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Fr, 26. Mär 2004, 12:04

Komisch daß Du von den Palästinensern ein friedliches Vorgehen forderst aber andererseits die von Israel ausgeführte Gewalt billigst.
Ich bin auch der Meinung ein friedlicher Widerstand kann eine Lösung sein, aber es muß eben einer der beiden Parteien anfangen. Und ich denke eine friedliche Lösung zu suchen wäre für Israel einfacher als für die Unterdrückten Palästineser. Aus der Position der Stärke heraus ist es viel einfacher.

Kurioserweise ist das nicht der Fall. Eine demokratisch gewählte Regierung muß sich durch ihre Handlungen für eine Bestätigung im Amt qualifizieren. Deswegen ist die israelische Regierung zunächst daran interessiert, den Terrorismus der Hamas zu unterbinden oder zumindest auf ein möglichst niedriges Maß zu reduzieren. Da rein passive Sicherheit - also intensive Kontrolle an Checkpoints, Grenzüberwachung, konventionelle Polizeiarbeit, Einsatz der Geheimdienste im Inneren - nicht den Erfolg verspricht, den die Öffentlichkeit erwartet, hat man sich dazu entschlossen, auf die identifizierten Anführer der Terroristen Attentate zu verüben.

Der Kern des Problems ist aus meiner Sicht das Fortbestehen der arabischen Ideologie, das Existenzrecht Israels zu verneinen und weiterhin auf den kataklysmischen Krieg zu hoffen, in dem Israel ausgelöscht und "die Juden zurück ins Meer getrieben" würden. Solange sich diese Grundeinstellung nicht ändert, könnte sich keine israelische Regierung Nachgiebigkeit gegenüber den eingeschworenen Feinden leisten.

Andererseits, würden die Palästinenser der Illusion abschwören, sie könnten eines Tages wieder ein "ethnisch reines" Palästina von 1880 wieder zurückbekommen und sich mit der Tatsache abfinden, daß es Israel nun mal gibt, und man sich irgendwie arrangieren muß, so könnten sie es sich leisten, einseitig in Vorleistung zu gehen und den Terrorismus einzustellen. Vergessen wir nicht, daß die Fatah zur ersten und zweiten Intifada aufgerufen hat und sich beispielsweise Arafat niemals ausdrücklich von Bombenattentaten distanziert. Man möge auch nicht die Fähigkeiten der Fatah unterschätzen, Ruhe im eigenen Lager zu bewirken - es ist eben auch Unwille, die Gewalt zu beenden.

Israel weiß ganz genau, daß es die Palästinenser niemals dauerhaft militärisch besiegen kann. Israels strategisches Interesse ist daher langfristig eindeutig auf eine Friedensregelung ausgerichtet - freilich zu illusionär günstigen Bedingungen. Aber man wird Zugeständnisse nur auf dem verhandlungsweg, schrittweise, und über einen langen Zeitraum erreichen können.
Da die Palästinenser nichts zu verlieren haben, riskieren sie mit einer Einstellung der Gewalt ebenfalls nichts. Die Terrorgruppen hingegen würden natürlich durch konventionelle Polizeiarbeit in einer solchen Friedensphase nach und nach ausgehoben werden, weshalb sie sich ja auch aus Gründen der Selbsterhaltung gegen eine Friedensregelung sperren (müssen). Damit wird aber auch deutlich, daß die palästinensischen Anführer seit Jahrzehnten auf ganzer Linie versagt haben, soweit es den Maßstab betrifft, zum Wohle des eigenen Volkes zu arbeiten. Statt substantieller Fortschritte ist lediglich die Perpetuierung eines Krieges niedriger Intensität (im Sinne militärischer Definitionen) erreicht worden, in Verbindung mit Propagandaerfolgen im Ausland (außer Amerika).


Aus meiner Sicht stellt sich die Lage daher so dar, daß die Palästinenser eher als die israelische Regierung die Möglichkeit haben, einen Gewaltverzicht zu üben, und daß es ihren Interessen besser dienlich wäre. Entgegen ihrer eigenen Propaganda bleiben ihnen nämlich tatsächlich Alternativen zu Selbstmordattentaten. Dafür ist aber ein Bewußtseinswandel erforderlich, der zu der Erkenntnis führt, daß die gegenwärtige Situation in einem hohen Maße selbstverschuldet ist und eben nicht alles die Schuld einer zionistischen Weltverschwörung ist.

