispiel aus der Vergangenheit, bei dem etwas fundamentales kritisch reflektiert wurde, und danach nicht umgesetzt. Ich behaupte, das ist nicht möglich. Auch wenn drei Viertel der Menschheit gegen das Klonen von Menschen ist, so wird es doch getan werden. Und das sage ich unabhängig davon, was ich ethisch oder aufgrund meines Glaubens davon halte, denn das hat keinen argumentativen Wert.
Sicher kann man auch über Fortschritt, wie Du ihn definierst diskutieren, das bliebe aber ein theoretisches Gedankenspiel ohne praktischen Nährwert.


Mit dem Klonen hast Du ein Beispiel im Grunde schon genannt. Es gibt bereits große Gesellschaften, die sich gegen das Klonen oder Teilbereiche des Klonens entschieden haben, eben aus ethischen Beweggründen nach kritischer Reflektion. Daß es dann in anderen Gesellschaften trotzdem passiert, ist richtig, aber die Gründe dafür sind komplex. Z.B. können es im einfachsten Fall einfach andere Wertvorstellungen sein, denn Wertvorstellungen sind ja schließlich relativ und traditionsbedingt und nicht absolut.
Man kann die Menschheit halt nicht als Gesamtheit sehen, denn das widerspricht schon grundsätzlich der Individualität, die (bislang) nur durch regionale Gruppenbildung durchbrochen wird. Ich will durchaus nicht von der Hand weisen, daß man den realtiv jungen europäischen Wert des ethischen Relativismus daher vielleicht schon wieder überdenken muß, wenn es eine gemeinsame Zukunft und damit gemeinsame Lösungen einer als Gesamtheit handelnden Menschheit geben soll.
Aber ein Mangel an Beispielen der Geschichte beweist erst einmal nichts. Aus der Geschichte läßt sich für die Zukunft weit weniger sagen, als gemeinhin angenommen. Die Trefferquote bei der Voraussage der Zukunft aus der Vergangenheit ist nicht so besonders. ;)

Flash hat geschrieben:
Nun, es gibt für mich andere Gründe mein Leben anzugehen. Aber eine interessante Frage: Wenn Du genau wüßtest, daß in 250 Jahren der Weltuntergang unwiderruflich kommt, würde das irgenwas ändern an dem wie du Dein Leben führst?
Und ich rede nichtmal von Weltuntergang, noch bin ich sicher in dem, was ich rede.


Ich nehme an, das "unwiderruflich" steht hier unter der Bedingung, daß es ein "weiter so wie bisher" (für das ich jetzt kein Beispiel einfallen würde, aber akzeptieren wir's als Gedankenspiel mal für den Moment) stattfindet (denn ansonsten wär's ja wirklich egal ;)).
Ich denke schon, daß ich zu Veränderungen bereit wäre, gebe aber offen zu, daß es von der Radikalität der Veränderungen abhinge. Wenn man etwas aus den heutigen Wertvorstellungen absolut abstruses von mir verlangte, ist es sicherlich im Bereich des Möglichen, daß ich einfach nicht geistig in der Lage wäre, diesen Schritt zu tun (und viele Menschen wären sogar körperlich nicht dazu in der Lage). Was man in wirklich extremen Situationen tun würde, kann man leider immer erst sagen, wenn man sozusagen knietief in der Scheiße steckt. Um eine Analogie zu verwenden: Wenn es einen Konsens unter Soldaten gibt, die im Kriegseinsatz waren, dann den, daß einen die Gedankenspiele des Trainings nie auf den echten Mist vorbereiten können, und man immer erst die wahre Reaktion zeigt, wenn es wirklich so weit ist. Daher muß ich in aller Ehrlichkeit sagen: Ich weiß es nicht genau, es hinge von der Radikalität der abverlangten Änderung ab.

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Fr, 2. Jul 2004, 10:27

Mit dem Klonen hast Du ein Beispiel im Grunde schon genannt. Es gibt bereits große Gesellschaften, die sich gegen das Klonen oder Teilbereiche des Klonens entschieden haben, eben aus ethischen Beweggründen nach kritischer Reflektion.


...weil die öffentliche meinung unter anderem durch panik-mache seitens verschiedener interessensgruppen manipuliert wurde. ethische gründe sehe ich durchaus, nur leider gabs da zu 99% keine kritische reflexion. aber lasst euch von mir nicht stören, weitermachen. :)

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Fr, 2. Jul 2004, 23:41

wulfman hat geschrieben:
Mit dem Klonen hast Du ein Beispiel im Grunde schon genannt. Es gibt bereits große Gesellschaften, die sich gegen das Klonen oder Teilbereiche des Klonens entschieden haben, eben aus ethischen Beweggründen nach kritischer Reflektion.


