Flash hat geschrieben:Nein, Fort- und Rück- haben keine positive bzw. negative Konnotation:
- Der fortschreitende Verfall der moralischen Werte bereitet Grund zur Sorge.
- Der Rückgang von Gewaltverbrechen ist ein Grund zur Freude.
Fortschritt wird verwendet, wenn es sich um eine Entwicklung handelt, die vom Ursprung weggerichtet ist. Rückschritt bezeichnet eine Entwicklung hin zu etwas, was schon mal dagewesen ist. Das hat nichts mit normativen Elementen zu tun.
Fort- und Rück- mögen ja keine normativen Elemente haben, Fortschritt und Rückschritt in der Form, wie sie heute gebraucht werden, aber schon. Das "Gegenbeispiel", das Du wählst, ist nicht umsonst "Rückgang", was aber, mit Verlaub, ein anderes Wort ist.
Rückgang ist im momentanen Sprachgebrauch (ich beziehe mich da auf die einschlägigen Wörterbücher) eher eine Verringerung in quantiativer Hinsicht über einen messbaren Zeitraum. Rückschritt impliziert aber doch viel eher ein Umkehren auf einer Entwicklungslinie, an dessen vorläufigem Endpunkt die Erreichung eines bereits einmal dagewesenen, früheren Entwicklungspunktes liegt.
Und genau dieser Rückschrittsbegriff kann jenseits gewisser Bewertungselemente nur schwerlich existieren, da er empirisch gesehen ein Luftschloss ist. Es gibt in dem Sinne keine "Entwicklung zurück", sondern die Linerarität, mit der wir Menschen die Zeitdimension zumindest wahrnehmen, diktiert ein "Weitergehen", auf dem man natürlich noch alles mögliche, verschiedene anstellen kann.
Flash hat geschrieben:Wissenschaftliches Werk hin oder her, wenn man in der Wahrnehmung einen Unterschied feststellt, gibt es einen Grund dafür. Der Unterschied muß vorhanden sein. Wenn eine Unterscheidung möglich ist, kann ich die Dinge auch getrennt benennen und bewerten, dabei bleibe ich.
Im übrigen Verstehe ich die Relevanz dieser Differenzierung nicht so ganz. Du gibst ja selbst negative Auswüchse des Fortschritts zu. Mit dem Hinweis "alles Natur" würde jegliche Kritik daran unmöglich werden.
Ein Unterschied in der Wahrnehmung hat einen Grund? Ich denke, das ist ist in dieser allgemeinen Form etwas zu kurz gegriffen. Tatsächlich können sehr graduelle, mitunter sogar vernachlässigenswerte Unterschiede zu extremen Unterschiedwahrnehmungen führen, die sich dann aber auf wissenschaftlichem Wege nicht belegen lassen. Extrembeispiel: Die jahrhundertelange Wahrnehmung anderer menschlicher Rassen als "unterlegen" oder "minderwertig".
Eine Vernichtung der Kritik durch die Aufhebung der Unterscheidung sehe ich aber nicht gegeben, da dies voraussetzen würde, daß Natur grundsätzlich "gut" ist. Als jemand, der gerade erst wieder einem höchst natürlichen Virus die Untermiete kündigen mußte, möchte ich ich das aber vehement bestreiten.
Natur ist für mich im Einzelfall damit absolut kritisierbar, und sicher auch noch in größeren Entwicklungslinien. Nur bei "technischer Entwicklung per se" wird es für mich halt etwas problematischer.
Flash hat geschrieben:Auch wenn Du das zu Anfang behauptest, ist das kein Beispiel dafür. Du beschreibst nämlich genau das, was auch ich beschrieben habe, wenn auch von einem anderen Standpunkt.
Na, wenn Du das, was ich beschrieben habe, so dramatisch sehen willst. Das ist dann wirklich halt nur noch eine Bewertungsfrage. An dem Punkt muß man angesichts der völligen, auf beiden Seiten unbelegbaren Subjektivität endgültig bei einem "we agree to disagree" stehenbleiben. Womit ich kein Problem habe.
Flash hat geschrieben:Und das von Dir, wo Du Dich ein paar Absätze darüber so lang über die kulturgeschichtliche Definition von Natur und Technik ausläßt.
Kultur
wissenschaftliche Definition - großer Unterschied. Die Kulturwissenschaft beschäftigt sich mit Definitionen kulturgeschichtlich überlieferter Ereignisse, richtet sich also nur einteilend nach hinten. Mir ging es um die Schwierigkeit von Vorhersagen aus Vergangenem, die eine bei kulturellen Fragen höchst problematische Periodizität von Geschichte voraussetzen. An solchen Prognosen versucht sich die Kulturwissenschaft jedoch gar nicht.
Flash hat geschrieben:Ich glaube hier hast Du mich falsch verstanden. Ich meinte wirklich unwiderruflich, d.h. es läßt sich nichts daran ändern. Das war eine Antwort darauf, daß Du meintest, der Zweckoptimismus sei zu einer positiven Lebensgestaltung notwendig. Ich verlange Dir also gar keine Änderung in deinem Verhalten ab. Es ging mir eigentlich darum, daß ich annahm, daß sich dein Verhalten nicht ändern würde.
Wenn ich es mit hundertprozentiger Sicherheit wüßte (was ja nun angesichts der Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit wirklich nur ein völlig theoretisches Gedankenspiel ist), dann würde mich der Pessimismus sicher auch übermannen - und damit würde für meine Begriff gleich auch die positive Lebenseinstellung den Bach herunter gehen. Was soll man damit auch, wenn es eh zu Ende geht. Eine "was soll's, ist ja doch egal"-Attitüde wäre wohl der passende Ersatz, wenn es erst in ein paar Jahrhunderten so weit wäre.
Bei unmittelbar bevorstehender Apokalypse würde ich mir wohl eher das Hirn wegsaufen.
Grüße von
ButtSeriously
In memoriam PC Player 1/93 - 6/2001