Okay, ich habe mich mal drangesetzt. Bin für viel Kritik offen.
Wer einen Meinungskasten schreiben will, bitte bis Montag an FRoed@web.de (2 Stück werde ich unterbringen können).
Runaway
Das verstaubte Adventure-Genre wird dank der Pendulo Studios kräftig aufgewirbelt. Runaway greift auf alte Tugenden zurück und ist damit das einzige 2D-Adventure-Highhlight des Jahres 2002.
Brian Basco erscheint im Grunde nicht wie der geborene Abenteurer, der die Welt oder auch nur sich selbst rettet: Er ist weder so liebenswert dämlich wie Guybrush noch so clever und gerissen wie Indy. Vielmehr ist Brian ein sehr unauffälliger Zeitgenosse mit unmodischer Brille und alten Klamotten - zugegeben, ein bisschen schlauer als die meisten anderen ist er schon, schließlich bekam er erst unlängst als New Yorker Student ein Angebot für eine Doktorandenstelle an der berühmten kalifornischen Berkeley-Uni.
Doch Helden werden nur selten als Helden geboren, oft muss das Schicksal nachhelfen. So auch bei Brian: Kurz vor der großen Reise von Ost nach West will er noch schnell ein Meisterwerk aus der Bücherei abholen. Auf der Fahrt dahin soll sein Biedermann-Dasein jedoch ein jähes Ende finden, als eine vollbusige Schönheit vor sein Auto rennt. Glücklicherweise ist sie nur leicht verletzt, aber Brian muss sie doch ins Krankenhaus bringen. Jetzt beginnt ein großer Spaß um Mafiosi und deren Handlanger, ein Artefakt und dessen Bestimmung und natürlich um Intrigen und Liebe.
SCUMM in einfach
Im Krankenhaus angekommen, wird der Spieler dann erstmals aus den zahlreichen Zwischensequenzen (komplett in Spielgrafik) entlassen. Gina liegt schlafend in ihrem Bett und alles ist ruhig. Deshalb bleibt genügend Zeit, das Zimmer in Ruhe zu erkunden und sich mit den Eigenschaften der Steuerung vertraut zu machen. Diese ist in ihrer Intuitivität kaum zu übertreffen; auf einen aus Spielen wie Maniac Mansion oder Zak McKrakken bekannten Textkasten mit Kleinst-Befehlen wie Nimm, Schließe oder Mache konnte komplett verzichtet werden. Stattdessen wird der Mauszeiger in veränderter Form angezeigt, sobald er sich über einem (eventuell) relevanten Gegenstand befindet; mit der rechten Maustaste kann man nun zwischen dem ersten Befehl "Betrachte Gegendstand" und einem zweiten auswählen, der je nach Gegenstand anders lautet (Nimm, Benutze, Drehe etc.). Per Linksklick wird dann der angezeigte Minisatz von Brian ausgeführt. Wer einen Blick ins Inventar werfen möchte, macht dies entweder per Shortcut oder zieht die Maus an den oberen Bildschirmrand und klickt auf das erscheinende Symbol. Dort können dann alle Gegenstände auf jede mögliche und unmögliche Art zu kombinieren versucht werden. Bei Erfolg wie Misserfolg gibt Brian dann einen entsprechenden Kommentar ab. Es ist übrigens lohnend, Gegenstände wie Taschen oder Mülleimer mehrmals im Spiel zu durchwühlen; oftmals werden bestimmte Dinge erst später benötigt und auch erst dann von Brian als so wichtig angesehen, dass er sie herausholt.
Klassik mit einem Hauch Moderne
Runaway bedient sich bei der Grafik dem erfolgreichen Konzept der so erfolgreichen alten Vorgänger: schön, übersichtlich, einfach, 2D eben. Sämtliche Orte sind sehr liebevoll gezeichnet und wirken trotz des Comicstils nicht übertrieben unreal. Es ist natürlich alles ein bisschen sehr bunt, aber man kann sich trotzdem den Großteil der Areale als existierende Orte vorstellen.
