Fr, 11. Feb 2005, 23:49
Als überzeugter Marktwirtschaftler muß ich da jetzt mal wiedersprechen (nicht Dir, Early!).
Auch den angeblich ausgebeuteten Dritte-Welt-Ländern geht es heutzutage wirtschaftlich deutlich besser als vor 20 oder 30 Jahren. Die Zahl der Hungernden in der Welt ist etwa konstant geblieben (was von Seiten diverser Aktivisten gerne als Beweis für das Versagen des Westens angeführt wird) - wer das beklagt, vergißt aber, daß sich die Zahl der Menschen inzwischen mehr als verdoppelt hat. Der Anteil der Weltbevölkerung, die Hunger leiden muß, hat sich also halbiert - das ist keine schlechte Leistung.
Natürlich gibt es weiterhin arme Länder. Deren Armut aber nicht ausschließlich durch "Ausbeutung" zustandekommt, sondern wenigstens zum Teil auch schlichtweg durch unfähige, korrupte und kriminelle Regierungen, die in diesen Ländern teilweise seit Jahrzehnten in die eigene Tasche wirtschaften oder (z.B. in Somalia damals) den Hunger als strategische Waffe in Bürgerkriegen einsetzen.
Ich bestreite nicht, daß es von Seiten der Industriestaaten Protektionismus gibt, der zum Schaden der Entwicklungsländer ist (z.B. Agrarsubventionen) - aber gerade das kann man nun nicht dem marktwirtschaftlichen Prinzip vorwerfen, gerade weil es ja ein künstliches Markthemmnis ist.
Freihandel führt zu einer Produktdifferenzierung und global arbeitsteiliger Wirtschaft, an der alle gewinnen können - eine Garantie dafür gibt es freilich nicht. Beispiele: Unsere Firma beschäftigt Grafiker in Norwegen, Rußland und Kanada. Aus Gründen der internen Fairneß zahlen wir allen für gleiche Arbeit den gleichen Lohn. Für jemanden in Rußland ist das erheblich mehr als für jemanden in Norwegen oder Kanada. Der Gewinn für den Russen ist also nicht unbedingt auch ein Gewinn für jemanden in einem Hochlohnland. Wenn sich also unsere Bauarbeiter in Deutschland über sinkende Löhne beklagen, dann spiegelt das aber auch den Gewinn für die Arbeiter aus Polen wider, denn die rennen uns ja nicht die Bude ein, weil hier so schäbbige Löhne gezahlt werden - verglichen mit Zuhause ist es hierzulande trotz "bloß" drei Euro die Stunde immer noch besser.
Über dem ganzen Sozialen haben die Romantiker den Hauptteil "Marktwirtschaft" nämlich vergessen. Wir sind in Deutschland fett und faul geworden. Das heißt natürlich nicht, daß diejenigen, die Arbeiten faul wären - da wird schon geklotzt! Und das heißt auch nicht, daß Arbeitslose deswegen arbeitslos sind, weil sie nicht arbeiten wollten - aber das Lohnniveau insgesamt ist zu hoch, und das führt natürlich auch dazu, daß die Waren in Deutschland teuer sind.
Mal ehrlich: Wenn ein VW Golf als Nordamerikanischer Reimport immer noch tausend Euro billiger ist als im Wolfsburger Factory Outlet, dann kann da doch etwas nicht stimmen: Zweimal über den Atlantik schippern, und am Ende immer noch gespart? Unter der Annahme, daß VW keine Miesen macht, wenn sie in den USA den Golf zum Listenpreis losschlagen, heißt das doch, daß der Golf hierzulande so viel teurer ist, daß die Handelsspanne zwei Kreuzfahrten über den Atlantik plus tausend Euro abdeckt. Das jetzt nur mal ein Beispiel. Ich denke, wenn wir mal genauer hinsehen, finden wir noch andere. Klamottenpreise in Boutiken, wenn ich spontan mal über absurde Preise frei assoziiere. Oder mit Sauerstoff angereichertes Mineralwasser.
Wir müssen also wieder dahin kommen, daß man auch mit einfachen Handlangerdiensten in Deutschland einigermaßen über die Runden kommt (allein schon, weil's bei einigen nicht zu mehr langt, oder weil es als Übergangslösung immer noch besser ist als täglich 10 Bewerbungen schreiben). Und das geht eben nur, wenn die Sozialleistungen reduziert werden. Es heißt im Gegenzug aber auch, daß wenn weniger Sozialbeiträge abgeführt werden, für diejenigen die schon (oder noch) Arbeit haben, selbst bei sinkenden Löhnen immer noch genausoviel in der Tasche bleiben kann. Und ob man nun 38,5 Wochenstunden oder 40 arbeitet - hey, wir streiten hier über täglich 20 Minuten! Da sind wir doch stellenweise in unserem Land bei sehr, sehr kleinem Karo angelangt.
Marktwirtschaft heißt, jeder bekommt eine Chance, und nicht: Jeder wird reich. Soziale Marktwirtschaft heißt: Es bekommt jeder auch noch eine zweite, dritte, vierte Chance. Aber irgendwann muß man dann auch mal zupacken. Das ist doch schizophren, daß wir als Individuen die Arbeitslosigkeit (zu Recht) fürchten, und uns als Gesellschaft lieber 5 Millionen Arbeitslose leisten statt dafür zu sorgen, daß unser Wirtschaftsleben wieder so in Schwung kommt, daß Arbeitslosigkeit für jeden nur ein kurzer Abschnitt ist, der zwar immer mal kommen kann, aber nie von Dauer ist. Stattdessen haben wir in den letzten 20 Jahren alles getan, um die aus dem Wirtschaftleben Ausgestoßenen so zu alimentieren, daß sie nicht auf den Gedanken kommen, um jeden Preis wieder eine neue Arbeit fordern zu wollen.
Daß die von Hart IV getroffenen sich jetzt ungerecht behandelt fühlen, ist doch kein Wunder und ach absolut nachvollziehbar: Erst haben wir alles getan, um sie draußen zu halten, und jetzt gehen wir ihnen ans Portemonnaie als Strafe dafür, daß sie sich an die alten Regeln gehalten haben. Ich will hoffen, daß das eine Übergangsphase ist, und jetzt der nächste Schritt kommt, um dieses Land von den lähmenden, selbstauferlegten Fesseln zu befreien. Wir ersticken an der Bürokratie, die aus gutgemeinten, aber schlecht gemachten Gesetzen resultiert.
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Ssnake am Fr, 11. Feb 2005, 23:50, insgesamt 1-mal geändert.