Exkulpatorische Sammelklauseln ("Disclaimer"):
- Auch hier keine IMOs und IMHOs
- Können wir mal mal mit dieser umständlichen PC-Formulierung von Besserverdienern und (noch viel schlimmer) "weniger Verdienenden" vergessen?
Reden wir doch lieber von den Armen als von "sozial Schwachen" (als ob sich die soziale Kompetenz über das Einkommen definieren ließe) und den Reichen, da versteht wenigstens jeder, wer gemeint ist.
Diese rhetorischen Nebelkerzen finde ich widerlich. Das ist so eine paternalistische Grundhaltung, die Putzfrauen zu Raumpflegerinnen umdeutet, damit eine wenig angesehene Tätigkeit vom Titel her aufgewertet wird, weil man nicht das geringste tun kann, um das Arbeitsfeld und die damit verbundene Qualifikation zu ändern. Geputzt werden muß immer, egal wie man's nennt. "Facility Management" ist auch so ein unnötiges Verschleiern - was ist denn, bitteschön, falsch an einem "Hausmeister"???
Ein Problem mit der Vermarktung von Kirchhoffs Steuerentwurf ist ja, daß immer nur Steuer
sätze genannt werden, die aber nur auf jenen Teil des Einkommens angewendet werden, der bestimmte Grenzen überschreitet. Der effektive Steuersatz - also "tatsächliche Steuerschuld geteilt durch Bruttoeinkommen" - liegt aber in diesem System deutlich niedriger.
Beispiele:
- Single, 10.000 EUR Hungerlohn im Jahr (entspricht etwa dem Einkommen, das meine Mutter in ihrem Leben durchschnittlich erwirtschaftet hat; ich schätze, damit darf ich mich für die ersten 18 Jahre meines Lebens "den Armen" zurechnen, und ich habe keine Scheu, das auch so zu nennen. Vorgeblich Wohlmeinende, die uns als "sozial schwach" oder "weniger verdienende" bezeichnen wollen, sollen das mal von Angesicht zu Angesicht versuchen, denen zeige ich dann mal persönlich, was ich von solchen Herabsetzungen halte).
Also, in diesem Fall würden die ersten 8.000 Euro steuerfrei abgehen. Hinzu kommt die Vereinfachungspauschale von 2000 Euro, damit sich das Finanzamt nicht mit Kleinkram verzetteln soll.
Ergebnis: Steuersatz 0% - Single, ein Kind, 18.000 EUR p.a. (auch nicht dolle, aber immerhin schon mal fast doppelt soviel, hinzu käme ja ggf. noch das Kindergeld (was übrigens in den 70ern bei gerade mal 50 DM lag...). 8.000 EUR pro Person steuerfrei, wieder 2.000 EUR Vereinfachungspauschale.
Ergebnis: Steuersatz 0% - Single, kinderlos, 18.000 EUR p.a. - sagen wir mal, ein Lagerist mit Hauptschulabschluß. Gut, für den Ferrari wird man 'ne Weile sparen müssen - aber ohne Kind am Bein kann man damit doch schon über die Runden kommen. Das wären dann also 10.000 EUR steuerfrei, dann 50% des Eingangssteuersatzes auf die ersten 5.000 Euro über der Freigrenze (also 15% x 50% x 5.000.- EUR = 375.- EUR), es bleiben 3.000 Euro, die zu 60% mit dem Eingangssteuersatz besteuert werden, also 15% x 60% x 3.000.- = 270.- EUR). In Summe also 645,- Euro Steuerschuld auf ein Bruttoeinkommen von 18.000.- EUR.
Ergebnis: effektiver Steuersatz 3,58%
Aus diesen Beispielen sollte hinreichend deutlich werden, daß Arme in Kirchhoffs Steuermodell keinesfalls geschröpft werden. Wenn Reiche ohnehin die Möglichkeit im heutigen Steuersystem haben, sich auf einen effektiven Steuersatz von 23% mit einem riesigen Aufwand an im Grunde schwachsinnigen Investments herunterzurechnen (was ja nur dazu führt, daß zu große Geldströme in Anlagen gelenkt werden, die volkswirtschaftlich bestenfalls "ergebnisneutral" sind - mit anderen Worten: Staatlich geförderte Kapitalvernichtung, wo sonst vielleicht in neue Arbeitsplätze investiert worden wäre!) - also, wenn in praxi der effektive Steuersatz sowieso schon so niedrig ist, dann kann man auch das System insgesamt vereinfachen indem man den ganzen paternalistisch-sozialistischen Lenkungsquatsch streicht und gleich sagt, "25% auf alles".
Seien wir doch mal ehrlich: Diejenigen, die alles daran setzen, so eine Lösung zu diskreditieren, tun das aus Eigeninteresse, und nicht weil ihr Herz für die Armen blutet. Geld zu verteilen gibt ihnen Macht. Streicht man die ganze Verteilmaschinerie, nimmt man ihnen die Deutungshoheit über "gute" und "gesellschaftlich schädliche" Formen der Investition - wo es doch im Sinne einer wettbewerblich orientierten Marktwirtschaft ausschließlich darum gehen darf,
im Rahmen des gesetzlich erlaubten das Geld dort anzulegen, wo es gewinnbringend ist. Ein Steuersystem zu mißbrauchen um Geldströme zu lenken heißt, neben dem Strafrecht ein Moralrecht einzuführen das dem Investor nahelegt, sein Geld in Anlageformen zu stecken, von denen die zur Zeit herrschenden Politiker meinen, das es wünschenswert sei.
