Ich weiß nicht. Thirteen Days war zweifellos gut, und selbstverständlich lassen sich wohl gewisse grundlegende Parallelen ziehen. Dr. Seltsam zeigt wiederum minutiös alle Schritte und Sicherheitsvorkehrungen auf, die in den 1960ern einem unbeabsichtigten oder auf falschen Befehlen beruhenden Einsatz von Nuklearwaffen vorbeugen sollten. Es ist einerseits beeindruckend, wie sorgfältig die Befehlskette durchkonstruiert war (letztlich hat sie ja auch funktioniert - bis heute), andererseits geht Dr. Seltsam aber über die Realität ein kleines Stück hinaus um die Logik der atomaren Abschreckung bis zum Ende durchzudenken (ich will jetzt keine Details nennen, um Euch noch nicht die Spannung zu nehmen).
Das filmisch geniale wiederum war, daß Kubrick zu dem Schluß kam, man könne letztlich kein dem Thema angemessenes Drama verfilmen, sondern müsse stattdessen eine Komödie daraus machen. Ich denke, mit dieser Einschätzung lag er richtig. Sein Thema war nicht die Krise und ihre Beherrschung (Thirteen Days, es gab ja auch andere Filme zu dem Thema (u.a. mit Gregory Peck, wenn ich mich recht erinnere), die mittlerweile mehr oder minder zurecht vergessen sind). Das Thema von Dr. Seltsam ist, daß die Logik der atomaren Abschreckung auf dem Fundament von Rationalität basiert. Sobald dieser Rationalität ermangelt, kann das System nicht mehr funktionieren, sondern sogar gegen sich selbst gerichtet werden. Die Mechanismen zur Glaubhaftmachung der Abschreckung (und zur Sicherung gegen den unbefugten Waffeneinsatz) schotten dann diejenigen, die den Einsatz durchführen, gegen Rettungsversuche ab.
Thirteen Days zeigt ja primär, daß es sich im Falle der Raketenstationierung in Kuba um eine gefährliche Krise gehandelt hat, die aufgrund besonnenen Verhaltens der Führer beherrscht werden konnte, wenn auch nur um Haaresbreite. (Die Kubakrise und der in ihr zutage getretene Fatalismus der US-Bevölkerung, den drohenden Atomkrieg quasi unwidersprochen hinzunehmen, war ja die Hauptmotivation Kubricks, Dr. Seltsam zu drehen).
Dr. Seltsam geht weiter. Zu zeigen, daß es eine knappe Kiste war, ist ja im Grunde banal.Hingegen den Zuschauer lachen zu lassen, wie die aufgeplusterten Generäle im eigenen Natz zappeln - um ihm im selben Moment das Lachen vergehen zu lassen, weil ihm klar wird, welche Konsequenzen das nach sich zieht - das ist Filmkunst. Dr. Seltsam ist die filmische Synthese von Schrecken und Komik. Sie konfrontiert die menschliche Natur mit der ihr im Grunde zuwiderlaufenden Unerbittlichkeit von Logik. Dr. Seltsam ist die filmgewordene Dominotheorie, die Zeitlupe des nuklearen Kartenhauses. Zu jedem Zeitpunkt betet der Zuschauer, daß ein gnädiger Zufall die Kette stoppen möge - und Kubrick...
naja, seht selbst.
