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Mo, 26. Sep 2005, 15:28

So habe ich es ja nicht gemeint, ich wähle auch nach dem Programm, aber eben nach dem was ich davon für glaubhaft halte. Bei der Spd war mal wieder bei vielem klar daß das nach der Wahl eh nicht eingehalten wird.
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Mo, 26. Sep 2005, 15:42

Meine obigen Aussagen haben sich im Übrigen auf keine Parteien oder Personen im Speziellen bezogen, nicht dass da ein falscher Eindruck entsteht.

Dirty Harry hat geschrieben:
Bei der Spd war mal wieder bei vielem klar daß das nach der Wahl eh nicht eingehalten wird.

Klar, da sind wir uns ja eh einig.
 
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Mo, 26. Sep 2005, 18:37

Dirty Harry hat geschrieben:
Scheint ja jetzt so als ob doch die große Koalition zustande kommt,
...
Vielleicht ist der Wahlausgang ja ganz gut, immerhin bringt er etwas Bewegung in die festgefahrene und verstaubte Koalitionslandschaft. Vielleicht muß man das als Chance sehen daß sich in Deutschland endlich mal wieder was bewegt.


Es bleibt kaum etwas anderes übrig - aber ich glaube nicht daran. Denn auch die große Koalition wird vor nahezu demselben Problem stehen wie zuvor die SPD allein - im Bundesrat gibt's nur eine superknappe Mehrheit von genau einer Stimme, was das Erpressungspotential durch die Länder ernorm hoch ausfallen läßt. In Verbindung mit den Flügelkämpfen in beiden Parteien (vor allem aber in der CDU sind sie zu erwarten) wird am Ende leider nur Murks und halbgarer Mist herauskommen.
Soweit es Bürgerrechte/Innere Sicherheit angeht, wird gar niemand mehr die exzessiven Forderungen der Exekutive in die Schranken verweisen, in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik wird es bestenfalls ein "Weiter so" geben, die Staatsfinanzen werden erst recht nicht saniert, Steuerpolitisch wird sich auch nur wenig bewegen, und daß es zu einer durchgreifenden Sanierung von Renten- und Gesundheitssystem kommen wird, glaubt hier ja wohl auch niemand ernsthaft.

Die einzigen, die sich freuen können, sind Verbände und Funktionäre. Ihr Paternalismus wird fröhliche Urstände feiern und ausgeweitet werden, und der Gedanke an Eigenverantwortung und Selbständigkeit wird weiter zurückgedrängt werden. Ich erwarte von einer großen Koalition noch weniger positive Ergebnisse als von Rot-Grün. :?
 
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Mo, 26. Sep 2005, 23:22

Frogo hat geschrieben:
Doc SoLo hat geschrieben:
Und es war nun wahrscheinlich wirklich das letzte Mal, dass ich wählen war.

Das verstehe ich jetzt ehrlich gesagt nicht. ... Wer wählt, muß auch damit rechnen, zu verlieren, da hilft es doch nicht, dann beim nächsten Mal trotzig einfach gar nix mehr zu machen, damit hilft man wirklich nur der Seite, die man gar nicht will...

Das geht aus meinen Posts vorher tatsächlich nicht hervor. Ich hätte das gar nicht schreiben sollen, weil es in diesem Thread viel zu weit führt. Aber nunja...

Warum tritt Kirchof nicht wieder an? Weil er ein Egomane ist und keinen Erfolg hatte? Nein. Weil er an einem SPD-Wahlplakat vorbeigefahren ist, wo drauf stand, dass eine Krankenschwester mit seinem Steuermodell 400 EUR weniger hätte, obwohl sie 150 EUR mehr haben würde (kam gerade auf ARD). Das hat ihn getroffen. Und wenn das "Politik" ist, will er nichts damit zu tun haben.

Ich habe auch keine Lust auf diesen Mist, genau wie Kirchhof. Weil ich ein Egomane bin und "meine" Partei nicht gewonnen hat? Nein. Mich hat dieses Wahlergebnis tatsächlich geärgert. Ehrlich! Und ich will mich nie wieder über soetwas ärgern.