...weil die öffentliche meinung unter anderem durch panik-mache seitens verschiedener interessensgruppen manipuliert wurde. ethische gründe sehe ich durchaus, nur leider gabs da zu 99% keine kritische reflexion. aber lasst euch von mir nicht stören, weitermachen. :)


Da stimme ich Dir völlig zu, aber darum ging es mir nicht wirklich. Daß viele Leute halt oft zu schlecht informiert sind, um wirklich eine vernünftige Aussage über ein fragliches Thema machen zu können (richtig fit bin ich in den Fragen des Klonens nun auch nicht gerade ;)), ist sicher richtig, aber hier ging es mir eher um den Willen, sich auch bewußt gegen etwas zu entscheiden, der z.B. auch beim Atomausstieg zu erkennen ist. Die Leute haben ihren Aufschrei aus ihrer eigenen Sicht nach einer kritischen Reflektion losgelassen. Ob's dann aus Deiner oder meiner Sicht wirklich eine war, ist eine andere Frage... ;)

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Sa, 3. Jul 2004, 00:07

..sich auch bewußt gegen etwas zu entscheiden, der z.B. auch beim Atomausstieg zu erkennen ist. Die Leute haben ihren Aufschrei aus ihrer eigenen Sicht nach einer kritischen Reflektion losgelassen.


auch hier bezweifle ich das vorhandensein von kritischer reflektion. die grünen haben das thema halt übernommen, weil es so schön praktisch ist: strahlung hört/sieht/riecht man nicht, man kann so viel negative stimmung verbreiten...

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weil es so schön praktisch ist: strahlung hört/sieht/riecht man nicht, man kann so viel negative stimmung verbreiten...

Dass man etwas nicht hört/sieht/riecht führt eigentlich eher dazu, dass man die Menschen schwerer dagegen mobilisieren kann. Die Opfer von Tschernobyl, der sprunghafte Anstieg von Krebserkrankungen und Todesfällen sowie die Endlagerungsproblematik mögen aber ihren Teil zur "negativen Stimmung" beigetragen haben ...
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Sa, 3. Jul 2004, 15:30

wulfman hat geschrieben:
..sich auch bewußt gegen etwas zu entscheiden, der z.B. auch beim Atomausstieg zu erkennen ist. Die Leute haben ihren Aufschrei aus ihrer eigenen Sicht nach einer kritischen Reflektion losgelassen.


auch hier bezweifle ich das vorhandensein von kritischer reflektion. die grünen haben das thema halt übernommen, weil es so schön praktisch ist: strahlung hört/sieht/riecht man nicht, man kann so viel negative stimmung verbreiten...


Ich habe das immer noch etwas anders gemeint. :green: Anscheinend drücke ich mich irgendwie unklar aus. :)
Ich wollte das eigentlich aus Sicht der Bevölkerung, der einfachen Wähler, wenn man so will, fassen. Daß Parteistrategen gerne nach dem Populismus-Prinzip vorgehen, ist eine Problematik, die ich auch sehe. Ich meinte, daß die Wähler - im Glauben, korrekt über die Sachlage informiert zu sein - aus einer Reflektionshaltung heraus sich gegen eine Technik wie z.B. die Atomkraft entschieden haben. Das für und wider auf wissenschaftlicher Seite sieht dann halt oft noch anders aus, aber das betrifft meines Erachtens die ganze "Fortschrittsvertrauen vs Fortschrittsmißtrauen"-Diskussion.

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Sa, 3. Jul 2004, 20:16

ButtSeriously hat geschrieben:
Zunächst einmal zum Begriff "normativ" - ich hatte nicht recht verstanden, daß Du ihn insgesamt nicht kennst: Seine Bedeutung bewegt sich im Bereich der Bewertung, enthält gleichzeitig aber auch Elemente von "maßgebend" oder "als Richtschnur dienend", also gewissermaßen "eine Norm (oder ihr Gegenteil) setzend".

Ich kannte den Begriff schon, nur war ich nicht sicher, ob Du ihn so verwendest wie ich ihn verstanden habe. Das ist aber (inklusive der zwei Bedeutungen, auch wenn mir als Informatiker natürlich "Norm gebend" näher liegt) exakt der Fall.

