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Chellie
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JA lustig sind da einige. Vor allem 'Der Blaurote Methusalem' ist da ein Muß :lol:

cu
Chellie
Wir die Willigen, geführt von den Unwissenden, tun das Unmögliche für die Undankbaren.
Wir haben so lange so viel mit so wenig getan, dass wir inzwischen in der Lage sind, mit nichts alles zu tun.
 
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ray
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Do, 12. Dez 2002, 19:05

Als studierter Germanist und angehender Dr. phil. muß ich da auch mal meinen Senf dazugeben.

1) Franz Kafka war einer der größten deutschen Dichter. Nicht seine Werke sind verrückt, sonder die Welt in der er lebte und in der auch wir noch leben. Um hier mal Tucholsky zu zitieren (über den "Prozeß"): "Das Buch ist nicht wahnsinnig - es ist vollkommen vernünftig, es ist in seiner Idee so vernünftig, wie manche Irre vernünftig sind, logisch, mathematisch in Ordnung; es fehlt eben jene leise Dosis von Irrationalem, die erst dem vernünftigen Menschen den inneren Halt gibt. Nichts schrecklicher als ein reiner Mathematiker des Verstandes, nichts unheimlicher." Aber Kafka war nicht nur ein großer Dichter, er war auch ein großer Denker, von dem es einzelne, zwei, drei Sätze lange Aphorismen gibt, die in ihrer gedanklichen Tiefe die gesammelten Werke der Heidegger, Sartre, Camus und der ganzen anderen Schwätzer aufwiegen. Liest man Kafka wirklich einmal aufmerksam, nicht nur die Romane, sondern auch die Tagebücher, Briefe etc., so kann man dort auf Fragestellungen und Paradoxe stoßen, die genau in der Kern der Lebensproblematik des Menschen zielen und einem bis in das Grab zu denken geben.

2) Der "Simplicissimus" von Grimmelshausen ist nicht langweilig, sondern einer der unterhaltsamsten und lustigsten Romane der deutschen Literatur, zumindest dann, wenn man das ungekürzte Original liest.

Ssnake:

Das mit dem Lesen nach Lustprinzip ist so eine Sache. Klar, jemand der gebildete Eltern und zu Hause Zugriff auf eine halbwegs gut sortierte Bibliothek hat, der wird natürlich von alleine anfangen auch mal ein gutes Buch in die Hand zu nehmen und der braucht den Deutsch LK im Grunde nicht mehr zu besuchen. Aber das ist eben nicht immer der Fall und die Idee unserer Schulen die, daß nicht nur einer kleinen Elite die "Schätze" der höheren Bildung zugänglich sind, sondern allen, die den höheren Schulweg absolvieren. Wenn man hier als Hauptkriterium jedoch den Spaß betrachtet, kommt man nicht weit, denn eben nur denjenigen, die von elterlicher Seite an anspruchsvollere Literatur herangeführt worden sind, wird es Spaß machen, die "Wahlverwandtschaften" von Goethe oder Ähnliches zu lesen. Die anderen werden es von alleine nicht tun. Im übrigen würde ich den Wert germanistischer Proseminare nicht ganz so gering veranschlagen, da lernt man sicherlich mehr, als wenn man 90 Mintuen lang Fernsehen guckt oder Soldier of Fortune spielt.
Zuletzt geändert von ray am Fr, 13. Dez 2002, 00:11, insgesamt 3-mal geändert.
 
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wulfman
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Do, 12. Dez 2002, 19:15

ray: war es deiner meinung nach in ordnung, kafkas werke gegen seinen willen zu veröffentlichen?

mfg
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der Exstudent auf der Insel
 
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ray
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Do, 12. Dez 2002, 20:38

ray: war es deiner meinung nach in ordnung, kafkas werke gegen seinen willen zu veröffentlichen?


Daß Kafkas Werke "gegen seinen Willen" veröffentlicht worden sind, ist zumindest in dieser Fassung ein Mythos. Kafka hat seine gesammelten Manuskripte seinem Freund und Bewunderer Max Brod überlassen und diesem gesagt, er solle sie nach seinem Tod vernichten, wobei er natürlich genau wußte, daß Brod das nicht tun würde. Das ist etwa so, als wenn ich dir einen Koffer mit 500.000 Euro in Bar geben würde mit der Bitte, das Geld nach meinem Tod zu verbrennen. Kafka war vermutlich unsicher, ob die Sachen der Veröffentlichung wert sind und wollte die Entscheidung auf jemand anderen abwälzen.

Wenn es ihm mit der Vernichtung Ernst gewesen wäre hätte er den ganzen Kram ja nur in den nächsten Mülleimer stecken brauchen. Was er nicht getan hat. Gott sei Dank!
 
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Do, 12. Dez 2002, 22:50

uns ist noch erzählt worden, es gäbe da ein testament, in dem die vernichtung seiner werke verfügt wurde.