Diese Massenwahlen von Millionen haben keinen Sinn. Die wenigsten Wahlentscheidungen sind überhaupt rational begründet, die wenigsten Wähler sind überhaupt gebildet und informiert genug, um eine wirklich wertvolle Wahl zu treffen - beides ist per Definition Vorraussetzung für Demokratie. Das Grundgesetz ist an dem Anspruch, keine Weimarer Verhältnisse wieder zu zulassen gescheitert.

Kurz: Niemand kann leugnen, dass das demokratische System unserem Land und seinen Leuten gerade massiv schadet. Ich seh es wie Ssnake: das offensichtlich Notwendige wird auch die nächsten Jahre von der Politik unterlassen werden - wegen eines Wahlergebnisses!

Ich will dieses System nicht. Und der einzige Weg, das auszudrücken ist die Stimmenthaltung. Wenn dafür kein Feld auf dem Wahlzettel ist, kann ich auch nichts dafür.

Diese (meine) Meinung ist genau drei Jahre alt. Ich wollte nicht mehr wählen gehen. Doch es kam tatsächlich einer, der das letzte bisschen Pragmatismus in mir geweckt und mich doch nochmal zur Urne geschleift hat. Weil er eine Idee hatte. Weil man in diesem System - so beschissen es auch ist - vielleicht doch ein paar Dinge verbessern könnte. Weil er ausbrechen wollte aus diesem trübsinnigen Einerlei mit etwas wirklich Neuem. Weil er Ahnung von der Sache hatte, von der er redete. Doch wenn selbst er scheitert (und man beachte, auf welche Art und aus welchen Gründen er gescheitert ist!) und eben nichts verändern kann, was soll ich dann im Wahllokal?!

Ciao,

Doc SoLo
 
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Mo, 26. Sep 2005, 23:49

Ah... Platos alte Frage: Wer soll herrschen?

Die Klügsten?
Die Weisesten?
Das Volk?
Die Starken?

Ja, ich bin über das Wahlergebnis enttäuscht - aber ich ziehe andere Konsequenzen als du. Ich bin auch durchaus nicht wie Plato der Meinung, daß eine Oligarchie aus Technokraten diktatorisch herrschen sollte, weil dem Volk Bildung und Interesse fehlen, sein Wahlrecht verantwortungsvoll auszuüben. So gesehen dürfte man kaum eine bedeutsame Frage dem Durchschnittsbürger zur Entscheidung vorlegen (s. Atomkraft, Rentensystem, usw.).

Demokratien haben nun mal den inhärenten Nachteil, daß die Einsicht in das Notwendige erst erfolgt, wenn systematisch alle scheinbar einfacheren Alternativen erschöpft sind. Das ist nun mal so - es liegt schlichtweg in der Natur des Menschen. Übrigens liegt es auch in der Natur des Menschen, daß der Wille zur Machtausübung vorhanden sein muß, um Macht verliehen zu bekommen (oder um sie sich zu erkämpfen), und daß verliehene Macht korrumpiert. Gerd hat sich am Wahlabend da tatsächlich mal ungeschminkt gezeigt, dafür sollte man ihm dankbar sein.
In gewissem Sinne mag es vielleicht sogar richtig sein, daß die CDU die Wahl auf diese Weise verloren hat - denn sie hat es schlichtweg nicht unterlassen, einem politisch unerfahrenen Akademiker die notwendige Schulung, Begleitung und Einbindung angedeihen zu lassen, um genau solche böswilligen Mißdeutungen zu unterbinden. Die CDU hat darin versagt, die positiven Aussichten deutlich genug herauszustellen, die sich mit den notwendigen Reformen verbinden. Es reicht nicht aus, sich nur damit zu brüsten, ehrlich zu sein. Man muß den Kunden (=den Wählern) auch deutlich machen, welche konkreten Vorteile sich aus den angestrebten Veränderungen ergeben. Das Versagen der CDU war vor allem und in erster Linie ein Versagen des Wahlkampfmanagements. Wahlkampf bedeutet, für Ideen zu werben, und das ist nur unzureichend geschehen.

