Sa, 14. Aug 2021, 18:11
Nach einem dreiviertel Jahr habe ich nun Cyberpunk 2077 mal durchgespielt, so ein langer Zeitraum ist auch für mich total ungewöhnlich, ich habe das Spiel tatsächlich immer wieder zur Seite gelegt. Erst mit dem letzten Patch im Juni lief es mit guter Performance ohne Einbrüche oder Abstürze und zumindest meistens vernünftiger Kollisionsabfrage. Bugfrei ist es immer noch nicht, Dialoge überlagern sich, Charaktere lehnen sich auf nicht vorhandene Brüstungen, es kommen mitten im Gespräch Anrufe und Gegner laufen immer noch durch eine Wand und sind nicht mehr erreichbar. All das war zwar vor einem dreiviertel Jahr um ein Vielfaches schlimmer, ganz weg ist es aber immer noch nicht. Ich muss dazu sagen, dass meine Hardware nicht den Anforderungen entspricht, meine CPU ist unterhalb der Mindestanforderung, RAM entspricht den Mindestanforderungen, nur meine Grafikkarte liegt darüber. Ein Teil der Einschränkungen ist sicherlich darauf zurückzuführen. Mein Plan, endlich aufzurüsten, hat sich eh erst mal zerschlagen. Die aktuellen Preise sind ja immer noch verrückt. Jedenfalls lief Cyberpunk 2077 nach dem Junipatch so performant und mit vergleichsweise wenig Bugs, dass ich es endlich durchspielen konnte.
Gleich vorneweg: Cyberpunk 2077 ist in Teilen ein phänomenales Spiel, die Story ist interessant, die Charakterdarstellung das Beste, was ich jemals in einem Spiel gesehen habe, die Stadt hat einen unvergleichbaren Stil. Atmosphärisch erinnert mich das Geschehen immer mal wieder an Blade Runner, musikalisch und optisch ist das manchmal ganz stark angelehnt. Die Charaktere, mit denen man interagiert, von denen man Side Missions bekommt oder auf die man trifft, sind ein Klasse für sich. So glaubwürdig habe ich das noch nirgends zuvor gesehen und dank der Charaktere entfalten sich in der Handlung immer mal wieder emotionale und mitreißende Momente. Für mich ist das die neue Referenz bei der Charakterdarstellung. Allein das macht es zu einem Spiel, das ich unbedingt weiterempfehlen kann, in Kombination mit Night City und der dichten Atmosphäre des Spiels macht es das in meinen Augen sogar zu einem Ausnahmespiel.
Allerdings ist Cyberpunk 2077 beim Gameplay weitaus weniger ausgefeilt und kommt dort wiederum über die Mittelklasse nicht hinaus. Die Missionen unterscheiden sich nur marginal, die Herangehensweise ist für ein Rollenspiel äußerst variantenarm, weshalb ich schon Schwierigkeiten habe, das überhaupt als Rollenspiel zu bezeichnen. Für mich ist das ein Open-World-Shooter mit Hack- und Schleicheinlagen. Man bestimmt zwar selbst über den Anteil von Schleichen, Hacken und Kämpfen, spielerisch ist das aber immer dasselbe, gemessen an der geringen Missionsvielfalt vor allem beim freien Spielen in der Open World ist das entsprechend eintönig. Höchstens die Cyberpsycho-Gigs ragen da ein bisschen heraus, Missionen gegen kleine Bossgegner, deren Cyberware verrücktspielt. Auch der Charakterausbau ändert nur in Nuancen das Spielgeschehen. Klar gibt es hier und da ein paar nette Einfälle, die ich mir freispielen kann, aber notwendig ist das alles nicht. Am Ende hatte ich fast die Hälfte meiner Abilities- und Skillpunkte nicht vergeben, die sich nach jedem Levelaufstieg ansammeln. Cyberware ist das nächste, ich packe mir ein paar Modifikationen in den Körper, laufe rum wie Terminator, muss aber faktisch nie wieder irgendwas ändern. Es gibt bessere Cyberware, aber auch hier sind die Unterschiede minimal und notwendig sind die besseren Sachen nicht. In dem Spiel ist einfach eine Menge Feature Creep drin, das nicht sinnvoll aufeinander abgestimmt ist. Die effektivste Methode ist das Ballern bzw. der Nahkampf, für das man ein Großteil des Rests nicht braucht. Ich selbst habe immer einen Mix aus Hacken, Schleichen und Ballern gespielt, aber nach 5 bis 10 mal immer dasselbe Hacken ist halt auch mal gut und ich mache dann am liebsten kurzen Prozess.
Ich habe lange Zeit die vielen NCPD-Gigs und Side Hustles gespielt, die einen in Massen auf der Karte angezeigt werden. Genau die, die kaum voneinander variieren. Wenn ich davon ein paar gemacht hatte, dann hatte ich auch immer genug und zusammen mit den im Frühjahr noch zahlreich vorhandenen Bugs habe ich das Spiel dann jedes Mal wochenlang liegen gelassen. Dazu kommt eine richtig schlechte Fahrphysik, was einen jedes mal aus der Immersion rausreißt. Übrigens spielen abgesehen von Anfang und Ende auch Entscheidungen fast kaum eine Rolle.
Das macht schon alles immer noch ein stückweit Spaß, entspricht aber natürlich keinesfalls den hohen Erwartungen, die man an ein solches Spiel stellen kann. The Witcher 3 war dagegen deutlich ausgereifter, vielfältiger und dort passte alles viel besser zusammen. Jedenfalls fetzt es schon, mal durch die Straßen zu fahren und dabei Radio Vexelstrom zu hören oder mit einer Shotgun auf ein paar Gegner zu stürmen. Insgesamt hat es mich aufgrund der Story, den Charakteren und der Atmosphäre in Night City am Ende doch überzeugt und ich würde es am liebsten auch gleich wieder von vorne starten. Zumal man die Story einschließlich der optionalen Side Missions in maximal 30 bis 40 Stunden und einschließlich der ganzen Fahrerei durch hat. Die ganzen Side Hustles und Gigs kann man in nochmal rund 100 Stunden durchspielen, Geld verdienen, das man dann in schicke Autos oder teure Cyberware stecken kann – ein Zeitvertreib in Night City. Aber ich sehe eben an zahlreichen Stellen auch die Unzulänglichkeiten des Spiels.