Hm, wo fange ich bei The Witcher nur an, etwas zu sagen? Vielleicht damit dass es ein sicherer Geheimtipp ist? Allerdings hat es Gerüchten zufolge schon die Marke der eine Million verkauften Exemplare geschafft, was für ein PC-Spiel schon ein kleines Wunder ist. Oder sollte ich sagen, dass es für mich eines der besten PC-Spiele der letzten Jahre ist und es gab gerade in letzter Zeit nur wenige Spiele, die mich so gepackt hatten. Das Spiel hat mich buchstäblich Nächte vor den Bildschirm gefesselt, was mir das letzte mal bei Civilization IV und davor bei Jagged Alliance 2 passiert ist (lang ist's her). Definitiv festzuhalten ist, dass die Story und die Entscheidungen, die später auch den Spielverlauf ändern, sich als deutlich komplexer darstellen, als in Bioshock. Es ist aber nicht einfach so, dass man eine "gute" oder "schlechte" Entscheidung trifft, sondern es müssen jeweils immer auch die negativen Konsequenzen in Kauf genommen werden, welche die Entscheidungen im Verlauf des Spiels mit sich bringen. Und endlich gibt's mal kein Hack'n'Slay à la Diablo (2), was ja mal so gar nicht geht. Unser (Anti-)Held Geralt vollführt mit wenigen, zum rechten Zeitpunkt abgegebene Klicks eine stattliche Anzahl nett anzuschauender Combos, kombiniert mit ein paar Zaubern wird das zum Teil noch recht morbide.
Man merkt schon, dass ich von The Witcher wirklich begeistert bin. Ein Grund dafür könnte sein, dass ich bisher kaum Erfahrungen mit dem Rollenspiel-Genre habe, da ich mich bisher immer schwer tat, mit Rollenspielen warm zu werden. Warum hat das jetzt aber geklappt? Dass es womöglich zur rechten Zeit kaum, will ich mal als Grund ausschließen, denn sonst wäre dieser Text hier schon zu Ende. Und das wollen wir doch nicht, oder? Deshalb mal ein wenig im Detail: Die Handlung wirkt auf mich sehr tiefgründig und sie hat zahlreiche Verzweigungen. Es geht um die gestohlenen Geheimnisse der Hexer, die wiederbeschafft werden müssen. Diese enthalten diverse Zauber, womit unredliche Personen ihren unheiligen Schabernack treiben können, der zur Vernichtung der Völker führen kann. Deshalb sind diese als wohlbehütete Geheimnisse besser aufgehoben. Das Spiel schafft es hierbei, diesen Dingen wirklich eine Bedeutung zu geben und es nicht als selbsterfüllenden Zweck darzustellen, der lediglich ein banaler Aufhänger ist, um einen Grund zum Spielen zu liefern. Story und Dialoge mag man zwar als philosophischen Quatsch abtun wollen, aber diese geben der Handlung wirklich Sinn und dem Spiel erst die richtige Würze. Denn es ist auch eine erwachsene Story und eine erwachsene Spielwelt. Es geht ferner nicht darum, Ruhm zu ernten und eine optimistische Zukunft zu sichern. Es ist eine graue Welt mit vielen Schattierungen, welche die wirklich lichten oder total finsteren Momente ausspart. Das Gut-Böse-Konzept gibt es in diesem Spiel nicht. Nur mit Glück lassen sich die Geheimnisse der Hexer sichern, ohne dass am Ende der Krieg zwischen Menschen und "Anderlingen" (Elfen, Zwerge) nicht noch schlimmer wird. Edelmütigkeit sucht man sowieso vergebens, die Bewohner der Spielwelt pflegen stattdessen lieber ihre Vorurteile, die gelegentlich schon in blanken Rassismus gegen Elfen und Zwerge umschlagen. Zudem sind Geralt und Co bisweilen recht zynisch aufgelegt. Soll er in einer Quest eine Person finden, die sich nur mit dem richtigen Codesatz zu erkennen gibt, dann kommentiert Geralt das schon einmal mit einem trockenen "Dieser Quatsch geht mir auf den Senkel."-Spruch. Der Gipfel der Quest ist, dass sich die betreffenden Person tatsächlich nicht sofort zu erkennen gibt und Geralt erst einmal schön auf's Glatteis führt. Diese Parodie geht auf die polnische Buchvorlage des Autors Andrzej Sapkowski zurück, der zu Beginn der 1990er Jahre die Geralt von Riva-Serie schrieb, die mit feinsinnigen Anspielungen das eine oder andere mal diverse Fantasy-Konventionen auf die Schippe nehmen.