Ebenso das Umstylen von Frau Merkel: Neue Frisur, schickere Klamotten, mehr Schminke - OK, das war noch vertretbar. Alles was darüber hinaus ging - speziell diese unreifen Jubelperser mit ihren "Angie"-Schildern und Sprechchören - war erkennbar aufgesetzt und peinlich, weil es zu Frau Merkel schlichtweg nicht gepaßt hat. Sie ist keine begeisternde Wohlfühltante (das muß sie auch gar nicht sein!), und eine Werbekampagne, die Versucht, diesen Eindruck zu erwecken, muß zwangsläufig scheitern - der Spagat zwischen vermitteltem Image und dem tatsächlichen Produkt war hier einfach zu groß.


Das ist alles schwierig, vielleicht sogar nahezu unmöglich. Aber es muß versucht werden. Wer es als Politiker oder als Partei nicht schafft, die Kunden von der Richtigkeit der eigenen Ideen zu überzeugen, der hat es letztlich nicht verdient, gewählt zu werden, und der wird auch nicht gewählt. Das sind nun mal die Spielregeln einer Demokratie. Die Wähler haben nicht nur (unnötigerweise) vor Kirchhoff Angst bekommen, sondern auch gespürt, daß die CDU keinesfalls geschlossen hinter diesem Wahlkampfkonzept und diesem Wahlprogramm stand, sondern bestenfalls aus Disziplin und Gewohnheit stillgehalten hat. Hätte die CDU tatsächlich 42% geholt und mit der FDP die Regierung gestellt, wären über kurz oder lang auch in ihr die Flügelkämpfe ausgebrochen, die die SPD in den letzten Jahren zurmürbt haben.
 
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Mo, 26. Sep 2005, 23:55

Was ich damit sagen wollte:
Es ist nicht nur die Aufgabe der Parteien, für die besten Ideen zu werben - sondern auch die Aufgabe aller verantwortungsvollen Demokraten, dieses zu tun. Zum Beispiel, indem man in einem Forum Beiträge schreibt. Und dann, wenn es an der Zeit ist, auch zur Abstimmung schreitet, welche der zur Wahl stehenden Parteien und Kandidaten die besten Konzepte anbieten.
Wahlenthaltung mag eine wohl begründete Idee sein, aber sie schwächt am Ende nur die Demokratie selbst, nicht die Parteien und Politiker, die vielleicht gemeint sind. Und bevor man vorschnell die Demokratie als untauglich ablehnt soll man doch erst mal sagen, welche Regierungsform denn besser geeignet ist (s. Plato). Mich hat bislang kein anderes Konzept zu überzeugen vermocht. Wohlmeinende Diktatoren gibt es nicht und wird es nie geben.
 
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Di, 27. Sep 2005, 07:52

Im Prinzip müßte jemand herrschen der dies nicht will, aber das ist wohl auch nicht zu bewerkstelligen. :wink:

Ich kann Docs Argumente durchaus verstehen, und eigentlich sehe ich es ähnlich schwarz wie er, aber ich habe mich einfach damit abgefunden daß man in einer Demokratie immer nur das kleinste Übel wählen kann, und es daher kein "gutes" Wahlergebnis geben kann. Im übrigen sehe ich die Zukunft nicht ganz so schwarz wie Ssnake, ich kann mir schon vorstellen daß eine große Koalition die notwendigen Reformen hinkriegt. Es wäre zwar nicht das erste mal daß ich enttäuscht werde, aber irgendwann wird es wieder besser werden, da bin ich mir ganz sicher.
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So, 9. Okt 2005, 15:12

Sorry, für die Verzögerung. Ich möchte das ganze auch gar nicht wieder so ausbauen, wie wir das schon allzuoft gemacht haben, sondern lieber mal ein paar neue Punkte bringen:

Du machst nämlich wieder das, was du immer machst: Du erklärst uns die Ideale der Demokratie und verweist auf die Abwesenheit von Alternativen.