Die einzelnen Charaktere hingegen bestehen aus Drahtgittermodellen, die sich sehr gut in die Umgebung einfügen, so dass kaum ein Unterschied zwischen den Personen und dem Drumherum zu bemerken ist.
Größtes Problem sind kleinere Utensilien, die schlichtweg kaum zu sehen und zu entdecken sind. Oft ist man auf der Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen oder besser nach der Nadel neben den High Heels, und Frustmomente sind deshalb in fast jedem Kapitel vorprogrammiert.
Leckere Rätselkost
Hat man das Ärgernis der Pixelsuche überwunden, können die Rätsel in Angriff genommen werden. Hilfreich sind hierbei mehrere Nichtspieler-Charaktere, die häufig Hinweise geben, wie bei der Lösung vorgegangen werden kann. Manche haben auch einen benötigten Gegenstand, wollen dafür aber etwas anderes, das Brian doch bitte besorgen soll. So verzweigt sich der Lösungsweg immer weiter und nimmt deutlich an Komplexität zu.
Auf wildes Herumprobieren aller vorhandenen Utensilien kann zumeist verzichtet werden, da die gestellten Aufgaben fast alle so logisch zu erledigen sind, dass sie mit etwas Kopfarbeit durchschaut werden können. So möchte Brian zum Beispiel in einen Raum gelangen, dessen Tür nur per Codeeingabe geöffnet werden kann. Was also tun, wenn der Code nicht bekannt ist? Ein Blick ins Inventar zeigt, dass Nagellackentferner und Puder bisher nicht benötigt wurden. Nach kurzem Nachdenken kommt dann der Geistesblitz: Das klebrige Zeug auf die Ziffern, einen befugten Menschen unter falschem Vorwand die Tür öffnen lassen, danach dann per Puder die Fingerabdrücke sichtbar machen, und schon gibt es statt zuvor 10.000 Kombinationsmöglichkeiten nur noch 24.
Allzu leicht ist Runaway dann aber doch nicht durchgespielt: Zum einen ist die Suche nach dem letzten kleinen Etwas mitunter sehr zeitaufreibend, zum anderen gibt es auch meistens scheinbar mehrere Möglichkeiten, wie denn das aktuelle Kapitel erfolgreich zu Ende gebracht werden kann. Kann Brian Gina wecken, indem er ihr Wasser über den Kopf schüttet? Dafür müsste er irgendwie den defekten Becher reparieren. Gibt es irgendwo einen langen Schlauch, der von der Dusche bis zu Ginas Bett reicht? Kann er nicht doch irgendwie die Sprinkleranlage auslösen? Von diesen mehrgleisigen Vorgehensweisen führt in der Regel natürlich nur eine zum Ziel.
Kleinere Denkaufgaben fordern zwischendurch den Mathematiker und Logiker heraus: Wie bekomme ich in ein 50 Zentimeter hohes Glas Flüssigkeit bis zur 40-cm-Markierung, wenn ich das Glas nur vollständig aus einen Kanister und einem 30-cm-Glas füllen darf?
Humor
Runaway bietet tolle Charaktere: Bösewichte der Marke Dick und Doof oder ein Putzmann, der sich für einen großen Geschäftsmann hält, machen schon mächtig Laune, wenn man ihnen einfach nur zuhört oder sie sogar nur anschaut. Absolutes Highlight sind drei Transen, die sich zusammen mit Brian durch die Wüste schlagen müssen.
Freunde alter Adventures werden immer mal wieder in nostalgischen Erinnerungen schwelgen; ein "Out of Order"-Schild an der Dusche veranlasst Brian zu der Bemerkung, dass die Dusche auch dann nicht funktionieren wird, wenn er das Schild abnimmt. Diese Anspielung auf die Bibliotheks-Treppe bei Maniac Manion erreicht zwar nicht ganz das Kettensägen-Niveau, dürfte aber für ein kurzes Grinsen sorgen.