Daher - und auch, um einen Gegenpol zu der Meinung zu bilden, die in dem infamen Titel dieses Threads zum Ausdruck kommt - neige ich dazu, bei allem Wunsch nach Abstand zu beiden Konfliktparteien, die Problemlage aus Sicht Israels zu beleuchten. Ich meine, daß man sich generell in Europa zuwenig in die Lage Israels hineinversetzt, wenn es um die Bewertung des Konflikts geht. Das geht einher mit einem üblicherweise unzureichenden Wissen über die historische Entwicklung der Situation, und mangelnde Detailkenntnis. Das ist nicht verwunderlich, ich schließe mich dabei mit ein - aber es entschuldigt Ignoranz und vorschnelles Urteil keineswegs. Alle Verantwortung an der gegenwärtigen Lage auf Israel abzuwälzen mag zwar bequem und der Konstruktion eines schön eindeutigen Weltbildes dienlich sein, führt aber nicht weiter.
 
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Fr, 26. Mär 2004, 13:07

Kurz noch zu dem jugendlichen Selbstmordattentäter: Da habe ich auch nur den Kopf geschüttelt, sowas kann ich auch nicht glauben.

Zur Schuld oder Unschuld Israels kann ich nur soviel sagen: Ich finde es einfach wesentlich bedenklicher wenn ein Staat gezielte Terrorakte ausführt als wenn dies fanatische Einzeltäter (von denen es in Palästina eindeutig zu viele gibt) tun.

Daher meine Einstellung.

Vielleicht wäre es eine Lösung für die Region, wenn man das Land in zwei gerechte Hälften teilt, eine hohe Mauer dazwischen zieht und die beiden Völker trennt.

Sehr naiv und simpel ausgedrückt, ob das funktioniert ist auch fraglich, aber es wäre ein Ansatz.
Aber imho lange nicht so bescheuert wie die Israelische Siedlungspolitik der letzten Jahrzehnte.
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Fr, 26. Mär 2004, 13:35

Dirty Harry hat geschrieben:
Aber imho lange nicht so bescheuert wie die Israelische Siedlungspolitik der letzten Jahrzehnte.


Oder der Wunsch nach einem Palästina vom Meer bis zum Jordan.

ciao
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Wie heißt es so schön: Man kann nicht alles haben!

Aber zumindest Frieden sollte möglich sein, vor 1000 Jahren hat es doch auch geklappt....
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Fr, 26. Mär 2004, 15:00

Gestern in der Süddeutschen Zeitung (25.3.04), S. 4:

Im Profil:
Abdel Asis Rantisi, Kinderarzt und neuer Hamas-Führer in Gaza:

Anfang Juni vergangenen Jahres schlugen George Bush, Ariel Scharon und der damalige palästinensische Ministerpräsident Mahmud Abbas in der jordanischen Hafenstadt Akaba einen Weg ein, den die Europäer auf einer "Straßenkarte für den Frieden" vorgezeichnet hatten. Verhandlungen sollten zu Frieden und zur Gründung eines palästinensischen Staates führen. Doch kurz danach gab Scharon seinem Militär einen tödlichen Auftrag. Sie sollten Abdel Asis Rantisi, einen prominenten Hamas-Führer, liquidieren. Der israelische Publizist und Friedensaktivis Uri Avnery nannte den Versuch einen "entscheidenden Punkt in der Geschichte Israels". Das Attentat habe Arafats Bemühungen vereiteln sollen, Hamas für den Friedensplan zu gewinnen; vor allem habe Scharon mit dem Anschlag beabsichtigt, den Friedensprozess zum Scheitern zu bringen.


Mein Reden. Ich kann mich noch gut an die relative Ruhe nach den Verhandlungen von Akaba erinnern und wie diese Ruhe schlagartig beendet wurde. Ich kann den Willen zum Frieden bei der Regierung Scharon beim besten Willen nicht entdecken.
 
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Fr, 26. Mär 2004, 15:21

Und passend dazu ein Zitat eben von Abdelasis al-Rantisi auf ein Waffenstillstandsangebot von Scharon.

"Das Wort Waffenstillstand gibt es in unserem Wörterbuch nicht" Welt vom 15.6.03

Also ich kann mir Frieden bei solcher Philosophie nicht vorstellen.

ciao
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Fr, 26. Mär 2004, 15:41

Ja klar, aber das jetzt Extremisten wie Rantisi das Ruder in der Hand haben und Leute wie Abbas in der Versenkung verschwunden sind, ist ja eben (unter anderem) das Resultat der israelischen Politik. Es ist nicht so, als wenn Rantisi mir sympathisch wäre. Aber es ist schon verständlich, das er denjenigen, die versucht haben ihn zu killen, nun seinerseits mit Gewalt antwortet.
 