Und machst damit wieder dieselben Fehler. Erstens bestreite ich nicht deine demokratischen Ideale, sondern dass sie in diesem System auch nur ansatzweise Realität sind. Zweitens existieren für dich nur aufgrund deiner einseitigen Lebenserfahrung keine Alternativen. Du hast Demokratie und Marktwirtschaft (berechtigterweise) als Erfolg erlebt und deshalb fällt es dir schwer zu erkennen, zu welchen Ungerechtigkeiten und Fehlentwicklungen beides geführt hat. Ich habe es da einfacher. Drittens trenne ich nicht zwischen poltischem und wirtschaftlichen System. Diese Trennung ist - weil in der Realität nicht vorhanden - völlig unsinnig und dient nur dazu, den Leuten Sand in die Augen zu streuen, damit sie nicht sehen, wer tatsächlich Macht ausübt.

Das soll jetzt kein Vorwurf sein, vielmehr sind alle genannten Punkte symptomatisch für die eine Hälfte Deutschlands. Für jemanden wie mich ist es einfach nur witzig, zu sehen, wie man jetzt beginnt, sich über Entlassungen bei hochprofitablen Unternehmen aufzuregen, wie man erkennt, dass die Energiebranche ein einziger Selbstbedienungsladen ist oder wie kritisiert wird, dass die Gewinner in diesem System derzeit in einer beispiellos zynischen Werbekampagne den Schwächeren "Mach was, du faule Sau!" zurufen.

Mag sein, dass wir im Osten vieles nicht kapiert haben nach der Wende, aber ein paar Dinge scheinbar doch - anders kann ich mir das gelegentliche Ick-bin-allhier-Gefühl beim Verfolgen der politischen Debatten nicht erklären. Und das geht vielen aus meinem Bekanntenkreis so.

Insofern ist es kein Wunder, dass wir ewig und immer wieder über dasselbe diskutieren und nicht vom Fleck kommen. Ich fand es schön, dass das hier nie ein Thema war, aber in diesem Punkt kommen wir am Ossi-Wessi-Problem wohl einfach nicht vorbei und es bringt nichts, das weiterhin totzuschweigen.

Ciao,

Doc SoLo
Zuletzt geändert von Doc SoLo am So, 9. Okt 2005, 15:18, insgesamt 1-mal geändert.
 
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So, 9. Okt 2005, 16:07

Ich weiß jetzt nicht ob Du mich oder Doc gemeint hast.

Ich denke das Problem generell ist, daß es kein politisches System gibt daß wirklich 100% gerecht ist und das gleiche gilt auch für wirtschaftliche Systeme. Es gibt immer Verlierer und Gewinner.

Ich denke das gute an unserem System ist, daß wirklich jeder eine Chance hat. Das soll jetzt kein "Mach was faule Sau" rufen sein, sondern einfach eine Feststellung. Jeder bekommt - wenn er will - eine ordentliche Schulbildung auf die er Aufbauen kann. Der Rest ist zum Teil Glück, zum Teil eigenes Bemühen und zum Teil das "die Chance nutzen".

Daß die Menschen im Osten da etwas benachteiligt sind ist mir schon klar.

Aber 100% Gerechtigkeit gibt es nicht, das hat auch im Kommunismus und im Sozialismus noch nie funktioniert.
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Mo, 10. Okt 2005, 23:28

Also, für den Fall, daß Docs Antwort auf mich gemünzt war:
Du machst nämlich wieder das, was du immer machst: Du erklärst uns die Ideale der Demokratie und verweist auf die Abwesenheit von Alternativen.

