Hallo Leute,
ihr habt bestimmt schon mal was von diesem Buch hier gehört, welches letztes Jahr im März erschien. „Wir waren Space Invaders. Geschichte von Computerspielen“ von Mathias Mertens und Tobias O. Meißner ein Buch über Computerspiele, über die Faszination, die diese ausmachen, und gleichzeitig ein kleiner historischer Abriss über die Entwicklung derselben. Es hinterlässt zum Schluss allerdings einen seltsamen Nachgeschmack.
Wer vorhat, das Buch selber zu lesen, sollte dann vielleicht erst beim Fazit unten weitermachen und die Kapitelbeschreibungen überspringen.
Im Grunde ist das Buch nichts weiter als eine Ansammlung von aufgezählten Spielen, die es seit den 1960er Jahren gibt, und welche die Computerspielwelt nachhaltig veränderten. Allerdings vollführt der Autor bei jedem Spiel einen kurzen philosophischen Exkurs, der die Faszination des Spielerlebnisses darstellen soll. Dieser gelingt meiner Meinung nach aber in den seltensten Fällen, teilweise musste ich echt ein wenig mit dem Kopf schütteln, bei dem was da stand. Oft war es aber eher langweilig geschildert. Bestimmte Sachen, wie „Der Spieler fängt an selektiv zu sehen, alle Dinge auf der Straße um ihn herum werden zu anklickbaren Objekten, für ihn ist die Realität wie ein Computerspiel, ...“ kann ich vielleicht noch bedingt nachvollziehen, wirklich verstehen allerdings nicht. Das eigentlich mein größter Kritikpunkt.
Der nächste „Fehler“, den das Buch begeht, ist die Aufnahme des Videospielsektors. Das ist meiner Meinung nach zwar notwendig, auf den knapp 190 Seiten kommt es aber viel zu kurz. Mit Super Mario und der Final Fantasy Serie werden gerade mal zwei Spiele genannt, die sich in die Aufzählung der Computerspiele (auch Videospiele sind Computerspiele!) einreihen. Allerdings wird darauf nicht speziell hingewiesen, vielmehr steh sie in einem bestimmten Kontext. Ansonsten beschränkt sich das Buch auf Automatenspiele bis hin in die 1980er Jahre, dann u.a. auf die vielen verschiedenen Videospielsysteme (genauer gesagt auf die herausragendsten Spiele), die es auch bis in die 1980er Jahre hinein gab, anschließend auf den C64 und Amiga, und schließlich auf den PC.
Trotzdem ist eine Beschreibung der sogenannten Killer-Applikationen, welche neue Funktionen, neue Möglichkeiten und neue Spielprinzipien boten, durchaus gelungen. Urahnen unserer heutigen Spiele finden hier ihren Ursprung, worauf auch hingewiesen wird. Aufgelockert werden die Kapitel immer wieder durch „Zwischenspiele“, also wenige Seiten, in denen ein Bezug zu recht aktuellen Spielen geführt wird, und wo grundlegende Funktionsweisen eines Spieles erklärt werden. Z.B. erklärt das erste Zwischenspiel „Kontrollfreaks“, was es bedeutet, konstruktiv in einen Handlungsverlauf einzuschreiten, und dass dieses nur auf der Basis der gegebenen Möglichkeiten machbar ist. Von der Seite her ist das Buch durchaus wieder gelungen. Ein zentrales Beispiel hier wäre der Begriff der „Raum-Fiktion“, welche durch ein Spiel entsteht.
Auch ist immer wieder die Entstehungsgeschichte der Spiele, die kurz dargelegt wird, interessant zu lesen.
Kapitel 1: Die Gründerzeit
1958 gab es das erste Computerspiel. Auf dem Oszilloskop. William Higinbotham „erfand“, das Spiel Tennis for two in dem sich einfach nur zwei Striche rechts und links bewegen liessen und die sich einen Punkt hin und her warfen. 1961 kam Steve Russel und der Tech Model Railroad Club des MIT auf die Idee, den Unirechner auszunutzen: in Spacewar! beschossen sich zwei kleine Raumschiffe. Und schließlich erfand Ralph Bear 1966 die Videospielkonsole, als dessen Vater er sich immer noch sieht. Naja, Nolan Bushnell wird die Idee tatsächlich bei ihm abgekupfert haben... (aber das nur am Rande).
Hier geht’s schon los: Bear wird vom Autor glattweg eine Beziehung (und was für eine!) zu seinem Fernseher angedichtet. Grundlage dafür sind die „Reize“, die durch Fernseher und Konsole erzeugt werden. Was der Autor damit sagen will, bleibt mir unklar, seine Argumentation mag nachvollziehbar sein, dieses Ergeniss stellt sie aber in ein seltsames Licht.