Das führt dann unweigerlich zu Schoten wie der Tatsache, daß Koreanischer Schiffsbau oder die Produktion von grenzwertigen Hollywood-Streifen steuerlich begünstigt wird und wir zugleich Steuermittel einsetzen, um die mit Korea konkurrierenden Werften an Nord- und Ostsee zu stützen und in Babelsberg, München und Oberhausen Filmstudios hochzupäppeln, denen die besagten Hollywoodproduktionen dann wieder Schwierigkeiten machen. Und zu allem Überfluß bestimmen dann auch noch Moralwächter von Kirche und Gewerkschaften in paritätisch besetzten Filmfödergremien über den Wert und Unwert von Drehbüchern wie "Staplerfahrer Klaus", den wir alle nie zu sehen bekommen hätten, wäre es nach diesen Heinis gegangen.
Wenn also im gegenwärtigen Steuersystem angeblich die Armen begünstigt werden und die Reichen sich so arm rechnen können, daß ihre Steuerlast effektiv sehr gering ist - an wem bleibt denn dann wohl die Hauptlast kleben?
Genau.
Da kann man nur die "neue Mitte" belasten. Und die stellt man dann mit Pendlerpauschale und Häuslebau-Prämie ruhig, obwohl man ihnen an anderer Stelle noch mehr Geld aus der Tasche zieht. Das Volk rächt sich dann, indem die Fahrten zum Büro länger angegeben werden als tatsächlich der Fall - massenhafte Steuerhinterziehung eben.
So. Dann war ich eben arm, als Kind. OK, der Mangel war da, aber richtig gespürt habe ich ihn nicht. Meine Mutter hatte zwei Jobs, davon einen zu Hause und einen, während ich in der Schule war, und hat sich halbtot gerackert. Trotzdem war sie da wenn ich sie gebraucht habe, und auch wenn ich immer in selbstgestrickten Pullis und Second-Hand-Klamotten rumgelaufen bin, hat mich das nicht umgebracht.
Dann bin ich zur Bundeswehr gegangen, die mich im Großen und Ganzen sehr anständig behandelt hat. Ich habe die Chance bekommen zu studieren, ich habe ein ziemlich üppiges Gehalt bekommen (gut, es relativiert sich vielleicht angesichts der heutigen Möglichkeiten, in Bosnien ein Bein an eine Mine zu verlieren - aber erzähle mir keiner, ich wäre mit 17, 18 nicht reif genug gewesen, diese Möglichkeiten abzuschätzen. Wer klug genug ist ein Abitur zu machen, hat die intellektuelle Kapazität zur Reflektion persönlicher Wahlmöglichkeiten unter Beweis gestellt).
Sozialhilfe haben wir nicht beantragt. Später gab's Wohngeld, aber das war's denn auch. Trotzdem war mein Leben keine Sperrmüll-Möbel- / Aldi-Dosenfraß- / Alkoholhölle, und es hat auch nicht des aufopfernden Dienstes einer Arbeiterwohlfahrt, Diakonie oder sonstiger paternalistischer Organisationen bedurft, um das Leben ordentlich zu gestalten. Es hat regelmäßig einen Sommerurlaub gegeben in der Berghütte von Bekannten, in den Herbst- Winter oder Osterferien kam ich mal zu Verwandten - soziale Stütze waren eben nicht staatliche oder andere öffentliche Wohlfahrtsorganisationen, sondern eben (auch wenn das jetzt wieder als konservative Wertepropaganda diffamiert werden wird)
die Familie und der
familiäre Freundeskreis.
Die intakte Familie ist in der Tat nach meiner Lebenserfahrung die Keimzelle der Gesellschaft. Das bedeutet nicht, daß man deswegen uniforme Lebensentwürfen folgen müßte nach dem Motto Mutti in der Küche, Vati auf der Arbeit, eine Tochter und ein Sohn im Reihenhaus der Vorstadt. Es bedeutet, sein Umfeld wahrzunehmen und sich um seine Freunde und Angehörigen zu kümmern. Praktische Lebenshilfe überall dort, wo man sie selbst zu leisten imstande ist.
Das ist in einer rein hedonistisch orientierten Ich-Gesellschaft (ein Oxymoron, übrigens) natürlich unbequem. Man läßt lieber kümmern. Aber bei uns war das Motto, "verläßt Du Dich auf den Staat, dann bist Du verlassen" - 'aufs Amt betteln gehen' geht man erst dann, wenn das selbständige Betteln auf der Straße nicht mehr genug zum Leben einbringt. Es mag altmodisch, nostalgisch, bekloppt klingen - aber durch harte, ehrliche Arbeit wird man vielleicht nicht reich, kann aber dennoch ein Leben füllen, und das nicht auf die schlechteste Art. Meine Mutter lebt heute in einem Wohnheim mit Betreuung, drei Minuten Fußweg von mir, und sie hat das mit weitem Abstand best eingerichtete Apartment in eleganter Möblierung des gesamten Stifts. Das ist gewiß nicht die Welt - aber jeden Fitzel davon hat sie sich selbst erarbeitet, abgespart, sich
verdient.
"Wenigerverdiener" sind eigentlich "Wenigerbekommer", denn mit
Verdienst hat das Einkommen selten zu tun. Meine Mutter hätte, wenn es nach mir ginge, weiß Gott mehr
verdient als sie bekommen hat, und trotzdem: Unglücklich ist sie nicht. Sie hat angepackt statt zu jammern, hat sich auf ihre Hände verlassen statt auf 'den Staat'. Dieses Land wäre nicht schlechter dran, wenn sich viele an ihr mal ein Beispiel nehmen würden. Unseretwegen hätte es die Umverteilungsmaschine nicht gebraucht, und wo ich auch immer hinschaue, vermag ich auch heute den Sinn darin nicht zu erkennen (außer eben, die Machtansprüche paternalistischer Funktionärszirkel zu befriedigen).
Kirchhoff hat recht.