ButtSeriously hat geschrieben:
Das Problem, das ich eben mit der Unterscheidung von Fortschritt und Rückschritt habe, ist, daß ich nicht recht sehe, wie man diese Differenz überhaupt von normativen Elementen trennen kann. Daß Du das willst, ist mir von Anfang an bewußt gewesen, aber was ist denn der Grund, daß die geschehenen Veränderungen als Fortschritt, eine Veränderung zu einer Jäger-und-Sammler-Kultur jedoch als Rückschritt bezeichnet würde? Eben weil die geschehene Entwicklung kulturell mehrheitlich als positiv, eine Veränderung, die sich an früheren Formen orientiert, hingegen als negativ bezeichnet würde.

Nein, Fort- und Rück- haben keine positive bzw. negative Konnotation:
- Der fortschreitende Verfall der moralischen Werte bereitet Grund zur Sorge.
- Der Rückgang von Gewaltverbrechen ist ein Grund zur Freude.
Fortschritt wird verwendet, wenn es sich um eine Entwicklung handelt, die vom Ursprung weggerichtet ist. Rückschritt bezeichnet eine Entwicklung hin zu etwas, was schon mal dagewesen ist. Das hat nichts mit normativen Elementen zu tun.

ButtSeriously hat geschrieben:
Mag ja sein, daß die meisten Menschen anderer Meinung sind, ist mir egal. ;) Schließlich haben die meisten Menschen noch nie ein wissenschaftliches Werk zu dem Thema in der Hand gehabt, sondern benutzen die Begriffe alltäglich und weitgehend unreflektiert (was ja kein Problem ist, doch solch undefinierte Begriffe bringen für eine vernünftig Diskussion halt nichts).

Wissenschaftliches Werk hin oder her, wenn man in der Wahrnehmung einen Unterschied feststellt, gibt es einen Grund dafür. Der Unterschied muß vorhanden sein. Wenn eine Unterscheidung möglich ist, kann ich die Dinge auch getrennt benennen und bewerten, dabei bleibe ich.
Im übrigen Verstehe ich die Relevanz dieser Differenzierung nicht so ganz. Du gibst ja selbst negative Auswüchse des Fortschritts zu. Mit dem Hinweis "alles Natur" würde jegliche Kritik daran unmöglich werden.


ButtSeriously hat geschrieben:
Mit dem Klonen hast Du ein Beispiel im Grunde schon genannt. Es gibt bereits große Gesellschaften, die sich gegen das Klonen oder Teilbereiche des Klonens entschieden haben, eben aus ethischen Beweggründen nach kritischer Reflektion. Daß es dann in anderen Gesellschaften trotzdem passiert, ist richtig, aber die Gründe dafür sind komplex. Z.B. können es im einfachsten Fall einfach andere Wertvorstellungen sein, denn Wertvorstellungen sind ja schließlich relativ und traditionsbedingt und nicht absolut.
Man kann die Menschheit halt nicht als Gesamtheit sehen, denn das widerspricht schon grundsätzlich der Individualität, die (bislang) nur durch regionale Gruppenbildung durchbrochen wird. Ich will durchaus nicht von der Hand weisen, daß man den realtiv jungen europäischen Wert des ethischen Relativismus daher vielleicht schon wieder überdenken muß, wenn es eine gemeinsame Zukunft und damit gemeinsame Lösungen einer als Gesamtheit handelnden Menschheit geben soll.

Auch wenn Du das zu Anfang behauptest, ist das kein Beispiel dafür. Du beschreibst nämlich genau das, was auch ich beschrieben habe, wenn auch von einem anderen Standpunkt.

ButtSeriously hat geschrieben:
Aber ein Mangel an Beispielen der Geschichte beweist erst einmal nichts. Aus der Geschichte läßt sich für die Zukunft weit weniger sagen, als gemeinhin angenommen. Die Trefferquote bei der Voraussage der Zukunft aus der Vergangenheit ist nicht so besonders. ;)

Und das von Dir, wo Du Dich ein paar Absätze darüber so lang über die kulturgeschichtliche Definition von Natur und Technik ausläßt. ;)


