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ButtSeriously
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United 93

Do, 1. Jun 2006, 21:26

Okay, meine Finger zittern nicht mehr. Das heißt dann wohl, dass ich nun mal ein paar Worte zu Paul Greengrass' "United 93", dem vieldiskutierten Film über die Entführung des gleichnamigen Linienfluges am 11. September 2001, verlieren kann - denn dieser Streifen hat jedes bisschen Aufmerksamkeit verdient, das er bekommt. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob "United 93" für Leute, die nicht längere Zeit in den USA gelebt haben, die gleiche emotionale Wucht haben wird wie für mich, aber wenn ich den Kumpel, mit dem ich im Kino war und der das Land nur aus zwei Urlaubsreisen kennt, als Maßstab nehme, dann sollte der Film seine Wirkung zumindest nicht völlig verfehlen.

Paul Greengrass nimmt seine Zuschauer mit auf eine kleine Zeitreise zurück zu jenen Morgen im September 2001 - und in ein Amerika, an das ich mich noch gut erinnere, aber so nicht mehr wiederfinde, wenn ich jetzt über den großen Teich schippere. Ein offeneres, freundlicheres, gelasseneres Amerika, das 9/11 nicht unbeschadet überstanden zu haben scheint, wenn ich an den kalten Wind denke, der mir zuletzt bei Einreiseformalitäten in den USA entgegenwehte.

Was Greengrass dem Zuschauer zeigt, ist stilistisch erfreulich zurückhaltend. Detailversessen - gestützt auf private Telefongespräche, Erinnerungen, Protokolle und den 9/11 Commission Report - chronologiert der Regisseur und Autor die Ereignisse in den verschiedenenen Flugsicherheits- und Flugkontrolleinrichtungen, den militärischen Einsatzzentralen und an Bord von United Airlines Flug 93 - letzteres natürlich zwangsläufig mit Spekulationen, die die lückenhaften Fakten ergänzen (worauf ehrlicherweise am Ende des Abspanns hingewiesen wird). Perfekt fängt er dabei die Atmosphäre jenes Tages ein - zumindest so, wie man sie als Abwesender aus der Ferne miterlebt hat: Zunächst der ganze normale Alltag. Dann die ersten Meldungen über Flugzeugentführungen und einen Einschlag im World Trade Center. Dann die Verwirrung und schließlich das wachsende Entsetzen, als langsam klar wird, was wirklich passiert ist.

Greengrass schildert all dies nicht direkt aus der Perspektive einer bestimmten Figur, sondern in einem geradezu dokumentarischen Stil, was den Film nur umso fesselnder macht, weil er dadurch so unheimlich real wirkt. Kein aufgesetztes Pathos. Keine bemüht kunstvollen Bilder. Selbst John Powells Soundtrack wird erst kurz vor dem bitteren Ende erstmals deutlich wahrnehmbar, nachdem er bis dahin mehr auf der Ebene eines Herzschlags verharrte, der schneller wird in Momenten des Chaos und der Verwirrung und dann regelrecht zu stocken scheint, als die allseits bekannten Einschläge stattfinden, die sinnvollerweise nur in Form des originalen Dokumentarmaterials gezeigt werden - offensichtlich in dem Bewusstsein, dass man diese Bilder nicht "besser" (oder schlimmer) nachbilden kann.

Mein Fazit lautet daher: Einen besseren Film als "United 93" hätte man über dieses Thema kaum machen können. Greengrass hat keinen "schönen" Film geschaffen - ganz im Gegenteil - aber einen respektvollen, der, ohne dabei plump anklagend zu wirken, dem im 9/11 Commission Report beschriebenen Kollektivversagen von Politik und Behörden ein menschliches Gesicht verleiht. Und das macht "United 93" für mich zu einem kleinen Meisterwerk und zum mit Abstand besten Film, den ich dieses Jahr bislang gesehen habe.

Grüße von
ButtSeriously
In memoriam PC Player 1/93 - 6/2001
 
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Mi, 7. Jun 2006, 11:53

Klingt gut. Werd' ich mir mal vormerken...
Du liest diesen Text nicht. Fnord.
 
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Sa, 17. Jun 2006, 09:27

Kann ButtSeriously eigentlich nur zustimmen.

Als Ergänzung sei vielleicht noch gesagt, dass ich aus unserer Gruppe der Einzige war, den die extreme "Wackelkamera" nicht gestört hat, alle anderen fanden das dann doch ziemlich nervig.

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