In The Witcher trifft man eine Reihe von Entscheidungen, die sich tatsächlich auf den Spielverlauf und die Handlung auswirken. Es lassen sich keine guten oder bösen Entscheidungen fällen, die den Krieg stoppen oder ihn erst vorantreiben werden. Ganz im Gegenteil weiß man bei keiner Entscheidung so recht, was passieren wird, es werden sogar liebgewonnene Spielfiguren verprellt, man steht zwischen den Fronten des Krieges, muss sich für eine Seite entscheiden und die entsprechenden Konsequenzen tragen. Oder man wählt Neutralität - und bekommt erst recht eins auf den Deckel, erreicht dadurch aber auch sein Ziel, allerdings ein anderes. Das Gefühl, echte Entscheidungen zu treffen, wird ganz fantastisch durch die Spielwelt unterstützt, gut vorbereitet und mit den entsprechenden Auswirkungen nachbereitet. Stelle ich das Wohl einer einzigen Figur, die nach den vorliegenden Beweisen in der Sache recht hat, über das Wohl mehrerer, die sich wiederum mir gegenüber aber dankbar zeigen würden, wenn ich sie verschone? Helfe ich einer zwielichtigen Gestalt in einer Angelegenheit, um dann eventuell herauszufinden, dass sie hehere Ideale hat oder mich doch nur ausgenutzt hat? Das alles ist wirklich fantastisch umgesetzt und es wirkt sich auf den Spielverlauf aus. Freunde werden zu Feinden und umgekehrt und es ist trotz der zahlreichen Entscheidungen nicht möglich, sich alle zum Freund zu machen. So kann es passieren, dass man einen Mitstreiter, mit dem man vorher nocht zusammen eine Quest gelöst hat, plötzlich gegen sich gestellt sieht. Das gibt dem Spiel nicht nur einen sehr ernsten Charakter, manche Entscheidungen tun dann auch richtig weh.
Obwohl The Witcher eindeutig ein Rollenspiel ist, spielt es sich bisweilen wie ein Action-Adventure. Man schaut Geralt optimalerweise über die Schulter und steuert ihn per WASD durch die schönen Landschaften. Zwar lässt sich die Kameraperspektive auch in eine Iso-Ansicht ändern, aber diese funktioniert nur bedingt gut. Die andere Sache ist der Adventure-Aspekt, denn ich habe schon seit Ewigkeiten kein Spiel mehr mit solchen umfangreichen aber auf keinen Fall ausufernden Dialogoptionen gesehen, aus denen sich vieles über die Spielwelt erfahren lässt. Alles gesprochen wohlgemerkt. Außerdem ist jede Quest einzigartig, es wiederholt sich keine Aufgabe. Wenn es um die Organisation einer Party oder die erfolgreiche Bewältigung eines hochwohlschnöseligen Banketts geht (Smalltalk ist alles!), wird es außerdem sehr originell. Andererseits ist allerdings die Fähigkeitenentwicklung relativ limitiert und es gibt nur einen recht kleinen und einfachen Fähigkeitenbaum. Trotzdem muss man sich spezialisieren, da es nicht genug Talentpunkte im Spiel geben wird, um alle Fähigkeiten auszubauen. Alles in allem kostet einem ein Spieldurchlauf bis dahin locker 60 bis 70 Stunden, wovon trotz langer Laufereien keine einzige Stunde Langweile aufkommen lässt. Putzig sind auch die optionalen Sex-Geschichten, die Geralt hat. Bis auf eine ist davon zwar keine spielrelevant, aber sie unterstreichen den Charakter des Spiels, denn keine der rund zwei Dutzend Damen, die Geralt flachlegen kann, machte einen holden und jungfräulichen Eindruck. Trinkwettbewerbe, zünftige Wirtshausschlägereien oder "Zwergenpoker" runden die nicht gerade kindgerechte Spielwelt ab.
Ich kann es jedenfalls kaum erwarten, bis die polnischen Entwickler ein Addon oder einen Nachfolger nachschieben. Bis dahin werde ich mich vermutlich im Sommer/Herbst mit Drakensang trösten.