ButtSeriously hat geschrieben:
Ich nehme an, das "unwiderruflich" steht hier unter der Bedingung, daß es ein "weiter so wie bisher" (für das ich jetzt kein Beispiel einfallen würde, aber akzeptieren wir's als Gedankenspiel mal für den Moment) stattfindet (denn ansonsten wär's ja wirklich egal ;)).
Ich denke schon, daß ich zu Veränderungen bereit wäre, gebe aber offen zu, daß es von der Radikalität der Veränderungen abhinge. Wenn man etwas aus den heutigen Wertvorstellungen absolut abstruses von mir verlangte, ist es sicherlich im Bereich des Möglichen, daß ich einfach nicht geistig in der Lage wäre, diesen Schritt zu tun (und viele Menschen wären sogar körperlich nicht dazu in der Lage). Was man in wirklich extremen Situationen tun würde, kann man leider immer erst sagen, wenn man sozusagen knietief in der Scheiße steckt. Um eine Analogie zu verwenden: Wenn es einen Konsens unter Soldaten gibt, die im Kriegseinsatz waren, dann den, daß einen die Gedankenspiele des Trainings nie auf den echten Mist vorbereiten können, und man immer erst die wahre Reaktion zeigt, wenn es wirklich so weit ist. Daher muß ich in aller Ehrlichkeit sagen: Ich weiß es nicht genau, es hinge von der Radikalität der abverlangten Änderung ab.


Ich glaube hier hast Du mich falsch verstanden. Ich meinte wirklich unwiderruflich, d.h. es läßt sich nichts daran ändern. Das war eine Antwort darauf, daß Du meintest, der Zweckoptimismus sei zu einer positiven Lebensgestaltung notwendig. Ich verlange Dir also gar keine Änderung in deinem Verhalten ab. Es ging mir eigentlich darum, daß ich annahm, daß sich dein Verhalten nicht ändern würde. ;)

wulfman hat geschrieben:
..weil die öffentliche meinung unter anderem durch panik-mache seitens verschiedener interessensgruppen manipuliert wurde. ethische gründe sehe ich durchaus, nur leider gabs da zu 99% keine kritische reflexion. aber lasst euch von mir nicht stören, weitermachen.

Findest Du es nicht ein bißchen anmaßend, 99% der Bevölkerung ihr Urteilsvermögen abzusprechen? Zumal ich bei ethischen Gründen nicht viel Raum zur Manipulation sehe. Ginge es um Risiken und Chancen, dann kann man Fakten verdrehen, aber bei ethischen Gründen?
Wenn z.B. jemand streng katholisch ist, dann ist es für diese Person ausreichend, wenn der Papst sich dagegen ausspricht, und ob Dir das gefällt oder nicht, diese Person hat dann genauso das Recht ihre Meinung zu vertreten wie jeder andere. Das Wort des Papstes war kritische Reflexion genug, oder willst Du etwa festlegen wie lange sich irgendjemand über etwas Gedanken machen muß, bevor er berechtigt ist, eine Meinung zu haben?
 
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Sa, 3. Jul 2004, 20:28

Ich wollte das eigentlich aus Sicht der Bevölkerung, der einfachen Wähler, wenn man so will, fassen. Daß Parteistrategen gerne nach dem Populismus-Prinzip vorgehen, ist eine Problematik, die ich auch sehe. Ich meinte, daß die Wähler - im Glauben, korrekt über die Sachlage informiert zu sein - aus einer Reflektionshaltung heraus sich gegen eine Technik wie z.B. die Atomkraft entschieden haben. Das für und wider auf wissenschaftlicher Seite sieht dann halt oft noch anders aus.

Du redest von einer pseudoreflektiven Haltung des Normalbürgers einerseits und einer wissenschaftlichen Wahrheit andererseits. Beides existiert aber in der Form nicht.
Alle Verweise auf "die" kulturgeschichtlichen Abhandlungen der letzten hundert Jahre oder "die" wissenschaftlichen Erkenntnisse entbehren einer Grundlage, weil auf beiden Seiten ein ausdifferenziertes Meinungsspektrum existiert und sich andererseits in Sachen Seriosität zwischen"Populisten" und "echten Theoretikern" eine breite Schnittmenge bildet ...
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Sa, 3. Jul 2004, 20:58

Findest Du es nicht ein bißchen anmaßend, 99% der Bevölkerung ihr Urteilsvermögen abzusprechen? Zumal ich bei ethischen Gründen nicht viel Raum zur Manipulation sehe. Ginge es um Risiken und Chancen, dann kann man Fakten verdrehen, aber bei ethischen Gründen?
Wenn z.B. jemand streng katholisch ist, dann ist es für diese Person ausreichend, wenn der Papst sich dagegen ausspricht, und ob Dir das gefällt oder nicht, diese Person hat dann genauso das Recht ihre Meinung zu vertreten wie jeder andere. Das Wort des Papstes war kritische Reflexion genug, oder willst Du etwa festlegen wie lange sich irgendjemand über etwas Gedanken machen muß, bevor er berechtigt ist, eine Meinung zu haben?

