Doc SoLo hat geschrieben:Auch ich bin (derzeit noch) gegen die Abschaffung der Gesamtwertung. Ich würde z.B. gern wissen, in welcher Weise dann ein Fazit gezogen werden soll, wenn es keine Wertung mehr gibt. Soll dann jeder Test wie ein Zeitungsartikel einfach mit Fliesstext enden?
Du hast's erfaßt. Aus Bericht und Meinungskasten ergibt sich eine hinreichende Beurteilungsgrundlage für den Leser, die zudem umfassender ist als eine einfache Zahl.
Desweiteren ist es nicht allgemein gültig, sondern eure (insbesondere Ssnakes) persönliche Attitüde, die Gesamtwertung als reine Spielspasswertung anzusehen.
Das tu' ich nicht, auch wenn ich es argumentativ darauf zuspitze. Du willst mir doch aber nicht erzählen, daß es für die ausschließlich "weichen" Kriterien wie Grafik, Sound, Komplexität, oder Einsteigerfreundlichkeit auch nur ein einziges objektivierbares und quantifizierbares Kriterium gibt?
Was macht denn eine "gute Grafik" aus? Möglichst viele Effekte? Möglichst viele Pixel? Möglichst viele Polygone? Möglichst hohe Frameraten? Ist Sound nur dann gut, wenn er in 5.1 Mehrkanalton kommt, oder soll er auch stimmig und gefällig sein? Wie mißt man "Gefälligkeit"?
Das ist doch wirklicher Quatsch, zu behaupten, man könne diese Faktoren objektiv quantifizieren. Seien wir doch wenigstens ehrlich in dieser Frage.
Wenn das Argument kommt, daß die Zahlen/Notenvergabe das Schreiben der Tests vereinfacht, und man daher den Test schneller fertigbekommt, dann ist das der eine Grund, den ich nachvollziehen kann. Ich meine, das geht zu Lasten der Testqualität und Aussagekraft, aber wenn man das gewillt ist hinzunehmen - OK. Aber bemänteln wir diesen verständlichen Wunsch nach Arbeitserleichterung doch nicht als die objektivere, für den Leser bessere Lösung. Für mich ist es ein Ausdruck von Schludrigkeit, bei aller Anerkennung für die Mühe, die sich jeder Tester hier ohne Zweifel gibt. Aber auch Phrenologen waren der Meinung, daß ihre Arbeit wertvoll sei, und haben viel Mühe auf eine von vornherein verlorene Sache verschwendet.
Ich will mit meiner Kritik an quantifizierenden Spielewertungen nicht die persönliche Integrität der Tester infrage stellen - zumindest nicht derjenigen, die sich
hier mit Testberichten abmühen. Für mich bleiben diese Wertungen jedoch Ausdruck einer für den Leser sehr nachteiligen Verquickung aus Marketinginteressen der Hersteller und der Printmedien: Wenn ein Durchschnitsspiel 75% bekommt, dann ist das eindeutig Ausdruck verrutschter Maßstäbe und inflationärer Notenvergabe. Per Definition kann ein absolut durchschnittliches Spiel nur 50% bekommen, weil es ebensoviele bessere wie schlechtere Spiele gibt -
wenn man sich denn überhaupt auf Zahlenwertdiskussionen einließe.
Für diese Inflation gibt es nur eine Erklärung: Wirtschaftliches Interesse an Konsumförderung. Zeitschriften vergeben lieber gute Noten, weil das für die Auflage förderlich ist. Leser wollen halt lieber ihre vorgefaßten Meinungen bestätigt sehen. Marketingspezialisten werben lieber mit Prozentwerten und den positiven Meinungsschnipseln aus Testberichten, speziell wenn sie Hyperbolismen enthalten.
Dient das dem Leserinteresse im Sinne einer Konsumberatung?
Entschieden nein!
Auch kommt die Notenvergabe dem Trend zur verBILDung der Printmedien entgegen. Dem Leser bloß keine komplizierten Satzkonstruktionen mehr zumuten! Bloß keine langen Texte! Und auf gar keinen Fall wird berichtet, wenn es keine Illustrationsmöglichkeiten gibt! (Der eine oder andere mag sich an Martin Schnelles Aussage hier in diesem Forum erinnern).
Und, wie bereits erwähnt, es kommt natürlich auch demjenigen entgegen, der den Testbericht schreiben soll. Denn jetzt läßt der Druck, prägnante Ausdrücke für die Kritik zu finden, entschieden nach. Man kann jetzt mehr oder minder routiniert etwas 'runterschreiben, und ans Ende kommt die Zahl, damit der Leser versteht, was man eigentlich sagen wollte. Zugegebenermaßen kostet der Kampf ums rechte Wort am rechten Platz Zeit und Mühe.
Fließtext mag anstrengendender zu lesen und zu formulieren sein als eine plakative Prozentvergabe, doch ist die Zahl als solche letztlich aussagelos und bestenfalls in Verbindung mit dem Fließtext interpretierwürdig. Wenn es aber ohnehin des Fließtextes bedarf, dann
braucht man die dumme Zahl am Ende aber gar nicht!
Als Beispiel möchte ich mal
www.SimHQ.com anführen. In deren Testberichten hat es noch nie irgendeine Zahlenwertung gegeben, und ich kenne keine Seite, die bessere Kaufberatung im Land der Simulationen bietet als diese. Wer einen Testbericht (aktuell: Pacific Fighters) von SimHQ liest, dem wird die Entscheidung "Kaufen oder nicht" am Ende leicht fallen - zumindest wird er nach dem Kauf keine Überraschung erleben, was vielleicht das wichtigste ist. Die entscheidenden Fragen können also ohne weiteres ohne jede Zahlenwertung beantwortet werden.