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Fr, 26. Mär 2004, 15:47

ray hat geschrieben:
Mein Reden. Ich kann mich noch gut an die relative Ruhe nach den Verhandlungen von Akaba erinnern und wie diese Ruhe schlagartig beendet wurde. Ich kann den Willen zum Frieden bei der Regierung Scharon beim besten Willen nicht entdecken.


Ein Angriff auf einen israelischen Grenzposten war die erste Aktion, wenn ich die alten Zeitungsartikel so durchgehe. Hinzu kommen die Aussagen der radikalen Gruppen mit dem palästinensichen Premier nicht über einen Waffenstillstand oder Entwaffnung reden zu wollen, sondern den bewaffneten Kampf fortsetzen zu wollen. Das ist wirklich eine sehr friedliebende Einstellung.

Ich finde es schade, daß ihr immer nur die Zitate und Aktionen der Israelis rausnehmt und einfach alles von der anderen Seite links liegen lasst.

ciao
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Fr, 26. Mär 2004, 16:00

ray hat geschrieben:
Ja klar, aber das jetzt Extremisten wie Rantisi das Ruder in der Hand haben und Leute wie Abbas in der Versenkung verschwunden sind, ist ja eben (unter anderem) das Resultat der israelischen Politik. Es ist nicht so, als wenn Rantisi mir sympathisch wäre. Aber es ist schon verständlich, das er denjenigen, die versucht haben ihn zu killen, nun seinerseits mit Gewalt antwortet.


Versteh ich das richtig? Der darf sich rächen, Israel aber nicht seine Bevölkerung schützen?

Mal abgesehen davon, daß die Extremisten schon vorher das Sagen hatten und sogar Arafat abschießen würden, wenn sie könnten.

ciao
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Dirty Harry hat geschrieben:
Zur Schuld oder Unschuld Israels kann ich nur soviel sagen: Ich finde es einfach wesentlich bedenklicher wenn ein Staat gezielte Terrorakte ausführt als wenn dies fanatische Einzeltäter (von denen es in Palästina eindeutig zu viele gibt) tun.

Wenn es denn Einzeltäter wären - aber man hat ja eine echte Industrie daraus gemacht. Syrien, Iran und (früher Irak) finanzieren beispielsweise über die Hamas oder auch direkt großzügige Geldgeschenke an jede Familie eines Selbstmordattentäters (und erzeugen damit unter den Jugendlichen zusätzlichen sozialen Druck, sich nun endlich auch den Gürtel umzubinden). Was ja auch einer der Gründe ist, warum die israelische Armee die Häuser der Familien von Attentätern zerstören. Es folgt eben alles durchaus seiner inneren Logik - das Ergebnis ist natürlich insgesamt so bekloppt, wie man sich das nur vorstellen kann.
Auch kommen die Jugendlichen ja nicht ohne weiteres an die Dynamitgürtel 'ran - selbst im Libanon kann man die nicht in der nächsten Apotheke kaufen. Es läuft alles hand in Hand - der Imam sorgt für die Indoktrination "Selbstmordattentate=Märtyrertum=Paradies für Dich und Deine Familie", und tröstet hinterher die zurückgebliebene Mutti. Vati erzählt allen, wie stolz er doch ist, seinen Sohn in den Tod geschickt zu haben. Vatis Kumpels erzählen, wie stolz sie doch auf seinen Opfermut sind, und verwirrte Jugendliche im Hormonschub, die ja sowieso schon emmotional instabil sind, lassen sich dann belabern, ihr Leben wegzuwerfen. Von Einzeltätern mag ich da nicht sprechen - das ist ein Gesellschaftsproblem.
 
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Mo, 29. Mär 2004, 08:40

Klar, deshalb ja mein Nebensatz in Klammern.

Trotzdem sollte es für einen Staat möglich sein die Hand zum Frieden zu reichen, für die ein unterdrücktes Volk ist dies natürlich deutlich schwieriger. Was haben die Palästineser den für Optionen außer dem Terror um zu ihrem Recht zu kommen?
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Di, 30. Mär 2004, 00:43

s.o.
Ich schließe mich der Unterstellung nicht an, es gäbe keine Alternativen für die Palästinenser. Die Entscheidung pro Bombenterror haben sie zu verantworten, nicht Israel. Demgegenüber wäre Israel selbstverständlich gut beraten, die aggressive Siedlungspolitik zu beenden - unabhängig davon, ob diese Maßnahme einfach durchzusetzen ist oder nicht.
 
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Di, 30. Mär 2004, 09:46

Ich will den Bombenterror ja nicht gut heißen, aber mal im Ernst: Was sind den die Optionen? Mir persönlich fällt da nicht viel ein.

Und ich denke einfach mal es wäre für Israel eher möglich den ersten Schritt in Richtugn Frieden zu tun.
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