Auch auf die Gefahr hin, angesichts der beharrlichen Abwesenheit dieser Serie von deutschen TV-Schirmen ins Leere zu predigen, muß ich für das absolute Fernseh-Juwel "The West Wing" nun doch mal offiziell eine Lanze brechen.
Für alle, die noch nie davon gehört haben (und das werden hierzulande wohl die meisten sein ), kurz worum es geht: "The West Wing" spielt - daher der Titel - im Westflügel des Weißen Hauses, also dort wo der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und die Mitglieder seines Stabes im Endeffekt die bestimmende Politik machen. Mit einer fast perfekt balancierten Mischung aus Ernst und Ironie, sowie einer dank mehrerer Berater aus der Clinton-Administration minutiösen Rekonstruktion der Grundzüge des US-amerikanischen Politapparates mit allen seinen Vorzügen und Abgründen, liefert "The West Wing" eine der besten Dramaserien ab, die ich je zu Gesicht bekommen habe. Einmal mehr unterstreicht NBC beeindruckend seine Stellung als das Network mit den hochklassigsten und intelligentesten Fortsetzungsgeschichten überhaupt.
Ob inhaltlich oder formal überzeugt mich "The West Wing" auf ganzer Linie: Von den großen, höchst komplexen Storybögen bis zu den geschliffenen Dialogen fahren die Autoren das Feinste vom Feinen auf, die Darsteller sind durchweg große Klasse - allen voran Martin Sheen als President Bartlett - und die Steadycamfahrten durch die mit unheimlich viel Liebe zum Detail nachgebauten Gänge und Büros des Weißen Hauses sind einfach nur ein Hochgenuß.
Grundsätzlich orientiert am großen Paten aller "Workplace-Dramas", dem ebenfalls auf NBC gezeigten "Emergency Room", weiß "The West Wing" mit seiner Prämisse einen großen Vorteil auf seiner Seite: Die Polit-Thematik verschafft den Geschichten eine enorme Relevanz jenseits der persönlichen Schicksale der Hauptfiguren, die (von der ohnehin nur in der ersten Season auftretenden PR-Beraterin Mandy einmal abgesehen) mir schon nach kurzer Zeit regelrecht ans Herz gewachsen sind. Das Setting gibt der Serie die Gelegenheit, sich neben dem puren Drama auch mit den großen moralischen Fragen unserer Zeit in einer wundervollen Art und Weise zu beschäftigen, wie sie bislang abstrahierender SF-Kost wie Star Trek oder Babylon 5 vorbehalten waren. Und daß man dabei nach dem 11. September nicht etwa in Jasager-Hurra-Patriotismus verfallen ist, sondern die liberale, intelligente und sehr nachdenkliche Linie sogar fast noch verstärkt hat, rechne ich dem Produktionsteam rund um Schöpfer Aaron Sorkin besonders hoch an. Was dort gezeigt wird, ist für die Bush-Administration schon geradezu Oppositions-TV. Gratulation für den Beweis, daß man auch zur besten Sendezeit und im fiktionalen Bereich auf dem größten US-Sender weiterhin kritisches Fernsehen machen kann. Damit entwickelt "The West Wing" immer wieder einzigartige Momente, die ich mangels eines besseren Ausdrucks schon beinahe als "inspirierend" bezeichnen würde.
Man merkt es mir bei meiner Euphorie bereits an: Ich liebe "The West Wing". Seit "Deep Space Nine" hat mich keine langlaufende Serie mehr über mehrere Staffeln hinweg derart konstant gefesselt und fast vorbehaltlos überzeugt. Trotz der unvermeidlichen Übersetzungsproblematik finde ich es daher schade, daß ProSieben die Serie zwar gekauft, sich dann aber doch gegen eine Ausstrahlung entschieden hat. Da würde ich mir sehr wünschen, daß in solchen Fällen das öffentlich-rechtliche Fernsehen mal häufiger in die Bresche springt. So wird dem nicht DVD-importfreudigen deutschen Zuschauer dieses Serien-Kronjuwel leider vorenthalten bleiben. Wer dennoch mal irgendwie die Gelegenheit zum Reinschnuppern hat, sollte sie sich meiner Meinung nach auf keinen Fall entgehen lassen.
Grüße von
ButtSeriously
In memoriam PC Player 1/93 - 6/2001