Schließlich fehlt nur noch einer in der Runde: Nolan Bushnell, bekannt als der Gründer von Atari. Er entwickelte zuerst eine Automatenvariante von Spacewar! Und später zusammen mit Ted Dabney und Larry Bryn das Spiel Pong, eine Tennis for two-Adaption. Hierbei fand ich gut, dass das Buch mit ein paar Mythen aufräumt (der erste Kneipenautomat, der angeblich über Nacht mit unzähligen Vierteldollar-Münzen erstickt wurde).
Kapitel 2: In Arkadien
Erst mal beschäftigt sich das Kapitel weiter mit Pong. Es wird z.B. erklärt, wie zwei neunjährige Jungs mit gefrorenem Eis in Form von Münzen versucht haben, am Automaten zu spielen. Es ist ihnen sogar gelungen.
Das gehört jedenfalls zu den Erklärungen der Faszination, bzw. Auswirkung dieser neuartigen Automatenspiele dazu, die im Buch geschildert werden.
Nach der entstanden und wieder zusammengebrochenen Pong-Klon-Industrie (jede größere elektronische Firma wollte ihr eigenes Videotennis haben) kam 1976 ein erstes neues Spielkonzept: Breakout. Später wurde es noch bekannter unter dem Namen Arkanoid. Ein Spiel von einem Geek (wie das Buch schamlos schreibt) namens Steve Wozniak, der sozusagen die ganze Arbeit für Steve Jobs leistete, ohne deren wahren Wert zu kennen. Jobs wiederum bekam den Auftrag von Bushnell. Der Autor führt des weiteren alle Billard- und Flippersimulationen auf dieses „ultimative Pong“ zurück.
Space Invaders ist das nächste Highlight. Die Erfindung der Highscore ist hier das bahnbrechende Element, welches den Spieler zwingt immer besser zu sein als dieser selbst. Zum ersten Mal wird die Gefahr der Sucht angesprochen, allerdings nur in zwei lapidaren Sätzen.
Ebenfalls ein kurzes Thema ist das „Nerd-Dasein“. Die einzige Stelle im Buch, wo ich einwenig schmunzeln konnte. Nerds sind diejenigen, die auf den Schulhöfen immer „out“ waren, die nicht rauchten oder Mädchen hinterher sprangen. Es waren diejenigen, die sich still in einer Ecke über die Spiele unterhielten, genauer gesagt, über ihre Erlebnis und Abenteuer, die sie am Computer hatten. Später waren es dann diejenigen, die Arbeit und Geld hatten und die anderen wünschten sich, auch Nerds gewesen zu sein. So zumindest die Aussage des Buches.
Auf jeweils ein paar Seiten werden dann noch die Spiele Asteroids, Battlezone, Centipede, Pac-Man, Donkey Kong (Nintendos Entwicklung) und andere besprochen.
Kapitel 3: GO 64
Die Zeit der Homecomputer bricht Anfang der 1980er herein. Was ich mir nun gewünscht hätte, wäre eine richtiger Faszinationsbericht eines C64- oder Amiga-Spielers, den ich auch noch nachvollziehen kann. Der bleibt leider aus. Es kommen so Sachen wie: „Wer einmal [...] ausprobiert hat, kann bestätigen...“. Toll, hab ich ja nicht. Wie war das mit der Zielgruppe, Herr Autor?
Stattdessen geht es weiter mit der Spieleaufzählung, der Einflüsse unter denen die Spiele gemacht wurden, und wie sie sich vermeintlich auf Spieler ausübten.
Deswegen folgt als nächstes die Zork-Story, sozusagen Dungeons & Dragons am Computer. Gleichzeitig wird Zork später unter Infocom das erste systemübergreifende Spiel dank Lizenzierung. Erstmals stehen auch Rätsel im Vordergrund, sowie eben das Erforschen einer unbekannten Welt. Hier passiert dem Autor dann ein Fehler (von zweien, die mir aufgefallen sind), wo ich mich frage, wie er recherchiert hat. Im Zusammenhang mit Zork wird Monkey Island als ein Spiel beschrieben, dass durch „kleine Animationen den Text ergänzt, die Figur durch Bilder bewegt und wo man Text eingeben musste“. Man sollte nun nicht denken, dass weitere Adventures an dieser Stelle erwähnt werden. Es bleibt sehr allgemein, die ersten Grafikadventures von Sierra oder Maniac Mansion von LucasArts werden glattweg unterschlagen. Ebenso bleibt das ganze Rollenspiel-Genre dem Buch außen vor. Einen Satz gibt es gerade mal als Erklärung: „Mit der technischen Weiterentwicklung des Mediums Computer wurde auch das Adventure immer mehr zur Grundstruktur des Computerspiels überhaupt.“ Unter anderem geht das Adventure im Ego-Shooter auf. Eine Entwicklungslinie dafür (und auch für viele andere Aussagen) wird als Beleg allerdings nicht angeführt.
