Man merkt schon, dass ich von The Witcher wirklich begeistert bin. Ein Grund dafür könnte sein, dass ich bisher kaum Erfahrungen mit dem Rollenspiel-Genre habe, da ich mich bisher immer schwer tat, mit Rollenspielen warm zu werden. Warum hat das jetzt aber geklappt? Dass es womöglich zur rechten Zeit kaum, will ich mal als Grund ausschließen, denn sonst wäre dieser Text hier schon zu Ende.

In The Witcher trifft man eine Reihe von Entscheidungen, die sich tatsächlich auf den Spielverlauf und die Handlung auswirken. Es lassen sich keine guten oder bösen Entscheidungen fällen, die den Krieg stoppen oder ihn erst vorantreiben werden. Ganz im Gegenteil weiß man bei keiner Entscheidung so recht, was passieren wird, es werden sogar liebgewonnene Spielfiguren verprellt, man steht zwischen den Fronten des Krieges, muss sich für eine Seite entscheiden und die entsprechenden Konsequenzen tragen. Oder man wählt Neutralität - und bekommt erst recht eins auf den Deckel, erreicht dadurch aber auch sein Ziel, allerdings ein anderes. Das Gefühl, echte Entscheidungen zu treffen, wird ganz fantastisch durch die Spielwelt unterstützt, gut vorbereitet und mit den entsprechenden Auswirkungen nachbereitet. Stelle ich das Wohl einer einzigen Figur, die nach den vorliegenden Beweisen in der Sache recht hat, über das Wohl mehrerer, die sich wiederum mir gegenüber aber dankbar zeigen würden, wenn ich sie verschone? Helfe ich einer zwielichtigen Gestalt in einer Angelegenheit, um dann eventuell herauszufinden, dass sie hehere Ideale hat oder mich doch nur ausgenutzt hat? Das alles ist wirklich fantastisch umgesetzt und es wirkt sich auf den Spielverlauf aus. Freunde werden zu Feinden und umgekehrt und es ist trotz der zahlreichen Entscheidungen nicht möglich, sich alle zum Freund zu machen. So kann es passieren, dass man einen Mitstreiter, mit dem man vorher nocht zusammen eine Quest gelöst hat, plötzlich gegen sich gestellt sieht. Das gibt dem Spiel nicht nur einen sehr ernsten Charakter, manche Entscheidungen tun dann auch richtig weh.
Obwohl The Witcher eindeutig ein Rollenspiel ist, spielt es sich bisweilen wie ein Action-Adventure. Man schaut Geralt optimalerweise über die Schulter und steuert ihn per WASD durch die schönen Landschaften. Zwar lässt sich die Kameraperspektive auch in eine Iso-Ansicht ändern, aber diese funktioniert nur bedingt gut. Die andere Sache ist der Adventure-Aspekt, denn ich habe schon seit Ewigkeiten kein Spiel mehr mit solchen umfangreichen aber auf keinen Fall ausufernden Dialogoptionen gesehen, aus denen sich vieles über die Spielwelt erfahren lässt. Alles gesprochen wohlgemerkt. Außerdem ist jede Quest einzigartig, es wiederholt sich keine Aufgabe. Wenn es um die Organisation einer Party oder die erfolgreiche Bewältigung eines hochwohlschnöseligen Banketts geht (Smalltalk ist alles!), wird es außerdem sehr originell. Andererseits ist allerdings die Fähigkeitenentwicklung relativ limitiert und es gibt nur einen recht kleinen und einfachen Fähigkeitenbaum. Trotzdem muss man sich spezialisieren, da es nicht genug Talentpunkte im Spiel geben wird, um alle Fähigkeiten auszubauen. Alles in allem kostet einem ein Spieldurchlauf bis dahin locker 60 bis 70 Stunden, wovon trotz langer Laufereien keine einzige Stunde Langweile aufkommen lässt. Putzig sind auch die optionalen Sex-Geschichten, die Geralt hat. Bis auf eine ist davon zwar keine spielrelevant, aber sie unterstreichen den Charakter des Spiels, denn keine der rund zwei Dutzend Damen, die Geralt flachlegen kann, machte einen holden und jungfräulichen Eindruck. Trinkwettbewerbe, zünftige Wirtshausschlägereien oder "Zwergenpoker" runden die nicht gerade kindgerechte Spielwelt ab.
Ich kann es jedenfalls kaum erwarten, bis die polnischen Entwickler ein Addon oder einen Nachfolger nachschieben. Bis dahin werde ich mich vermutlich im Sommer/Herbst mit Drakensang trösten.