Ssnake hat geschrieben:Ich finde jene Regierungsformen gut, in denen jedermann die prinzipielle Chance eingeräumt bekommt, zu den Gewinnern zu gehören. Die Demokratie erlaubt das, weil die Verlierer, sobald sie in der Mehrheit sind, die Herrschenden absetzen können...
Ich frag mich wo du lebst?! Sag das mal dem hässlichen Arschloch, das in einer Toilette einer Ghetto-Wohnung als Kind zweier Sozialhilfeempfänger in zweiter Generation das Licht Deutschlands erblickt. Die Welt ist längst aufgeteilt und ihre Ressourcen werden vererbt. Von denen die kommen, habens die einen von anfang an und die anderen kriegen es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nie - egal was sie machen. Steht so im Grundgesetz. Natürlich anders ausgedrückt und in den Auswirkungen nicht ganz zu Ende beschrieben.
Und wenn das kleine Arschloch dann alt genug ist, um in einem deutschen Ballungsraum als Mietsklave zu schuften und die Hälfte seines Lohns an den Besitzer der vier Wände in denen es hausen darf abdrückt (übrigens ohne dass der irgendetwas dafür leisten müsste, nennt man arbeitsfreies Einkommen), darf es wählen gehen. Nun nehmen wir an, unser Arschloch ist ein ganz besonders cleveres Exemplar - Schule, Politik, Medien haben ihm sein Leben lang vergebens ins Hirn geschissen, damit er nicht erkennen sollte, wie er um seiner Hände Arbeit betrogen wird - und möchte etwas an den Verhältnissen zum Besseren ändern. Dann wird es feststellen, dass kein zur Wahl stehender Politiker an dem was ihn arm macht etwas ändern will. Egal wo das Kreuz landet, an seinen Lebensverhältnissen wird sich garantiert nichts verbessern. Kein Wunder, es darf ja gar niemand für ihn eintreten, ohne den Staatsapparat zu Sanktionen zu berechtigen. Demokratie? Natürlich! Aber doch bitte nur im Rahmen unserer weisen besitzstandswahrenden Verfassung.
Und dann wundern sich die Gewinner des Systems, wenn die kleinen Arschlöcher nicht mehr zu Wahl gehen. Oder einfach den wählen, der die Schraube des Sozialtropfs, an dem sie bereits hängen, etwas aufdreht. Oder aus Spass irgendwas ankreuzen. Verurteilen, dass manches kleine Arschloch nicht mal mehr arbeiten will, sondern sich vom Staat mit Kippen, Dosenbier und Currywurst versorgen lässt bis es endlich kalt und finster wird. Und bevor es ganz schlimm kommt, macht man eine Werbekampagne, damit die kleinen Arschlöcher bitte wieder mitspielen mögen. Du bist Michael Schumacher! ...Na gut, die 70 Millionen im Jahr kriegst du natürlich nicht - die behalten wir lieber selber. Zeig mehr Eigeninitiative, hör auf zu meckern! ...Achja, und kritisiere nicht das System, von dem wir profitieren.
Oh, jetzt hab ich ja dieselben Nachteile beschrieben, die du schon genannt hast. Bisschen anders natürlich. Du bist ja gern bereit, diese unbedeutenden kleinen Kröten zu schlucken, wenn nur alles schön freiheitlich und demokratisch bleibt, wie im GK-Unterricht gelernt. Dummerweise stehen für mich diese Kröten im Vordergrund, weil sie täglich erlebte Realität sind (dabei triffts mich noch nichtmal so hart, wie das kleine Arschloch oben). Die Demokratie und ihre Politiker bestimmen diese Realität eben bei weitem nicht so, wie immer getan wird. Deswegen sind mir beide relativ egal. Schockierend was? Das größte staatstechnische Geschenk mit dem ich '90 beglückt wurde, ist mir egal.
Mich interessieren ganz andere Dinge. Z. B. dass die ständige Umverteilung von arm zu reich endlich aufhört. Dafür müsste man unter anderem Grundbesitzer enteignen, den Zins abschaffen und die Spekulation in der Finanzwelt verbieten. Wenn das mit deiner Demokratie nicht geht: weg damit! Gehts doch, darfst du sie meinetwegen behalten. Habe aber meine Zweifel daran. Wenns ernst wird, kommt wieder einer und macht den kleinen Leutchen angst und bange, weil sie dann auf ihr 10.000-EUR-Sparbüchlein das anderthalbe Prozent Zinsen nicht mehr kriegen. Dumm wie die kleinen Lemminge nunmal gemacht wurden von diesem Staat, kneifen sie und steigen montags wieder brav in ihre Laufräder. Hatten wir ja vor ein paar Wochen so ähnlich.
Ist überhaupt das perfide: Alle denken, Ausbeutung wär abgeschafft, dabei ist nur das System so abstrakt gemacht geworden, dass es die Leidtragenden nicht mehr kapieren. Die Ägypter wussten bestimmt noch, warum sie hungerten. Klar: Weil sie diese scheiß Pyramiden bauen mussten und ihre Felder nicht bestellen durften. War ja auch einfach zu kapieren. Wenn ihnen das mal wieder bewusst wurde, haben sie Revolte gemacht, worauf es wieder etwas besser ging. Ganz anders dagegen heute. Heute wird mal ein Streik gemacht, die ganz Mutigen wählen gar PDS *huhuh, schauder*. Setzt sich Lafontaine nun auch ein für diese Leute oder zieht er nur feixend, grinsend und scherzend durch die Talkshows und genießt seinen persönlichen Rache-Ego-Trip?
Mein lieber Ssnake: Die Verlierer SIND in der Mehrheit! Und du willst ernsthaft behaupten, sie könnten sich mit den erlaubten Mitteln in diesem Staate gegen ihre Peiniger wehren??? Ach, hoppla - das hast du ja gar nicht gesagt. Clever wie du bist, schreibts du, dass sie "die Herrschenden absetzen können". Okay, das geht natürlich schon. Aber die erhoffte Wirkung bringts nicht. Wenn du das Demokratie nennst...
Und zu deinem Menschenbild: Einseitige Lebenserfahrung! Ich kanns nur nochmal sagen. Aber über den Alltag in der DDR kommt auch nix im Fernsehen, nur über Mauer, Knast und Stasi.
Ciao,
Doc SoLo