nein, finde ich nicht - und ich nehme für mich in anspruch, in vielen (fast allen) belangen ähnlich wenig begründetes urteilsvermögen zu besitzen.

du bringst als beispiel "streng katholisch". wieviele menschen betrifft das? darf dann jemand, der verhütungsmittel verwendet, sich noch auf das urteil des papstes berufen?

abgesehen davon spreche ich 99% nicht das urteilsvermögen ab, ich bezweifle nur die quellen der informationen, auf die sich das sicher gut ausgebildete urteilsvermögen stützt. und ja, bei ethischen bedenken gibt es jede menge spielraum.

nehmen wir als beispiel die künstliche befruchtung im sinne der in vitro fertilisation. wieviele eizellen sollen befruchtet werden? wie lange sollen die befruchteten eizellen gelagert werden dürfen? wie viele sollen implantiert werden? was passiert mit den nicht verwendeten blastozysten? (aktuelle vorgehensweise: nach einer bestimmten zeitspanne werden sie autoklaviert (-> gekocht), die medizinische forschung hätte großes interesse -> stammzellforschung)?
grundsätzlich hätte die kirche nichts gegen die in vitro fertilisation (wäre ja sogar positiv), nur dürften keine "überzähligen" blastozysten entstehen. auf grund der verfahren würde das aber wesentlich mehr stress für die zukünftige mutter bedeuten... wer hat mehr rechte?

und so lange ich in den zeitungen kampagnen sehe (aktuell wieder diese unsägliche greenpeace-kampagne zur gentechnik), die ohne rücksicht auf irgendwas blind alles in einen topf werfen, spreche ich 99% der menschen pauschal die möglichkeit einer objektiven urteilsbildung ab.

ich kenne das ja auch aus meinem bekanntenkreis (oder aus diskussionen mit menschen in der ubahn, im kaffeehaus):

XYZ: "gentechnik ist böse, weil ...[]uns wachsen bald schwammerl am kopf []supermenschen gezüchtet werden []die wissenschaftler ja eigentlich nur arme tiere quälen wollen []<insert random quote>"
W: aber in der medizin werden doch auch sinnvolle dinge gemacht []günstigere produktion von medikamenten []pränataldiagnostik []div. krankheiten erforscht []...

...und plötzlich herrscht erst betretenes schweigen und ev. kommt irgendwas von "ja, da ist das ganze ja uch in ordnung und ganz toll".

ist nur meine erfahrung der letzten zwei jahre.

mfg
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Vorläufig letzte Worte, heute:



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So, 4. Jul 2004, 00:14

Flash hat geschrieben:
Findest Du es nicht ein bißchen anmaßend, 99% der Bevölkerung ihr Urteilsvermögen abzusprechen?

Ich finde es nicht anmaßend, weil es auch meiner Meinung nach schlicht die Wahrheit ist.
Zumal ich bei ethischen Gründen nicht viel Raum zur Manipulation sehe.

Den sehe ich aber absolut. Wievielen Leuten ist bewusst, dass der Mensch sich seit tausenden von Jahren die nach seinen Wünschen besten Nachkommen von Pflanz' und Tier aussucht, nur diese zur Fortpflanzung bringt, und den "Rest" achtlos verwertet? Das findet niemand verwerflich. Wieviele Leute reduzieren die Gentechnik (Gentechnik am Menschen außen vor gelassen) tatsächlich darauf, dass Merkmalsänderungen lediglich beschleunigt bzw. gezielt herbeigeführt werden? Größer ist der Unterschied zur traditionellen - und zumeist als ethisch einwandfrei beurteilten - Züchtung meist aber nicht.

Trotzdem muss der heutige Verbraucher die Möglichkeit haben, garantiert nicht genveränderte Sojabohnen kaufen zu können. So steht er dann seelig grinsend mit seinen etwas teureren Öko-Sojabohnen an der Kasse, deren über die letzen paar hundert Jahre tausendfach zufällig mutiertes Genmaterial ohne Selektion und Pflege des Menschen gar nicht überlebensfähig gewesen wäre. Ich glaube nicht, dass dieser Verbraucher eine kritisch reflektierte, fachlich fundierte Entscheidung getroffen hat.

Mag der Begriff "Fortschrittverweigerer" noch so negativ geprägt sein, man braucht ihn doch. Und zwar, weil es heute Mode ist, Fortschritt ohne fundierte sachliche Argumente abzulehnen - sei es aus Starrsinn, Faulheit, sich zu bilden, Dummheit oder auch einfach wegen ausreichendem Wohlstand. Für Menschen, die dieser Mode folgen, benötigt man ein negativ geprägtes Wort - weil diese Motive zwar in der Gesellschaft vorhanden, von ihr dennoch aber nicht als besonders wertvoll eingeschätzt werden.