Ich stehe nicht in der Beweispflicht, was Alternativen angeht. Wenn Du schreibst, daß Du unzufrieden mit der Demokratie bist, dann liegt es auch an Dir, eine Alternative zur Diskussion zu stellen. Da gibt es ja durchaus einige - Faschismus, Autokratie, Oligarchie, Technokratie, Sozialismus, Kommunismus, ... Gemessen an diesen Alternativen finde ich Demokratie prima. Demokratie gepaart mit Vernunft sowohl beim Wähler wie bei den Politikern wäre noch besser, aber weil ja jeder eine andere Vorstellung von "Vernunft" hat und glücklicherweise keine Stimme mehr zählt als andere, kommt es nun mal zur Selbstblockade bis die Situation für eine Mehrheit unerträglich geworden ist.
Vielleicht könnte man durch frühzeitige Maßnahmen, die ein kleines bißchen weh tun, den großen Schmerz vermeiden der dann auftritt, wenn Änderungen unausweichlich werden und dann auch gleich noch nach dem Hau-ruck-Verfahren durchgezogen werden müssen, weil die Hütte brennt. Aber in einer Demokratie funktiniert das nun mal nicht - das ist, ganz klar, ein echter Nachteil. Nur, finde ich, überwiegen die Vorteile.
Natürlich gibt es Alternativen, die seit den griechischen Philosophen immer wieder durchdekliniert wurden und gelegentlich von Revolutionären dem Praxistest unterworfen werden. Die bisherigen Testergebnisse finde ich nicht ermutigend, daher lehne ich die vorgeschlagenen Alternativen ab. Nur weil ich Alternativen als untauglich verwerfe heißt das nicht, daß ich ihre Existenz bestreite. Wer die Vor- und Nachteile anders gewichtet, wird möglicherweise auch zu anderen Ergebnissen kommen. Aber dann soll er wenigstens sagen, daß auch seine Lösung nicht frei von Nachteilen ist.

Bei jeder Form der Machtausübung gibt es Gewinner und Verlierer. Unterschiedliche Regierungsformen haben dementsprechend unterschiedliche Gruppen von Gewinnern und Verlierern (Anwälte gehören typischerweise aber fast immer zu den Gewinnern.... hmmm....). Ich finde jene Regierungsformen gut, in denen jedermann die prinzipielle Chance eingeräumt bekommt, zu den Gewinnern zu gehören. Die Demokratie erlaubt das, weil die Verlierer, sobald sie in der Mehrheit sind, die Herrschenden absetzen können (die sog. "formalen Kriterien"), und zwar unblutig. Das bedeutet nicht, daß jeder zwangsläufig irgendwann mal zu den Gewinner gehört - aber zumindest wird alle vier Jahre mal in den großen Lotterietopf gegriffen (in dem freilich einige mehr Lose drinnen haben als andere - Chancengleichheit ist ein Ideal, das freilich nie erreicht wird, weil es der menschlichen Natur entspricht, zuallererst seine eigenen Chancen zu verbessern, was zwangsläufig nur auf Kosten anderer geht. Deswegen haben wir Anwälte, Steuerberater und Lobbyisten, die die Reichen schützen - wie die Reichen sich diesen Schutz kaufen können).

All das bestreite ich nicht. Das sind echte Nachteile. Nur habe ich noch von keiner besseren Alternative gehört, die auf einem Menschenbild basiert, das ich realistisch finde. Das der Mensch a sich ein grundguter ist, den nur die Verhältnisse verderben - nee, daran glaube ich nicht. Ich glaube eher, daß Gelegenheiten zu gemeinschaftsschädlichem Verhalten ermuntern. Wer mit geringem Risiko auf Kosten anderer einen Gewinn einstreichen kann, wird es tun. Ist nicht schön, aber zumindest einigermaßen berechenbar. Das ist ja zumindest mal etwas - Zuverlässigkeit ist ja auch ein Wert. :P
 
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Di, 11. Okt 2005, 00:42

Ssnake hat geschrieben:
Chancengleichheit ist ein Ideal, das freilich nie erreicht wird, weil es der menschlichen Natur entspricht, zuallererst seine eigenen Chancen zu verbessern, was zwangsläufig nur auf Kosten anderer geht.

Das wiederum sehe ich überhaupt nicht so! Mag sein, dass meine persönlichen Ideale zu sozial sind und ich wirklich ein Depp bin, der in erster Linie das Allgemeinwohl und die Bedürfnisse anderer Menschen im Auge hat, jedoch halte ich das für den richtigen Weg und auch mehr der menschlichen Natur entsprechend, als die Anwendung der "Gesetze des Dschungels" in einer zivilisierten Gemeinschaft.