Auch hier wird weiterhin auf Spiele wie Tetris, M.U.L.E. oder Elite eingegangen, aber nur recht kurz.
Kapitel 4: International Gaming Machines
Spätestens ab hier kenne ich mich auch weitestgehend im (PC-)Spielebereich aus: die 1990er haben begonnen. Deswegen kann ich hier nun jedes Wort nachvollziehen. Sollte ich zumindest und dachte ich jedenfalls...
Es ist die Ära des PC’s, die mit Flight Simulator und Sim City eingeläutet wird. Dem Spieler werden hier gleich mal Allmachtsphantasien zugesprochen.
Thema ist auch die ständig steigende Rechnerkraft (weil die Spiele mehr Power brauchten) oder die „Adventures“ namens MS-DOS und Windows. Aber auch hier bleibt es eher verallgemeinernd und oberflächlich.
Es folgt ein Abriss über Lemmings, The Incredible Machine (die „Was-passiert-dann-Maschine“) und Doom. Leider bleibt es bei einem faden Abriss der Spiele.
Schließlich wird Myst als eine neue Erzählform beschrieben, der Multimedia-Aspekt kommt ins Spiel (Bilder plus viel Text) und die Rätsel sind nun in den Bildern (eigentlich ja nicht neu). Bis hierhin kann ich’s gerade so noch nachvollziehen. Absurd wird es, wenn gesagt wird, dass es erstmals eine CD absolut nötig hatte. Rebel Aussault wird glattweg unterschlagen. Am Rand steht dazu folgender Satz: „Zwar hatte es vorher schon CD-Rom-Spiele gegeben – allen voran Wing Commander – doch beschränken die sich hauptsächlich darauf, ein Spiel, das auch auf Diskette gepasst hätte, mit speicherfressenden Videos zu garnieren...“ (der zweite Fehler).
Nach der Abhandlung von Command & Conquer folgt als Schlusspunkt Tomb Raider. Das Marketing-Phänomen wird schließlich kurz erklärt, ebenso das filmähnliche Szenario. Auf der Konsole war es ja ein Highlight, keine Frage, aber auf dem PC nur wegen des Namens interessant.
In dem Kapitel verzichtet der Autor weitgehend auf den Konsolensektor, auch die PC-Spiele werden eher unbefriedigend abgehandelt. Was ist z.B. mit dem ganzen Internetthema? Wo bleibt Half-Life oder gar Rebel Assault. Massentaugliche Konzepte hat es doch noch mehr gegeben.
Mein Fazit
Insgesamt stellt das Buch die Faszination eines Computerspieles eher unbefriedigend dar. Dazu kommt, dass es etwas langweilig und auch lapidar geschrieben wurde. Die Verallgemeinerungen tragen dazu viel bei, mir kommt es sogar so vor, als habe der Autor von sich auf andere geschlossen, ohne nachvollziehbare Belege zu haben. Vermutlich erfolgt deswegen auch die Beschränkung auf massentaugliche Titel ohne die Erwähnung der eigentlichen Perlen. Es werden ja sogar ganze Genre unterschlagen. Man sollte also keine „Spieler-Bibel“ erwarten, deswegen kann ich es auch verzeihen, wenn das eine oder andere unerwähnt bleibt.
Stellt sich mir die Frage, wer dieses Buch lesen soll? Dem geneigten Spieler bringt es eher wenig, jemandem ohne historisches Interesse gleich gar nichts. Bliebe noch ein Nicht-Spieler, allerdings wird dieser die eher unkonkreten philosophischen Betrachtungen des Spielerlebnisses vermutlich noch weniger nachvollziehen können, als ich.
Die Faszination oder das Erlebnis eines Spiels ist übrigens nur um der Faszination willen, oder um des Erlebnis willen, eine. Nur darum geht es: Abenteuer und nichtalltägliche Situationen mit Hilfe des Computers zu bestehen. Das macht es laut dem Buch aus.
Aber gut, so schlecht war das Buch nicht, immerhin habe ich es komplett durchgelesen.
Was bleibt? Die "Spieler-Bibel" selber schreiben...
Ok, das war’s. Falls Fragen zum Buch sind, nur her damit.
P.S.: Ich habe das Thema ins Spieleforum gestellt, weil es meiner Vermutung nach in den folgenden Postings hauptsächlich um Spiele gehen wird. Falls es bei Postings zum Buch bleibt, kann der Thread ja immer noch verschoben werden.