Das Wort des Papstes war kritische Reflexion genug, oder willst Du etwa festlegen wie lange sich irgendjemand über etwas Gedanken machen muß, bevor er berechtigt ist, eine Meinung zu haben?
Wenn man wie wulfman von Meinungsbildung durch kritische Reflexion spricht, dann meint man ganz sicher, dass diese auch von demjenigen der sich die Meinung bildet selbst durchgeführt wird. Dein Beispiel steht ziemlich eindeutig dafür, wie eine fremde Meinung unreflektiert einfach übernommen wird. Das gilt selbst, wenn sie vom Papst stammt und dieser sicherlich nicht leichtfertig zu seiner Meinung gekommen ist.

Bis zu diesem Punkt fand ich die Diskussion hoch interessant, aber wenn es jetzt nur noch um die absichtliche Falschauslegung und Wiederrichtigstellung der Begriffe, die der andere verwendet hat gehen soll, dann leere ich meine Popcorn-Tüte woanders. :wink:

Ciao,

Doc SoLo
 
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So, 4. Jul 2004, 11:46

Vorweg: Ich bin absolut pro-Gentech. Aber die mit der Aussage
So steht er dann seelig grinsend mit seinen etwas teureren Öko-Sojabohnen an der Kasse, deren über die letzen paar hundert Jahre tausendfach zufällig mutiertes Genmaterial ohne Selektion und Pflege des Menschen gar nicht überlebensfähig gewesen wäre. Ich glaube nicht, dass dieser Verbraucher eine kritisch reflektierte, fachlich fundierte Entscheidung getroffen hat.

habe ich schon ein Problem. Denn Selektion durch Menschen im herkömmlichen Sinne und die durch Genmanipulation erzeugte, kannst du wirklich nicht auf eine Stufe stellen. Die Risiken, die etwa beim Einpflanzen von bakteriellem Erbgut in Nutzpflanzen entstehen, sind doch etwas anders gelagert, als wenn du über Jahrzehnte den Genpool einer Art optimierst. Wir können die Folgen des Austauschs von Erbgut zwischen Spezies meiner Ansicht nach heute noch nicht wirklich abschätzen. Ich persönlich sehe darin zwar Gefahren, die man für die zahlreichen Vorteile im pharmazeutischen Bereich in Kauf nehmen sollte, aber nichts desto trotz eben Gefahren ...

Ich finde es außerdem problematisch, wie der Einwand "unfundierte Argumentation" hier doch recht selektiv verwendet wird. ;) (wenn auch vielleicht nicht von wulfman)
So nach dem Motto: Unfundiert ist etwas, das anderen Leuten passiert. :D
Cheers,

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So, 4. Jul 2004, 15:33

Danke, ihr bestätigt meine Argumentation, wie ich es besser nicht könnte.
Die Menschheit ist nicht in der Lage Fortschritt bewußt abzulehnen, weil für diejenigen, die ihn durchsetzen wollen, die, die ihn ablehnen immer "starrsinnig, faul und dumm" sein werden, also nicht beachtet zu werden brauchen.

wulfman hat geschrieben:
du bringst als beispiel "streng katholisch". wieviele menschen betrifft das? darf dann jemand, der verhütungsmittel verwendet, sich noch auf das urteil des papstes berufen?

Ich weiß nicht wieviele Leute das sind, deswegen ist es ja auch ein Beispiel. Jemand der Verhütungsmittel verwendet darf sich wohl nicht auf das Urteil des Papstes berufen.

wulfman hat geschrieben:
nehmen wir als beispiel die künstliche befruchtung im sinne der in vitro fertilisation. wieviele eizellen sollen befruchtet werden? wie lange sollen die befruchteten eizellen gelagert werden dürfen? wie viele sollen implantiert werden? was passiert mit den nicht verwendeten blastozysten? (aktuelle vorgehensweise: nach einer bestimmten zeitspanne werden sie autoklaviert (-> gekocht), die medizinische forschung hätte großes interesse -> stammzellforschung)?
grundsätzlich hätte die kirche nichts gegen die in vitro fertilisation (wäre ja sogar positiv), nur dürften keine "überzähligen" blastozysten entstehen. auf grund der verfahren würde das aber wesentlich mehr stress für die zukünftige mutter bedeuten... wer hat mehr rechte?

