Doc SoLo hat geschrieben:Ssnake hat geschrieben:Wenn die Analyse richtig ist, daß es sich um ein Gesellschaftsversagen handelt, welches zu der menschlichen Isolation führt, aus der heraus der Persönlichkeitstyp des passiv-aggressiven Amokläufers geboren wird, dann kann sich jeder Handlungsvorschlag doch letztlich nur an alle richten. Wer ist denn verantwortlich?
Auf keinen Fall "die Gesellschaft". Dieser Begriff steht für Menschen und die sozialen Regeln, nach denen sie zusammen leben. Die Gesellschaft ist das Ergebnis, keine beeinflußbare Variable.
Naja, wir haben ja eigentlich Regeln für sowas - keine rechtsstaatlichen, so etwas kann im Rechtssystem nicht kodifiziert werden - ethische und religiöse beispielsweise. Nur scheinen wir in der Masse diese Regeln nicht gründlich genug zu befolgen. Maw.: "Menschen benehmen sich scheiße", wie Du es formuliert hast. Die Frage ist, wie benutztman den Gesellschaftsbegriff. Ich will hier keine Semantik-Diskussion vom Zaun brechen. So wie ich ihn verstehe und gebrauche ist er die Summe der Menschen und ihrer Beziehungen untereinander. Das ist nicht weit weg von Deiner Definition, nur daß ich durchaus daran glaube, daß Menschen ihr Verhalten ändern können. Wenn wir also als Einzelne, aber eben auf breiter Front, kein Interesse für unsere Mitmenschen aufbringen, dann kann man das natürlich als das Versagen vieler - oder eben als das Versagen der Gemeinschaft insgesamt, als Gesellschaftsversagen begreifen.
Ich verstehe auch nicht, wie man "dem Menschen an sich" Versagen "nicht unterstellen kann". Warum nicht? Die Mitschüler, die einen Klassenkameraden hänseln und ausgrenzen,
haben versagt, was ethische und religiöse Normen angeht. Die Lehrer
haben versagt, was ihre Pflichten zur Beobachtung und Erziehung der Ihnen anvertrauten Schüler betrifft. Die Eltern und Freunde
haben versagt, weil sie die Zeichen nicht zu deuten gewußt haben. Journalisten und Psychologen haben vielleicht nicht alles getan, was möglich gewesen wäre, um die Gesellschaft über die weite Verbreitung von Depressionen und ihrer klassischen Symptome aufzuklären. Wie freundlich und offen bin ich zu Leuten, die mir spontan unsympathisch sind, obwohl sie mir objektiv nichts getan haben?
Ist ja mal klar, wer mit einem Finger auf andere zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich selbst. Insofern muß sich auch jeder von uns die Frage stellen, ob er sich nicht noch ein bißchen mehr um Freunde, Bekannte, Nachbarn kümmern sollte und könnte. Ob ein bißchen mehr Höflichkeit im allgemeinen Umgang nicht machbar wäre.
Das steht ein bißchen für die Verlogenheit, die ich meine, bei dir entdeckt zu haben. Deswegen möchte ich auch wegen der Bürgergeldsache nicht weitermachen. Du bist nicht offen für solche Vorschläge. Du erklärst solche Ideen zu Patentrezepten, um sie einfach und routiniert niederkämpfen zu können.
Hm.
Ich habe ja durchaus zugegeben, daß ich mich anfangs geirrt habe. Dann habe ich darüber nachgedacht, und habe diejenigen Punkte aufgeführt, auf die ich im Zuge des Nachdenkens gestoßen bin. Ich finde nicht, daß ich mir die Finger in die Ohren stecke und "Lalalala!" singe.
Du kommst mit Pragmatismus, wo es eben noch um's Prinzip ging.
Schön, Du hast gewonnen: Das Prinzip ist prima.
Das Prinzip des Kommunismus ist auch prima.
Beide scheitern an praktischen Problemen. Es tut mir leid, wenn sich die Welt weigert, den schönen Prinzipien zu gehorchen, deswegen kann man doch nicht die Bedingungen der realen Welt ignorieren, wenn es um konkrete politische Forderungen geht. Es ist doch so, daß derjenige, der etwas ändern will, letztlich in der Beweispflicht steht, daß sein Vorschlag es wert ist und praktikabel ist. Ich anerkenne, daß das Leben in Deutschland so seine Macken hat, aber alles in allem finde ich es hier durchaus schön und lebenswert. Das muß man doch mal sagen dürfen.
Ich teile Deinen und Kylroys Grundpessimismus nicht, ja, ich empfinde einige Teilaspekte direkt als abstoßend Weinerlichkeit. Statt Ärmel hochzukrempeln und was zu
tun wird lieber geklagt, daß man nicht genug vom Staat bekommt und überhaupt alles unfair ist und man gar nichts machen
kann. Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, wenn ich die praktischen Erfahrungen meines bisherigen Lebens als praktischen Gegenentwurf vorstelle. Ich weiß, daß das nicht auf jedermann übertragbar ist. Ich habe auch begriffen, daß ich Glück gehabt habe, und es nicht alles meiner überragenden Persönlichkeit und meinem gewinnenden Wesen zu verdanken habe. Soll ich deswegen zu Kreuze kriechen? Soll ich bedauern, Glück gehabt zu haben?
Denn andererseits war es ja nicht alles Glück, sondern eben auch viel harte Arbeit. Wenn ich heute die Hälfte von dem Geld hätte, das ich habe, wäre ich immer noch zufrieden. Ich arbeite lang und viel, und ich versuche, mich so gut es geht um meine Freunde und Bekannten zu kümmern. Ich kann mich nicht um jeden auf der Welt kümmern, aber ich versuche es wenigstens in meinem Umkreis und auch in einem Forum wie diesem hier, um der grassierenden Depression entgegenzutreten.
Wir haben alle die Wahl, jeden Tag, etwas zu tun oder es sein zu lassen und Defizite zu beklagen. Man kann über verschüttete Milch jammern, oder sie aufwischen. Ich bin dafür, Verluste abzuschreiben und zu schauen, wo Ersatz herkommt, statt über verpaßte Chancen zu trauern. Das Leben ist zu kurz, um es mit Jammern zu vertun.