Oder wie wäre es mit einer alten, abgestürzten Maschine, die auf dem ersten Blick für nichts mehr zu gebrauchen ist und den Namen C64 B trägt?
Oder mit einem durchgeknallten Ufo-Anhänger, dem Brian helfen muss, Kontakt mit dem Planeten Mentor aufzunehmen?
Brian scheint sich derweil über all die Leute, die so vollkommen anders sind als er, einfach nur zu wundern. Er will einfach weg, schließlich wartet Berkeley, bloß wie lange noch?
Der Verlauf der Dinge
Bis Berkeley ist es allerdings ein weiter Weg, der Brian vom Krankenhaus zu einer Maya-Ausstellung bis hin zur weiten Ödnis der Wüste führt, in der doch so einiges zu erledigen ist. Um den Spieler bestens in Brians Lage versetzen zu können, gibt es zahlreiche Zwischensequenzen, die vor allem vor und nach den einzelnen Kapiteln eingesetzt werden. So erfährt man im Laufe des Spiels alles über Gina, die Gangster, Brian und dieses seltsame Kruzifix, das ja noch seiner Bestimmung übergeben werden muss.
An einigen Stellen des Programms gibt es auch Skript-Events; wenn Brian also etwas Bestimmtes erledigt hat, setzten die Cutscenes ein und spinnen die Handlung weiter.
Nervig an den Zwischensequenzen sind zum einen die übertriebene Länge - etwas kürzer hätte es auch getan -, zum anderen die grafische Qualität, die unverständlicherweise etwas abnimmt im Vergleich zur Spielgrafik.
Um alles über dieses Artefakt zu erfahren, bedarf es auch vieler Gespräche. Diese werden meist im Multiple-Choice-Verfahren geführt; hierbei darf fast nach Belieben geklickt werden, da es keine Frage oder Antwort gibt, die das Spiel vorzeitig beendet. Zusätzlich kann auch zu jedem Zeitpunkt gespeichert und geladen werden.
Ist man dann am (guten?) Ende angelangt, herrscht zunächst eine gewisse Traurigkeit vor, dass Runaway schon vorbei ist. Die Spielzeit ist nämlich nicht allzu lang, ein exzessiv genutztes Wochenende kann schon ausreichen, um den Abspann zu sehen. Jedoch setzt auch bald die Gewissheit ein, dass Neu (3D) nicht unbedingt besser ist als Alt (2D), und dann die Hoffnung, dass andere jetzt bei den Pendulo Studios abschauen und es mal wieder mit einem klassischen 2D-Point & Click-Adventure versuchen.
Meinungskasten
Hurra, sie leben noch! Die Adventures sind - mal wieder - auferstanden aus Ruinen. Ob sie auch der Zukunft zugewandt sind, wird sich zeigen. Bei Runaway wurde auf jeden Fall fast alles richtig gemacht, von der sehenswerten Grafik, über den grandiosen Soundtrack bis hin zu den sympathischen Charakteren, die diesem Spiel den Stempel aufdrücken. Kleine, kaum sichtbare Gegenstände mit den Augen am Monitor klebend zu suchen, ist auf Dauer allerdings zermürbend. Die Story wirkt zudem manchmal etwas künstlich, gegen Ende in die Länge gezogen, aber sonst macht Runaway so viel Laune, dass ich mich sogar über Kleinigekeiten ärgern durfte: Das World Trade Center hätte man aus dem Intro nun wirklich rausretuschieren müssen, und bei einer Installation von 2 GB will ich nicht mitten im Spiel die CDs wechseln. Hoffentlich wird Runaway auch ein kommerzieller Erfolg, damit eine Fortsetzung möglich und rentabel ist. Und so eine Gina könnte mir auch mal vor´s Auto laufen...
PRO
- schöne Grafik
- logische Rätsel
- tolle Charaktere
CONTRA
- Pixelsuche
- zu lange Cutscenes
Grafik 80
Sound 90
Einstieg 90
Komplexität 70
Steuerung 90
Spielspaß 85