Das hat für mich etwas mit Triebauslebung zu tun und nicht der Intelligenz, die uns Menschen gegenüber anderen Lebewesen auf diesem Planeten auszeichnet. Von daher ist mir auch klar, warum alternative Systeme wie der Sozialismus gar nicht funktionieren können. Die Frage ist nur, ob es das am Ende auch wert ist. Man wird sehen, ob uns in Zukunft das eigene Haus, der Fernseher, die Stereoanlage und die 2 Autos in der Garage von Nutzen sein werden oder ob man sich nicht auf andere, wichtigere Dinge hätte besinnen sollen. Klingt komisch, iss aber so... ;)
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Di, 11. Okt 2005, 11:06

...an Deinem letzten Tag hohl ich Dich ein, nehm Dich fest in meinen Griff...

(Die Toten Hosen).

Grundsätzlich ist alles materielle irgendwann uninteressant, bis zu diesem "irgendwann" erleichtert es aber das Leben.
Grundsätzlich muß man da aber nicht die Demokratie in Frage stellen sondern die Ausrichtung wie diese in unserem Land funktioniert. Vielleicht wäre ein bißchen mehr Ethik, gerade auch bei den Bossen von großen Konzernen, da wünschenswert und würde unsere Gesellschaft auch weiterbringen. Vielleicht sollte man den Wert einer Aktie nicht am Gewinn sondern an der Anzahl der Arbeitsplätze koppeln, da wäre schon wieder geholfen. Aber da sind wir wieder bei dem was Ssnake schon richtig erkannt hat: Im Zweifelsfall hat jeder erstmal seinen eigenen Vorteil im Sinn. Das ist genetisch so bedingt, und man kann nicht verlangen daß das jeder mit Intelligenz überwinden kann.
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Di, 11. Okt 2005, 18:33

Chancengleichheit ist ein Ideal, das freilich nie erreicht wird, weil es der menschlichen Natur entspricht, zuallererst seine eigenen Chancen zu verbessern, was zwangsläufig nur auf Kosten anderer geht.

Dazu:
http://www.mentalsoup.com/mentalsoup/basic.htm
Cheers,
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=)
 
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So, 16. Okt 2005, 19:09

Ssnake hat geschrieben:
Ich finde jene Regierungsformen gut, in denen jedermann die prinzipielle Chance eingeräumt bekommt, zu den Gewinnern zu gehören. Die Demokratie erlaubt das, weil die Verlierer, sobald sie in der Mehrheit sind, die Herrschenden absetzen können...

Ich frag mich wo du lebst?! Sag das mal dem hässlichen Arschloch, das in einer Toilette einer Ghetto-Wohnung als Kind zweier Sozialhilfeempfänger in zweiter Generation das Licht Deutschlands erblickt. Die Welt ist längst aufgeteilt und ihre Ressourcen werden vererbt. Von denen die kommen, habens die einen von anfang an und die anderen kriegen es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie - egal was sie machen. Steht so im Grundgesetz. Natürlich anders ausgedrückt und in den Auswirkungen nicht ganz zu Ende beschrieben.

Und wenn das kleine Arschloch dann alt genug ist, um in einem deutschen Ballungsraum als Mietsklave zu schuften und die Hälfte seines Lohns an den Besitzer der vier Wände in denen es hausen darf abdrückt (übrigens ohne dass der irgendetwas dafür leisten müsste, nennt man arbeitsfreies Einkommen), darf es wählen gehen. Nun nehmen wir an, unser Arschloch ist ein ganz besonders cleveres Exemplar - Schule, Politik, Medien haben ihm sein Leben lang vergebens ins Hirn geschissen, damit er nicht erkennen sollte, wie er um seiner Hände Arbeit betrogen wird - und möchte etwas an den Verhältnissen zum Besseren ändern. Dann wird es feststellen, dass kein zur Wahl stehender Politiker an dem was ihn arm macht etwas ändern will. Egal wo das Kreuz landet, an seinen Lebensverhältnissen wird sich garantiert nichts verbessern. Kein Wunder, es darf ja gar niemand für ihn eintreten, ohne den Staatsapparat zu Sanktionen zu berechtigen. Demokratie? Natürlich! Aber doch bitte nur im Rahmen unserer weisen besitzstandswahrenden Verfassung.

