Do, 13. Apr 2006, 19:33
Ursprünglich wollte ich nur loswerden, wie hanebüchen es meiner Meinung nach ist, die letzten übrig gebliebenen Alternativen "subjektiv schlechtes Produkt" und "Konsumverzicht" als etwas anderes als das Versagen der Marktwirtschaft zumindest in diesem Moment zu bezeichnen. Nichts anderes hab ich auf Seite 43 geschrieben.
Hat dann zwar etwas gedauert, bis die rote Provokation wirkte, aber ich finde interessant, was nun dabei rausgekommen ist und freue mich drüber.
Und ja, auch für mich hat es ein "Gschmäckle", dass erst die Popkorntüte gezückt wird, wenn sich der arrogante Akademiker und der schlichte Realo verbal verkloppen - später aber, noch mit klebrigen Fingern, beherzt eingeschritten wird, als die Gefahr droht, die rote Ecke könnte den Punkt machen. Die tumben "Kommunisten sind hirnlos"- und "über die Wende weinen"-Tiefschläge aus der schwarzen Ecke genügten als Grund offensichtlich nicht. Hörte ich da gar ein feixen?! Naahaiin!!! Okay, hab ich mir nur eingebildet.
Lassen wir das. Nur kurz zur Klarstellung:
Ich bin kein Kommunist. Nein, auch meine Vergleiche in diesem Thread sagen nichts anderes, wenn man die Portion Zynismus berücksichtigt, die drin steckt.
Ich bin auch kein Ostalgiker, sondern dankbar für die Wende - aber nicht für den Staat und die Gesellschaft der Altbundesländer, mit der ich danach beglückt wurde und noch werde.
Meines Erachtens gab es in der DDR keine Meinungsfreiheit und die Planwirtschaft ist auf keinem Gebiet so gescheitert, wie bei der Konsumwarenproduktion.
Zu dem Vorwurf wegen dem zu geringen Alter, um die Verhältnisse richtig einschätzen zu können:
Das dachte ich ja selber die kompletten 90er. Ich hielt mich für einen Angehörigen der ersten Generation, bei der kein Unterschied zwischen Ost und West mehr besteht. Erst seit ein paar Jahren merke ich, wie stark mich das damals geprägt haben muss. Wie stark sich meine Sicht auf die Welt doch unterscheidet von den Schulweisheiten, die hier immer gepredigt werden. Es ist ein Trugschluss, anzunehmen, die Erlebniswelt "DDR" wäre 89 auf einen Schlag beendet gewesen und könne deshalb auf einen damals Elfjährigen keinen Einfluss gehabt haben. Noch dazu, wenn dieser auch die folgenden 15 Jahre in der ehemaligen Zone gelebt hat. Und es ist überheblich, diesem damals Elfjährigen kein besseres Verständnis für in die Realität übertragene kommunistische Ideale zuzubilligen, als sich selber, der man zwar älter ist, aber stets in einem kapitalistisch-demokratischen System gelebt hat.
@Ssnake:
Ssnake, du rechtfertigst die Realität einmal mehr mit Idealen, die ich in ihr eben gerade nicht als gegeben sehe. Das macht keinen Sinn.
Produzenten und Konsumenten sind in der Marktwirtschaft verfeindete Parteien. Erstere versuchen zum Beispiel, ihre Produkte genau so viel schlechter und billiger zu machen, dass der Kunde es im Moment der Kaufentscheidung geradeso nicht merkt und weiter denselben Preis zahlt. Die Kunden dagegen spielen mehrere zum Verkauf gezwungene Anbieter des gleichen Produkts gnadenlos mit der Verzichtsdrohung gegeneinander aus, um den billigsten Preis zu erzielen. Ich denke, das belegt meine Eingangsthese.
Einen fairen Ausgleich zwischen beiden Parteien gibt es doch nur, wenn bei den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, relativer, sicherlich schwer zu beschreibender und ganz sicher nicht messbarer Gleichstand herrscht.
In einem oligopolistischen Markt, wo wenige Anbieter ihre Aktionen genau koordinieren und planen können, bleibt Konsumenten nur der Konsumverzicht als Druckmittel, den sie dummerweise nicht koordinieren und planen können. Sie müssen sich anonym, jeder einzeln zu diesem - auch für sie selber nachteiligen - Verhalten durchringen und das beste hoffen. Da sehe ich kein Gleichgewicht mehr. Es stellt sich ein Zustand ein, wo gerade noch genügend Konsumenten kaufen, diese ein Produkt erhalten, das schechter und teurer ist als nötig und der Rest unter Konsumverzicht leidet. Ein Zustand, der vom marktwirtschaftlichen Optimum weg in Richtung der Anbieter verschoben ist.
Du hast die Musikindustrie genannt. Dort spielt das psychologische Preisempfinden eine Rolle. Über, beim Konsumenten subjektiv als Kleinbeträge empfundene, aber überhöhte Preise wurden jahrelang riesige Gewinne erzielt. Es ist einfach für die wenigen Anbieter, den Preis ihres Millionenartikels ein paar Cent zu erhöhen, aber schwierig für die Konsumenten, diese für jeden einzelnen unbedeutende Preiserhöhung zu erfassen und sich dagegegen zu wehren. Der Schaden, gemessen am marktwirtschaftlichen Optimum entsteht trotzdem. Dass Konsumverzicht neuerdings durch die Tauschbörse ersetzt wird, ist dabei eine ganz andere Sache. Da herrscht dann wirklich marktwirtschaftliches Chaos.
Ich wäre froh, wenn du diese Dinge wenigstens als Nachteile der Marktwirtschaft anerkennen würdest, die bei deren Umsetzung in die Realität auftreten müssen. Ob es wert ist, die in Kauf zu nehmen, ergibt eine neue Diskussion.
Verschärft werden diese Nachteile durch das wachstumerzwingende Finanzsystem, das in Märkten, die in sich selbst nicht mehr wachsen können, verheerende Folgen für die Marktwirtschaft hat. (Wie siehts eigentlich aus mit deinem Studium der Freiwirtschaft, Ssnake?)
Ich habe in einem System gelebt, das all diese Nachteile nicht hatte. Es hatte dafür andere, sogar so schwerwiegende, dass es zusammengebrochen ist. Aber aus dieser Erfahrung kommt meine Überzeugung, dass es sehr wohl besser geht als jetzt.
Und deshalb kotzt mich diese selbstgefällige Ablehnung jeder Systemkritik so an, die viele, ja die überwiegende Mehrheit der "Wessis" an den Tag legt. Fett, faul und selbstgerecht ist eure demokratisch-marktwirtschaftliche Gesellschaft geworden. Kritiklos und beliebig, weil innerlich vergammelt!
Der Wohlstand bei euch muss also tatsächlich erst wieder verfallen, bis Reformen an prinzipiellen Fehlern eures Systems umsetzbar sind. Tolle Perpektive für die 17 Millionen Zu-Spät-Gekommenen, die euren Wohlstand nicht haben, sondern, als sie '89 auf die Straße gegangen sind, auf die Chance hofften, ihn sich ebenfalls erarbeiten zu können. Wie naiv diese Hoffnung war... Und wie tragisch, dass gerade diese Hoffnung zu der Einigkeit führte, die die Revolution überhaupt erst ermöglichte. Daraus ist nämlich zunächst Enttäuschung und später der Frust und Ärger gewachsen, der auch meine politische Einstellung prägt.
Ciao,
Doc SoLo