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ray hat geschrieben:
Das mit dem Lesen nach Lustprinzip ist so eine Sache.
Ich sag' ja nicht, man soll die Lehrpläne verbrennen. Aber wenn es eine Methode gibt, den Schülern die Klassiker zu verleiden, dann die, pro Buch ein halbes Jahr Unterricht zu verschwenden, in dem man auch noch im letzten Halbsatz nach biographischen Bezügen sucht. Damit erreicht man letztlich das genaue Gegenteil dessen, was Ziel sein sollte: Literatur in erster Linie als eine geistreiche und anregende Form der Unterhaltung zu verstehen. Ein Fontane ist ja vor allem deswegen Klassiker geworden, weil er es verstanden hat, unterhaltsam zu erzählen. Peter Bichsel hat das nur in begrenztem Maße drauf und wird daher auch schneller vergessen.
Das Lustprinzip kann zwar nicht alleiniges Kriterium für die Stoffauswahl sein, aber ohne geht es auch nicht. Es muß ja erst mal ein Grundinteresse am Lesen da sein, dann kann man sich auch mal in die Anspruchsvolleren Sphären begeben, ohne sich dort zu verirren.

Obwohl ich sehr gerne lese und in Deutsch auch immer recht gut abgeschnitten habe, fand ich, daß viele Deutschlehrer auf eine total öde Weise unterrichtet haben, so daß es an ein Wunder grenzt, daß ich das Interesse nicht völlig verloren habe. Die Hauptaufgabe muß sein, Interesse zu wecken. Ein Großteil des Lernens findet außerhalb der Schule statt, daher sollte es das Ziel sein, Schüler ins Leben zu entlassen, die auch nach der Schulzeit (!) freiwillig (!!) mal ein Buch in die Hand nehmen.
Klar, jemand der gebildete Eltern und zu Hause Zugriff auf eine halbwegs gut sortierte Bibliothek hat, der wird natürlich von alleine anfangen auch mal ein gutes Buch in die Hand zu nehmen und der braucht den Deutsch LK im Grunde nicht mehr zu besuchen. Aber das ist eben nicht immer der Fall und die Idee unserer Schulen die, daß nicht nur einer kleinen Elite die "Schätze" der höheren Bildung zugänglich sind, sondern allen, die den höheren Schulweg absolvieren.
Das mag ja die Idee des humanistischen Gymnasiums sein, die Pisa-Studie zeigt doch aber, daß genau das Gegenteil erreicht wird. In keinem OECD-Land ist die Schere der Schülerleistungen so weit gespreizt und so deutlich vom wirtschaftlichen Hintergrund der Familie abhängig wie in Deutschland.

Da wird es doch Zeit mal darüber nachzudenken, ob das nicht auch daran liegt, daß es die meisten unserer Lehrer nicht schaffen, Interesse für ihr Fach zu wecken. Ich weiß, daß Selbstkritik nicht gerade zu den Stärken von Lehrern gehört - sie sind ja, wie Politiker, Journalisten und ich auch - notorische Besserwisser. Aber ich glaube, hier wäre sie angebracht.
Wenn man hier als Hauptkriterium jedoch den Spaß betrachtet, kommt man nicht weit, denn eben nur denjenigen, die von elterlicher Seite an anspruchsvollere Literatur herangeführt worden sind, wird es Spaß machen, die "Wahlverwandtschaften" von Goethe oder Ähnliches zu lesen.
Wer bestimmt denn, was als "anspruchsvoll" zu gelten hat?

Ich finde, hier gibt es -speziell im Dunstkreis der Geisterwissenschaftler- eine elitäre Kulturmafia, die mit der Attitüde auftritt, sie wisse am Besten, womit sich das gemeine Volk zu bilden habe. Dabei wird der Eindruck erweckt, daß nur langweiliger alter Kram anspruchsvoll sei. Je langweiliger, desto anspruchsvoller. Ardorno und Marcuse als Gipfelpunkte des Tiefsinns (und als Tiefpunkte der Unterhaltsamkeit).
Atonale Zwölftonmusik und bizarres Freejazz-Gedudel wird mir vom Musiklehrer als Gipfel des Kulturschaffens des 20. Jahrhunderts vorgestellt, oder ich muß mir ein halbes Jahr lang die Partitur von "Zar und Zimmermann" angucken.

In Deutsch werde ich mit Minnegesang vom Slüzzelin und dem "Zerbrochenen Krug" angeödet, und als Höhepunkt muß ich mir dann im gemeinsamen Theaterbesuch eine skandalträchtige "Blut und Scheiße"-Inszenierung von Wilhelm Tell antun. Das kann's doch nicht sein, oder?
Im übrigen würde ich den Wert germanistischer Proseminare nicht ganz so gering veranschlagen, da lernt man sicherlich mehr, als wenn man 90 Mintuen lang Fernsehen guckt oder Soldier of Fortune spielt.
Einverstanden, obwohl sich so ein Proseminar vermutlich über zwei Semesterwochenstunden erstreckt, also 36 Stunden. Ich vermute, bei geeigneter Auswahl von Fernsehsendungen einschließlich einständiger Nacharbeit ließe sich auch einiges vermitteln. ;)

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