Da du hier so viele Fragen stellst, nehme ich mal an, ich soll darauf antworten. Kann ich aber nicht, gebe ich gerne zu. Ich weiß nicht mal was Blastozyten sind.
Ich spreche nur nicht jemandem, der eine Meinung dazu hat, das Recht auf diese Meinung ab.

DocSolo hat geschrieben:
Den sehe ich aber absolut. Wievielen Leuten ist bewusst, dass der Mensch sich seit tausenden von Jahren die nach seinen Wünschen besten Nachkommen von Pflanz' und Tier aussucht, nur diese zur Fortpflanzung bringt, und den "Rest" achtlos verwertet? Das findet niemand verwerflich. Wieviele Leute reduzieren die Gentechnik (Gentechnik am Menschen außen vor gelassen) tatsächlich darauf, dass Merkmalsänderungen lediglich beschleunigt bzw. gezielt herbeigeführt werden? Größer ist der Unterschied zur traditionellen - und zumeist als ethisch einwandfrei beurteilten - Züchtung meist aber nicht.

Das schon sehr vielen bewußt, dafür gibt es genug Kaninchen- und Dackelzüchtervereine in Deutschland. Aber interessant, daß Du die Gentechnik am Menschen außen vor lassen willst, das zeigt doch, daß Dir nicht so ganz geheuer bei dem Thema ist.

DocSolo hat geschrieben:
Mag der Begriff "Fortschrittverweigerer" noch so negativ geprägt sein, man braucht ihn doch. Und zwar, weil es heute Mode ist, Fortschritt ohne fundierte sachliche Argumente abzulehnen - sei es aus Starrsinn, Faulheit, sich zu bilden, Dummheit oder auch einfach wegen ausreichendem Wohlstand. Für Menschen, die dieser Mode folgen, benötigt man ein negativ geprägtes Wort - weil diese Motive zwar in der Gesellschaft vorhanden, von ihr dennoch aber nicht als besonders wertvoll eingeschätzt werden.

Wie nennst Du Leute, die ohne fundierte sachliche Argumente dem Fortschritt folgen? Das sind sicher zigmal mehr. Wenn ich böse wäre könnte ich Dich dazuzählen, da Du bisher meiner Argumentation nichts entgegenzusetzen hattest. Da bleibe ich doch lieber starrsinnig, dumm und faul.

DocSolo hat geschrieben:
Wenn man wie wulfman von Meinungsbildung durch kritische Reflexion spricht, dann meint man ganz sicher, dass diese auch von demjenigen der sich die Meinung bildet selbst durchgeführt wird. Dein Beispiel steht ziemlich eindeutig dafür, wie eine fremde Meinung unreflektiert einfach übernommen wird. Das gilt selbst, wenn sie vom Papst stammt und dieser sicherlich nicht leichtfertig zu seiner Meinung gekommen ist.

Ich würde mir meine Meinung gewiß nicht vom Papst diktieren lassen, aber wenn es Leute gibt, die das tun wollen, dann haben sie ein Recht darauf, und ich werde deren Meinung genauso respektieren, wie eine, die durch selbst durchgeführte Reflexion zustandegekommen ist. Wer legt denn fest, daß eine Meinung nur dann gültig ist, wenn sie nicht übernommen ist? Ich maße mir nicht an, zu entscheiden, ab wieviel Reflexion jemand zu einem Urteil berechtigt ist. Wenn jemand anderer Meinung ist als ich, dann kann ich immer versuchen, ihn von etwas anderem zu überzeugen, aber seine Meinung aus welchen Gründen auch immer als irrelevant abzutun, *das* ist starrsinnig, faul und dumm.

DocSolo hat geschrieben:
Bis zu diesem Punkt fand ich die Diskussion hoch interessant, aber wenn es jetzt nur noch um die absichtliche Falschauslegung und Wiederrichtigstellung der Begriffe, die der andere verwendet hat gehen soll, dann leere ich meine Popcorn-Tüte woanders. ;)

Wenn diese Diskussion, an der Du dich bisher nicht beteiligt hast, für dich ein Grund ist, Popcorn zu verzehren, dann werde ich Dich gewiß nicht davon abhalten, Dir eine andere Vergnügung zusuchen.
 
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So, 4. Jul 2004, 17:42

Flash hat geschrieben:
Die Menschheit ist nicht in der Lage Fortschritt bewußt abzulehnen, weil für diejenigen, die ihn durchsetzen wollen, die, die ihn ablehnen immer "starrsinnig, faul und dumm" sein werden, also nicht beachtet zu werden brauchen.

