Mi, 14. Jun 2017, 10:48
Ich brech mal ne Lanze für die "Grand Strategy Games" von Paradox, gespielt habe ich Victoria 2 und Crusader Kings 2. Erst mal die beiden offensichtlichen Kritikpunkte:
- Alle Spiele (bis auf Stellaris) sehen gleich aus, haben ein sehr ähnliches UI, spielen sich in vielerlei Hinsicht ähnlich.
- Das Grundspiel ist oft mager ausgestattet und erst mit mehreren DLC (über Jahre veröffentlicht) wächst der Umfang.
Außerdem sind es absolute Zeitfresser. Im Grunde handelt es sich um Variationen von Civilization, nur auf einer echten Weltkarte (Victoria 2) oder einer echten Karte von Europa und Teilen Asiens (Crusader Kings 2) mit historisch korrekten Machtverhältnissen und Grenzen. Man kann jede Nation auf der Karte auswählen, die KI übernimmt alle anderen.
Bei Victoria 2 spielt man nur zwischen 1836 und 1936 und macht die Industrialisierung durch. Der Schwierigkeitsgrad bestimmt sich durch die Wahl der Nation, die Briten sind mit Abstand die stärkste Macht, die USA ist schön isoliert von den Großmächten, mit einem Polen hingegen geht es ums nackte Überleben, um nicht von Preußen (später Norddeutschland, später Deutschland) und Russland überrollt zu werden. Verwegen kann man auch unziviliserte Nationen wählen, ist dann aber arg eingeschränkt (zB keine Forschung, bis man zivilisert ist). Ich hab es bislang zweimal gespielt, einmal mit den USA, einmal mit Österreich. Beide Male gab es keinen wirklichen Weltkrieg, im 2. Spiel erklärten sich die beiden größten Mächte, England und Frankreich, um 1900 gegenseitig den Krieg mit dem höchsten Ziel, bei Sieg werden alle Kolonien an den Gegner abgetreten. Frankreich trat allein an, England mit all seinen Verbündeten, die Briten waren der klare Favorit, aber Frankreich gewann die ersten Schlachten in Europa haushoch und zehrte davon, während die englischen Verbündeten fast alle französischen Kolonien besetzten. Der Krieg endete nach über 15 Jahren, England verlor nicht alle Kolonien, aber fast alle "Ansehen"-Punkte, womit es von Platz 1 auf 4 im Ranking fiel (bestimmt durch eine Mischung aus Ansehen, Wirtschaftskraft und Militärstärke). Der Einfluss des Spielers ist in vielerlei Hinsicht begrenzt, auch als österreichischer Kaiser kann man nicht nach Wunsch Gesetze erlassen, der Druck muss aus dem Volk kommen. Im Endeffekt eine schöne interaktive Geschichtsstunde, ohne groß mit dem Finger drauf zu zeigen. Eine wirtschaftliche Entwicklung von Bauern zu Fabrikarbeitern, die erst nur simple Güter produzieren, später auch Radios, Autos und Flugzeuge. Dazu eine soziale Entwicklung, immer bessere Arbeitsbedingungen, ein immer aufgeklärteres und besser gebildetes Volk, von 80% Analphabeten bis 0%. Hemmungslose Kolonialisierung, Sklavenhaltung, Ausbeutung, bis sich dagegen immer mehr Widerstand bildet, usw.
Schnell rüber zu CK2, was im Grunde ähnlich abläuft, nur diesmal über mehrere Jahrhunderte hinweg, beginnend im Jahr 1066 (mit DLC noch früher). Christen werden immer mal wieder zu den Kreuzzügen aufgerufen, die Moslems zur Verteidigung. Wer aber mit den Wikingern oder wie ich mit den Schotten (damals noch: Pikten) spielt, wird davon nicht betroffen bzw. hat eine gute Gelegenheit, Plündern zu gehen während die Armeen der zivlisierteren Nationen grad um Jerusalem kämpfen. Hier muss man aber nicht den König einer Nation spielen, man kann tiefer beginnen, als Anführer einer kleinen Region, und sich nach oben kämpfen. Außerdem hat man ein echtes Alter Ego, das altert und früher oder später stirbt und man braucht immer einen legitimen (zu Spielbeginn: männlichen) Erben, um weiterzuspielen. In meiner ersten Partie wäre das fast nach wenigen Jahren schief gegangen, ich spielte einen 20-Jährigen, der es grad so geschafft hatte zu heiraten und einen Sohn zu zeugen, bevor er an seiner ersten Erkrankung gleich starb. Die Spielfigur hat hier auch ein paar RPG-Fähigkeiten und ein Spiel-im-Spiel wird es, sich kluge Partnerinnen auszusuchen und die Kinder richtig großzuziehen (erinnert mich etwas an Sims 3), ein DLC (Conclave) erweitert den Teil noch. Auch als König von Piktland/Schottland kontrolliert man nicht das gesamte Land, man darf nur maximal 5 Regionen selbst behalten, den Rest muss man an Untertanen abgeben. Und die KI simuliert hier wirklich jede Person, die irgendeinen Rang hat. Sprich, der zweitälteste Sohn wird mit Sicherheit probieren, den Ältesten umzubringen, um selbst das Erbe anzutreten. Und jeder will König von Schottland werden und den aktuellen König entweder im Kampf besiegen oder hinterhältig vergiften.
Das klingt doch sehr nach Game of Thrones und erfreulicherweise gibt es auch eine großartige GoT-Mod, die wirklich jede Figur aus der Buchreihe (Geroge Martin hat ja Stammbäume für alle Figuren, auch welche, die nie in den Büchern auftauchen) eingebaut hat. Man kann gleich mittendrin einsteigen, Beginn Staffel 2, mit Robb Stark oder Daenerys oder Tyron Lannister (als Robb Stark sollte man lieber die Frey heiraten, um seine Chancen zu verbessern). Oder man kann auch zeitlich ganz anderswo beginnen, das hab ich getan, als kleines Haus ganz im Südwesten (The Reach), kontrolliert von den Tyrells. Das stellte sich als taktisch klug heraus, ich konnte ziemlich schnell die reiche Insel The Arbor (bekannt für seinen guten Wein) einnehmen, bald auch Oldtown und die Hightowers ablösen und später dann auch die Tyrells in Highgarden und wurde selbst King of the Reach. Das Spiel behält alle Stammbäume im Blick und durch all die Schlachten und Intrigen und fehlenden Erben starben die bekannten Familien über die Jahrhunderte aus, kein Tyrell mehr, kein Stark, kein Targaryen, nur noch eine Handvoll Lannisters, aber auch die regieren längst nicht mehr die Westerlands. Die Wildlings versuchen ständig, die Mauer zu überwinden und den Norden einzunehmen, was ihnen auch immer mal wieder gelingt, das entspricht in etwa den Kreuzzügen aus dem Originalspiel, sehr schwer, die Mauer wieder unter Kontrolle zu bekommen, es dauert ewig, bis die Nachtwache wieder halbwegs aufgefüllt ist.
Mir haben beide Spiele viel Spaß gemacht, aber ich bin auch jemand, der gern zuschaut, während die KI rackert. Bei Victoria 2 zB wie viele meiner Österreicher ziehen in die neue Wüstenkolonie, wie viele verliere ich an die USA, wann hört mein Volk endlich auf, mehrheitlich konservativ zu wählen, damit ich endlich ein paar neue Gesetze verabschieden kann?