Und dann wundern sich die Gewinner des Systems, wenn die kleinen Arschlöcher nicht mehr zu Wahl gehen. Oder einfach den wählen, der die Schraube des Sozialtropfs, an dem sie bereits hängen, etwas aufdreht. Oder aus Spass irgendwas ankreuzen. Verurteilen, dass manches kleine Arschloch nicht mal mehr arbeiten will, sondern sich vom Staat mit Kippen, Dosenbier und Currywurst versorgen lässt bis es endlich kalt und finster wird. Und bevor es ganz schlimm kommt, macht man eine Werbekampagne, damit die kleinen Arschlöcher bitte wieder mitspielen mögen. Du bist Michael Schumacher! ...Na gut, die 70 Millionen im Jahr kriegst du natürlich nicht - die behalten wir lieber selber. Zeig mehr Eigeninitiative, hör auf zu meckern! ...Achja, und kritisiere nicht das System, von dem wir profitieren.

Oh, jetzt hab ich ja dieselben Nachteile beschrieben, die du schon genannt hast. Bisschen anders natürlich. Du bist ja gern bereit, diese unbedeutenden kleinen Kröten zu schlucken, wenn nur alles schön freiheitlich und demokratisch bleibt, wie im GK-Unterricht gelernt. Dummerweise stehen für mich diese Kröten im Vordergrund, weil sie täglich erlebte Realität sind (dabei triffts mich noch nichtmal so hart, wie das kleine Arschloch oben). Die Demokratie und ihre Politiker bestimmen diese Realität eben bei weitem nicht so, wie immer getan wird. Deswegen sind mir beide relativ egal. Schockierend was? Das größte staatstechnische Geschenk mit dem ich '90 beglückt wurde, ist mir egal.

Mich interessieren ganz andere Dinge. Z. B. dass die ständige Umverteilung von arm zu reich endlich aufhört. Dafür müsste man unter anderem Grundbesitzer enteignen, den Zins abschaffen und die Spekulation in der Finanzwelt verbieten. Wenn das mit deiner Demokratie nicht geht: weg damit! Gehts doch, darfst du sie meinetwegen behalten. Habe aber meine Zweifel daran. Wenns ernst wird, kommt wieder einer und macht den kleinen Leutchen angst und bange, weil sie dann auf ihr 10.000-EUR-Sparbüchlein das anderthalbe Prozent Zinsen nicht mehr kriegen. Dumm wie die kleinen Lemminge nunmal gemacht wurden von diesem Staat, kneifen sie und steigen montags wieder brav in ihre Laufräder. Hatten wir ja vor ein paar Wochen so ähnlich.

Ist überhaupt das perfide: Alle denken, Ausbeutung wär abgeschafft, dabei ist nur das System so abstrakt gemacht geworden, dass es die Leidtragenden nicht mehr kapieren. Die Ägypter wussten bestimmt noch, warum sie hungerten. Klar: Weil sie diese scheiß Pyramiden bauen mussten und ihre Felder nicht bestellen durften. War ja auch einfach zu kapieren. Wenn ihnen das mal wieder bewusst wurde, haben sie Revolte gemacht, worauf es wieder etwas besser ging. Ganz anders dagegen heute. Heute wird mal ein Streik gemacht, die ganz Mutigen wählen gar PDS *huhuh, schauder*. Setzt sich Lafontaine nun auch ein für diese Leute oder zieht er nur feixend, grinsend und scherzend durch die Talkshows und genießt seinen persönlichen Rache-Ego-Trip?

Mein lieber Ssnake: Die Verlierer SIND in der Mehrheit! Und du willst ernsthaft behaupten, sie könnten sich mit den erlaubten Mitteln in diesem Staate gegen ihre Peiniger wehren??? Ach, hoppla - das hast du ja gar nicht gesagt. Clever wie du bist, schreibts du, dass sie "die Herrschenden absetzen können". Okay, das geht natürlich schon. Aber die erhoffte Wirkung bringts nicht. Wenn du das Demokratie nennst...

Und zu deinem Menschenbild: Einseitige Lebenserfahrung! Ich kanns nur nochmal sagen. Aber über den Alltag in der DDR kommt auch nix im Fernsehen, nur über Mauer, Knast und Stasi.

Ciao,

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