Das ist eine zynische Annahme deinerseits. Die Möglichkeit, aus sachlichen Gründen gegen eine bestimmte Veränderung zu sein, besteht zumindest für mich durchaus und hat auch ihre Berechtigung.
Das schon sehr vielen bewußt, dafür gibt es genug Kaninchen- und Dackelzüchtervereine in Deutschland.

Na, dann bin ich ja beruhigt. :roll:
Aber interessant, daß Du die Gentechnik am Menschen außen vor lassen willst, das zeigt doch, daß Dir nicht so ganz geheuer bei dem Thema ist.
Es ist eine etwas unverschämte Unterstellung, ich würde etwas ausklammern, weil es mir "nicht geheuer" ist. Ich dachte der Grund dafür wäre so offensichtlich, dass ich ihn nicht nennen müsste. Das ethische Problem bei Gentechnik am Menschen besteht in seinem Ursprung nicht durch die neuen Techniken und Methoden sondern durch die Besonderheit des Forschungsgegenstandes selbst. Dieses Problem bestand auch schon mit den Methoden der Züchtung, es ist nicht erst mit der Gentechnik entstanden, sondern nur auf eine neues Niveau gehoben worden. Auch wenn die meisten Menschen Züchtung bei Tieren und Pflanzen nicht moralisch verwerflich finden, so taten sie das doch schon immer bei Züchtung am Menschen. Ich wollte lediglich aus der Züchtung eine Analogie zur Gentechnik ziehen, ohne dies mit der besondere Problematik Mensch in Verbindung zu bringen.
Wie nennst Du Leute, die ohne fundierte sachliche Argumente dem Fortschritt folgen?

Rein theoretisch haben sie immer zumindest ein sachliches Argument, nämlich irgendeinen Vorteil, den der Fortschritt ihnen persönlich bringt.
Wenn ich böse wäre könnte ich Dich dazuzählen, da Du bisher meiner Argumentation nichts entgegenzusetzen hattest.

Ich habe gar nicht versucht, deiner Argumentation etwas entgegenzuhalten. Ich wollte lediglich daraufhinweisen, dass die Motive für die Verweigerung von Veränderungen das Wichtigste sind, wenn jemand als "Fortschrittsverweigerer" bezeichnet wird. Die liefern nämlich den Grund, warum dieser Begriff so negativ belegt ist. Darum ging es ja ursprünglich in dieser Diskussion und meiner Meinung nach kam das bisher noch nicht so deutlich raus.
Ich würde mir meine Meinung gewiß nicht vom Papst diktieren lassen, aber wenn es Leute gibt, die das tun wollen, dann haben sie ein Recht darauf, und ich werde deren Meinung genauso respektieren, wie eine, die durch selbst durchgeführte Reflexion zustandegekommen ist. Wer legt denn fest, daß eine Meinung nur dann gültig ist, wenn sie nicht übernommen ist? Ich maße mir nicht an, zu entscheiden, ab wieviel Reflexion jemand zu einem Urteil berechtigt ist. Wenn jemand anderer Meinung ist als ich, dann kann ich immer versuchen, ihn von etwas anderem zu überzeugen, aber seine Meinung aus welchen Gründen auch immer als irrelevant abzutun, *das* ist starrsinnig, faul und dumm.

Das war gar nicht mein Punkt. Mir ging es lediglich darum, dass du wulfmans Formulierung mit dieser Bemerkung
Das Wort des Papstes war kritische Reflexion genug, ...
scheinbar absichtlich in einen völlig falschen Kontext gesetzt hast. Und auch das hab ich nur geschrieben, weil du anderen hier bereits unsaubere Argumentation vorgeworfen hast.
Wenn diese Diskussion, an der Du dich bisher nicht beteiligt hast, für dich ein Grund ist, Popcorn zu verzehren, dann werde ich Dich gewiß nicht davon abhalten, Dir eine andere Vergnügung zusuchen.
Das mit dem Popcorn ist eben genau ein übertragener Ausdruck für das amüsierte Verfolgen einer Diskussion, ohne sich selbst zu beteiligen - nicht dass ich das wirklich getan hätte..
Denn Selektion durch Menschen im herkömmlichen Sinne und die durch Genmanipulation erzeugte, kannst du wirklich nicht auf eine Stufe stellen.

Nein. Aber im Gegenzug kann man auch das Clonen von Menschen und das gentechnische Verändern von Sojapflanzen nicht auf eine Stufe stellen. Hinter dem plakativen Slogan "Nein zu Gentechnik!" wird das aber oft getan.

Ciao,

Doc SoLo

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