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Alex
Großer Meister
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American Splendor und Capturing the Friedmans

Di, 4. Jan 2005, 10:16

Nachdem ich gestern auf den letzten Drücker meinen persönlichen Jahresrückblick an Cloud geschickt habe, wollte ich noch kurz von den beiden Filmen erzählen, die ich zum "Film des Jahres" bzw der "DVD des Jahres" gekürt habe.

American Splendor

Ich gebe offen zu, ich habe nicht wirklich nachgedacht, als ich mich für diesen Film als "Film des Jahres" entschied, da gab es noch einige Kandidaten, die den Titel auch hätten abgreifen können. Aber dennoch hat er diese kleine Auszeichnung verdient, vielleicht überredet es ja den einen oder anderen dazu, den Film mal zu sehen.

Es handelt sich um die Biographie eines Miesepeters, Harvey Pekar. Ein Nobody aus Cleveland, der es dennoch zu einem gewissen Ruhm geschafft hat - als Hauptdarsteller eines revolutionären Comics, "American Splendor". Harveys Glück war es, den Comiczeichner Robert Crumb, verantwortlich für Underground-Klassiker wie Fritz the Cat, persönlich zu kennen. Durch ihn kam er auf die Idee, ein Comic über sein eigenes, beschissenes Leben zu entwickeln - nur das Zeichnen lag ihm so gar nicht. Also musste er es bei einem groben Layout mit Strichmännchen belassen. Er, Harvey, uncensored, spielt die Hauptrolle, und er spielt sie dennoch nicht, denn American Splendor ist eine 1:1-Umsetzung seines Lebens. Er bittet Crumb, sein Comic zu zeichnen, und Crumb willigt ein. Weitere Ausgaben werden auch von anderen Comic-Größen gezeichnet.

Paul Giamatti spielt den schlechtgelaunten Pekar einfach großartig und allein für seine Performance lohnt sich der Kinobesuch. Aber der Film von Shari Springe Berman und Robert Pulcini ist auch sonst ungewöhnlich und einfach brillant. Harvey Pekar lebt noch und spielt den Erzähler, was zu dem ungewöhnlichen Einstieg führt, dass man Giamatti sieht und gleichzeitig Pekar erzählt (in etwa), "der Typ da, das bin also ich. Also, das bin natürlich nicht wirklich ich, das ist nur ein Schauspieler, der mich spielt. Der sieht mir ja auch überhaupt nicht ähnlich. Aber egal, wo waren wir noch mal? Ok, es sind die 70er Jahre in Cleveland und ich laufe gerade die Straße runter..."

Die Biographie ist auch daher so interessant, weil Harvey Pekar immer noch American Splendor macht. Aber da es akkurat sein muss, ist er nicht mehr ganz der Nobody aus Cleveland - das Comic hat ihn schließlich zu einer kleinen Berühmtheit gemacht. Seine Freundin hat erst das Comic gelesen, ihn dann besucht und sich in ihn verliebt, und plötzlich ist Harvey auch im Comic nicht mehr der ewige Single. Letterman hat ihn mehrfach eingeladen, American Splendor wurde zum Bühnenstück, und Harvey dokumentierte auch all das - sein aktuelles Comic heißt folgerichtig "Our Movie Year".

imdb Link (Wertung 7,8): http://www.imdb.com/title/tt0305206/

Capturing the Friedmans

Einer der besten Dokumentarfilme, den ich je gesehen habe. Am liebsten würde ich überhaupt nichts über den Film sagen, denn er erzählt eine schreckliche und fast unglaubliche Geschichte - über die Familie Friedman, eine (nur) auf den ersten Blick ganz normale amerikanische Vorstadtfamilie. Was diese Doku so herausragend macht ist der fast schon perverse Drang der Familie, sich selbst zu filmen. Damit stand dem Regisseur Andrew Jarecki eine Fülle an Insider-Material zur Verfügung, die diesen Film so intensiv und einzigartig machen. Das liegt natürlich auch an eben dieser Familie, die Friedmans sind schon... oh Backe. Jareckis Herangehensweise ist auch fehlerfrei, er offenbart die Fakten (und Vermutungen) in der richtigen Reihenfolge, was den Zuschauer und seine Meinung über Schuld oder Unschuld immer wieder aufs Neue beeinflusst. Einfach herausragend, jedoch starker Tobak. Nur als Import-DVD zu finden (zB bei Amazon.de für 30 Euro).

imdb Link (Wertung 8,2): http://www.imdb.com/title/tt0342172/
Zuletzt geändert von Alex am Di, 4. Jan 2005, 10:20, insgesamt 1-mal geändert.

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